Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Es ist kein Verdienst der Sozialdemokratischen Partei, nun hier initiativ geworden zu sein,
und ich glaube, sie ist mit uns einig, daß diese Frage hier in diesem Hause so ernsthaft — —(Fortgesetztes Lachen bei der SPD.)
— Ich weiß nicht, was dabei zu lachen ist, meine Herren und Damen von der SPD.
Sie haben durchaus die Möglichkeit, diese ernste Frage mit Gelächter zu beantworten. Wir bedauern, daß Sie das tun, und ich bedaure, daß Sie diese Frage immer wieder dazu benutzen, parteipolitisch eine Diskussion einzuleiten, meine Herren, bei der Sie etwas anderes meinen als nur nur das Wohl der Versicherten, bei der Sie zuerst die Organisationsform meinen!
Ich bitte doch, mir zuzuhören. Sie können ja antworten; Sie haben die Gelegenheit dazu. Setzen Sie sich doch nicht ins Unrecht durch das Geschrei, das Sie immer erheben, und hören Sie doch zu.
Auch ich habe dem Unfug zugehört, der oft genug hier von der Linken des Hauses vertreten wird, wenn es nur um eine sachliche Diskussion gehen sollte!
Wenn wir über die Reform der Rentenversicherung diskutieren, dann wollen wir hier — und das ist die Auffassung meiner politischen Freunde, die wir seit zwei Jahren an diesem Pulte immer wiederholen - endlich aufhören mit dem Weg zu einer Staatsbürgerversorgung, indem wir Versprechungen machen, die wir nicht halten können, und beginnen mit einer Reform unserer Sozialversicherung, einer Reform an Haupt und Gliedern, von der S i e zwar die Einheitsorganisation meinen, w i r aber die Wiederherstellung der Versicherungsgerechtigkeit.
Deshalb fordern wir wiederholt mit Ihnen die Beseitigung der einschränkenden Bestimmungen bei Doppelrenten. Wir fordern die Wiederherstellung des Anspruchs desjenigen, der, wie Frau Schroeder es richtig dargestellt hat, aus eigener Verantwortung Beiträge geleistet hat, und wir fordern weiter, daß die Rentenversicherung an die Situation der beschäftigten Frauen in Deutschland angepaßt wird, die in keinem Verhältnis mehr zu dem steht, was 1911 einmal Grundlage der Gesetzgebung war. Über ein Drittel aller neuen Arbeitsplätze, die die Bundesregierung geschaffen hat, sind von Frauen eingenommen, und über die Hälfte aller Versicherten in der Krankenversicherung sind Frauen; über ein Drittel in der Rentenversicherung ebenfalls. Und weil das so ist, wollen wir nicht, daß von dem Beitrag, den der männliche Versicherte zahlt, seine Frau und seine Kinder und sogar seine geschiedene Frau Renten bekommen, wenn von demselben Beitrag, den die weibliche Versicherte sogar freiwillig als Weiterversicherung zahlt, ihr dann die erworbene Rente gekürzt wird. Wenn es auch ein hartes Wort war, das der Herr Kollege Kohl gesprochen hat — nämlich der „Versicherungsbetrug" —, so müssen wir uns doch zu dieser Erkenntnis hier bekennen, wenn wir die Versicherungsgerechtigkeit wahrhaft wollen.
Aber, meine Herren von der Opposition, wenn Sie solche Dinge sachlich bei der Reform der Reichsversicherungsordnung begründen, werden wir im Ausschuß immer einig sein! In diesen Fragen sollten Sie doch darauf verzichten, gemeinsam mit der KPD immer dieselben Ausführungen über das „Ziel der Einheitsrentenversicherung" zu machen. Ich möchte nur das Beispiel herausgreifen,
das mich auch zu dem Zwischenruf vom „Grundbetrag in der Invalidenversicherung und in der Angestelltenversicherung" veranlaßte. Sie, die Inner der Materie, wissen, daß der Grundbetrag in der Invalidenversicherung vom Staat getragen wird, und Sie wissen, daß in der Angestelltenversicherung die Entwicklung deshalb eine andere war, weil hier nicht der Staat der Garant einer Staatsbürgerversorgung ist, sondern weil es sich hier um eine echte Versicherung handelt.
Die Angestelltenversicherung erhält nur Erstattungen für Auftragsangelegenheiten. Sehen Sie, darin unterscheidet sich unsere Auffassung ganz wesentlich von der Ihren. Auch Sie sollten heute nicht mehr die Erfahrungen Englands und Frankreichs übersehen. Sie sollten nicht mehr in öffentlichen Diskussionen, in öffentlichen Organisationen darüber sprechen, daß man in einem verarmten Volke ein Beispiel nachahmen sollte, das uns zu einem noch größeren Ruin führen würde, als es in Frankreich und England bereits geführt hat.
Das Experiment Berlin hat uns ebenfalls genügend praktische Lehren gegeben, um zu wissen, daß wir bei der Reform der Rentenversicherung alles tun müssen, um denjenigen, die Beiträge zahlen, auch wieder das Vertrauen zu geben, daß sie im Alter eine Rente erhalten.
Ich bin der Auffassung, daß der Weg des Sozialversicherungsanpassungsgesetzes nicht richtig war. Wir haben dem Gesetz damals auch nicht nur nicht zugestimmt, sondern haben in jeder Auseinandersetzung immer wieder erklärt, wie falsch dieser Weg war. Es ist nicht richtig, Mindestrenten zu geben, die heute zum Leben und zum Sterben nicht ausreichen, und den Menschen dann doch zur Fürsorge zu schicken. Es ist auch nicht richtig, die Fürsorgelasten von den Gemeinden auf die Sozialversicherungsträger abzuwälzen. Es ist ferner nicht richtig — und ich will Ihnen sehr gern diese wenig positiven Dinge sagen —, die großen gesundheitspolitischen Aufgaben des Volkes, wofür alle Steuerzahler die Mittel aufzubringen haben, auf die Sozialversicherungsträger abzuwälzen, und es ist ebenfalls nicht richtig, Einrichtungen zu schaffen, die nicht übersichtlich und klar genug sind, um die Mittel der Sozialversicherung so zu verwalten, wie wir uns das vorstellen. Ich brauche nur darauf hinzuweisen, daß wir als eine Leistung der Rentenversicherung die „Krankenversicherung der Rentner" haben, die bisher noch pauschal erstattet wird ohne Kontrolle, ob für den pauschal gezahlten Beitrag durch die Rentenversicherung auch wirklich die Versicherung in Anspruch genommen wurde,
und weiter, daß in den großen Auseinandersetzungen zwischen der Sozialversicherung und den Ärzten, in dem Kampf um die Neuordnung der Sozialpolitik heute noch kein ernsthaftes Wort über die Reform vom Wesen und Inhalt her gesprochen worden ist, sondern immer nur Schlagworte, die nichts weiter meinen als die Organisation.
Meine Freunde glauben an die Möglichkeit des deutschen Volkes, sich aus eigener Kraft verantwortungsbewußt zu reformieren und sich Versicherungsträger zu schaffen, in denen das höchste Ziel die Belohnung desjenigen ist, der aus der „Kraft der Persönlichkeit" freiwillig Beiträge leistet und Beiträge erspart,
von denen