Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Schon die kurze Aussprache über den zur Verhandlung stehenden Gesetzentwurf über die Finanzierung eines Sofortprogramms zur Arbeitsbeschaffung im Rechnungsjahr 1951 in der 162. Plenarsitzung am 13. September ließ erwarten, daß vor der materiellen Behandlung dieses Gesetzentwurfs wichtige Grundsatzfragen zur Aussprache stehen werden. Das ergab sich auch bei den mehrmaligen Ausschußberatungen. Die von den Vertretern der SPD angemeldeten Bedenken führten zu sehr ausgiebigen Grundsatzdebatten im Ausschuß. Ich fühle mich verpflichtet, auf das Wesentliche dieser Aussprache in aller Kürze einzugehen.
Es war erstens aus dieser Debatte heraus zu prüfen, ob durch den vorliegenden Gesetzentwurf nicht Grundsätze des AVAVG verletzt werden, da — zweitens — Versicherungsgelder oder Prämienreserven der Arbeitslosenversicherung, die an und für sich für Versicherungsleistungen zweckgebunden sind, zur Arbeitsbeschaffung verwendet werden sollen. Drittens wurde der Vorwurf erhoben, daß durch diesen gesetzlichen Vorgriff die kommende Selbstverwaltung der Bundesanstalt verletzt werde. Viertens wurde die Frage aufgeworfen, ob auch die Form der Inanspruchnahme richtig sei, da durch die im Gesetz festgelegte Hergabe dieser Gelder zur Arbeitsbeschaffung angeblich der Bundeshaushalt im Titel „Arbeitslosenfürsorge" indirekt entlastet wird. Schließlich wurde die Frage erörtert, ob es vertretbar sei, daß ein so hoher Betrag an Prämienreserven durch Festlegung in Arbeitsbeschaffungsdarlehen auf lange Sicht gebunden werde, wodurch eventuell die Gefahr heraufbeschworen werden könnte, daß im Falle größerer Arbeitslosigkeit die flüssigen Mittel zur Erfüllung der Ansprüche der Versicherten fehlen.
In ernster und verantwortungsbewußter Aussprache wurden diese von den SPD-Vertretern geäußerten Bedenken durch die Ausschußmitglieder geprüft und die Vertreter des Arbeitsministers aufgefordert, in den folgenden Sitzungen des Ausschusses durch konkretes Zahlenmaterial die aufgeworfenen Bedenken zu zerstreuen.
Das ist durch die Argumentation des Bundesarbeitsministeriums für die Mehrheit des Ausschusses auch der Fall gewesen. Im § 140 des AVAVG steht die Bestimmung, daß Mittel der Arbeitslosenversicherung für werteschaffende Vorhaben aufgewandt werden können, und zwar auch für Personen, die aus der Alu, also der Arbeitslosenunterstützung, ausgesteuert sind. Ferner lag in der Sitzung am 9. Oktober eine genaue Aufstellung über die Höhe der Überschüsse und der Prämienreserven der Arbeitslosenversicherung bei den Ländern zum 30. September vor, die rund 1 Milliarde DM betragen haben. Zu dieser Milliarde Prämienreservenbestand kommt noch ein Betrag von 135 Millionen DM, der als Länderschuld an die Arbeitslosenversicherung abzuführen wäre. Die Gläubigerländer für diese 135 Millionen DM sind Schleswig-Holstein mit 98,8 Millionen DM, Niedersachsen mit 15,9 Millionen DM und Hessen mit 20,4 Millionen DM. Von dem Überschuß bei den Ländern in Höhe von 1 Milliarde DM sind nach dem Stande vom 30. September gegenwärtig frei verfügbar 60,6 Millionen DM, kurzfristig gebunden, d. h. auf einen Monat, 114,3 Millionen DM, mittelfristig bis zu 6 Monaten 345,1 Millionen DM und langfristig über 6 Monate hinaus 456,1 Millionen DM. Das sind 45 % des Gesamt-Überschußbestandes als langfristige Anlagen.
Das gegenwärtige monatliche Aufkommen der Arbeitslosenversicherung beträgt rund 110 Millionen DM. Als Überschuß ergab sich in den letzten Monaten aus diesem monatlichen Aufkommen durchschnittlich ein Betrag von 40 Millionen DM.
Durch dieses konkrete Zahlenmaterial konnten vom Bundesarbeitsministerium bei der Mehrheit des Ausschusses die Bedenken zerstreut werden, daß durch die Verwendung von 200 Millionen DM für Arbeitsbeschaffung Liquiditätsschwierigkeiten bei einem Auftreten größerer Arbeitslosigkeit entstehen könnten. Der in der Aussprache vorgetragene Vergleich, daß auch im Jahre 1928 die Reichsanstalt für Arbeitslosenversicherung in große finanzielle Schwierigkeiten kam, ist nicht am Platze, da der Reichsanstalt damals nur ein Vermögen von 50 Millionen RM übertragen worden war, während das Vermögen heute immerhin 1 Milliarde DM, also das Zwanzigfache, beträgt.
Weiter wurde im Ausschuß mit Recht zum Ausdruck gebracht, daß durch die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen auch erhöhte Beitragsaufkommen für die Sozial- und Arbeitslosenversicherung gewährleistet sind.
Die vorliegende erste Aufstellung über die Aufteilung der ersten 50 Millionen DM für bereits laufende Arbeiten aus dem Titel dieses heute in der zweiten und dritten Lesung zu beschließenden Gesetzes zeigt, daß durch die gewährten Mittel für eine Grund- und verstärkte Förderung sehr ansehnliche Beträge für diese Notstandsarbeiten auch aus eigenen Mitteln der Länder, der Kreise, der Gemeindeverbände und der Städte mobilisiert werden können. Mit diesen ersten 50 Millionen DM Förderungsbeiträgen werden gegenwärtig Arbeiten für insgesamt 162 Millionen DM durchgeführt. Damit sind mehr als 4 Millionen Tagewerke sichergestellt, und es ist damit auch der Nachweis erbracht, daß sich die Länder, Gemeindeverbände und Gemeinden anstrengen müssen, um an die Mittel heranzukommen, die durch dieses Gesetz bereitgestellt werden.
Im Zuge der materiellen Beratung des Gesetzentwurfs stellte Kollege Richter als Sprecher seiner Kollegen aus der SPD-Fraktion den Antrag, daß aus Mitteln der Arbeitslosenversicherung nur 50 Millionen DM als Darlehen an den Bund gewährt werden sollen. Die Gewährung weiterer 150 Millionen DM solle erst dann behandelt werden, wenn die Selbstverwaltung der Bundesanstalt in Kraft getreten ist. Wenn dieser Antrag aber im Ausschuß keine Annahme finde, so schlage er vor, daß der § 1 so zu fassen sei, daß zur Durchführung des Sofortprogramms 100 Millionen DM — aber nur als verstärkte Förderung, also ohne jede Grundförderung — zur Verfügung gestellt werden. Dieser Antrag wurde vom Ausschuß gegen die Stimmen der SPD mit allen übrigen Stimmen abgelehnt. § 1 Abs. 1 wurde in der Fassung des Regierungsentwurfs mit der Änderung angenommen, daß die 200 Millionen DM für Zwecke der Arbeitsbeschaflung für die Empfänger von Arbeitslosenfürsorgeunterstützung nicht gänzlich im Rechnungsjahr 1951, sondern bis zum 30. Juni 1952 zur Verfügung gestellt werden sollen. In dieser abgeänderten Form wurde der § 1 angenommen. Nach Ansicht der Ausschußmehrheit ist diese Terminerstreckung dadurch gerechtfertigt und begründet, da die Bundesanstalt nach den gesetzlichen Bestimmungen erst am 1. Januar 1952 ihre Tätigkeit aufnimmt und daß doch einige Zeit vergehen wird, bis sie zur Aufkündigung mittel- oder langfristiger Darlehen schreiten kann, um diese 200 Millionen DM zur Gänze zu bedienen.
Entsprechend den Abänderungsvorschlägen des Bundesrates wurden zu § 1 die neuen Absätze 2 und 3 vom Ausschuß übernommen. Der übernommene Abs. 2 lautet:
Die Mittel sollen insbesondere in den Arbeitsamtsbezirken mit einer den Bundesdurchschnitt übersteigenden Arbeitslosigkeit Verwendung finden.
Diese gesetzliche Bestimmung wird zur zwingenden Notwendigkeit, wenn den Gebieten — Bezirken und Ländern — eine Hilfe gebracht werden soll, die arm an Industrie und arm an Arbeitsplätzen sind und die in den Jahren 1945 bis 1947 den größten Bevölkerungszuwachs durch die Einweisung von Heimatvertriebenen hatten. Die Übersicht der Überschüsse der Arbeitslosenversicherung zeigt, daß die Länder Schleswig-Holstein mit 3,5, Niedersachsen mit 12 Millionen DM Überschuß und Bayern als einziges Land sogar mit 7,5 Millionen DM Fehl- betrag — die allerdings vorübergehend durch die Staatshauptkasse gedeckt sind — weit hinter den industriereichen Ländern in der Aufbringung von Arbeitslosenversicherungsbeiträgen zurückliegen. Um Ihnen zwei dieser wirtschaftlich gut situierten Länder zu nennen, möchte ich anführen, daß die Überschüsse in der Arbeitslosenversicherung zum 30. September 1951 im Lande Nordrhein-Westfalen 283 Millionen, in Württemberg-Baden 241,5 Millionen DM betragen.
Ferner schlägt Ihnen der Ausschuß vor, dem § 1 des Regierungsentwurfs einen neuen Abs. 3 hinzuzufügen, der im Prinzip einem Bundesratsvorschlag entspricht. Der Absatz bestimmt die Zusammensetzung und die zahlenmäßige Stärke des Gremiums, das bis zur Errichtung der Organe der Bundesanstalt über die Zuteilung der Mittel an die Träger der Notstandsarbeiten entscheiden soll. Dieser Absatz lautet wörtlich:
Bis zur Errichtung der Organe der Bundesanstalt entscheidet über die Zuteilung der Mittel an die Träger der Arbeit ein aus
je vier Vertretern der Arbeitnehmer und
Arbeitgeber,
zwei Vertretern der Länder und
zwei Vertretern der Bundesregierung bestehender Ausschuß. Dieser Ausschuß kann seine Befugnisse an entsprechende Ausschüsse
bei den Landesarbeitsämtern übertragen.
Schließlich bestimmt ein neuer Abs. 4 die zuständigen Gremien, die die Benennung der Vertreter durchführen. Er heißt wörtlich:
Die Vertreter der Sozialpartner
— der Begriff „Sozialpartner" soll wie im Abs. 3 nach einem Antrag in „der Arbeitnehmer und Arbeitgeber" ersetzt werden —
werden von deren Spitzenorganisationen, die
Vertreter der Länder vom Bundesrat benannt.
In der Stellungnahme der Regierung wird diesem Vorschlag des Bundesrates gleichfalls zugestimmt. Die Regierung hält es aber für erforderlich, daß die Bundesratsfassung des § 1 Abs. 3 durch eine Ergänzung erweitert wird, die die Bestimmung enthält, daß der Bundesarbeitsminister oder dessen Beauftragter den Vorsitz in dem zu bildenden Ausschuß als Vertreter der Bundesregierung führt. Der Ausschuß ist diesem Vorschlag der Regierung nicht beigetreten, sondern ist der Auffassung, daß auch bei den kommenden Sitzungen dieses Ausschusses der Vorsitz wie bisher von einem Vertreter des Arbeitsministers oder vom Arbeitsminister selbst geführt werden soll und daß es deshalb auch nicht notwendig ist, diese Bestimmung über den Vorsitz eigens ins Gesetz aufzunehmen.
§ 2 des Gesetzes wurde bei Stimmenthaltung der Vertreter der SPD entsprechend der Gesetzesvorlage angenommen, wobei jedoch der bereitzustellende Kassenkredit von 50 auf 80 Millionen DM erhöht werden soll. Diese Erhöhung um 30 Millionen DM hält die Mehrheit des Ausschusses für notwendig, um durch eine entsprechende zeitgerechte Verplanung dieses Kassenkredites die oftmals langwierigen Vorarbeiten für die durchzuführenden Notstandsvorhaben zu ermöglichen. Um aber auch den Organen der Bundesanstalt die Disposition über diesen Kassenkredit zu ermöglichen, hält es die Ausschußmehrheit für geboten, einen Termin festzusetzen, bis zu dem dieser Kassenkredit an den Bundesminister der Finanzen abzuführen ist. Aus diesem Grunde sollen im Schlußsatz des § 2 die Worte: „bis zum 31. März 1952 abzuführen" eingefügt werden.
Ein neuer § 2 a bestimmt, daß auch das Land Berlin, wenn es gemäß Art. 87 Abs. 2 seiner Landesverfassung die Anwendung dieses Gesetzes beschlossen hat, der Vorteile dieses Gesetzes teilhaftig werden soll
§ 3 des Entwurfs bestimmt das Inkrafttreten des Gesetzes am Tage nach seiner Verkündung.
Zusammenfassend möchte ich Ihnen die Beschlüsse des Ausschusses zur Annahme empfehlen und Sie bitten:
1. dem Gesetzentwurf mit den aus der vorliegenden Zusammenstellung ersichtlichen Änderungen zuzustimmen;
2. die folgende Entschließung anzunehmen: Die Bundesregierung wird ersucht, bis zum Abschluß der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen aus dem Gesetz über die Finanzierung des Sofortprogramms zur Arbeitsbeschaffung im Rechnungsjahr 1951 den beteiligten Ausschüssen des Bundestages vierteljährlich eine Ubersicht über die verausgabten und eingeplanten Mittel zu geben. Aus dieser Übersicht soll die Zuweisung an die Länder ersichtlich sein, weiterhin die Art der Objekte, für die eine Finanzierung auf Grund dieses Gesetzes erfolgt.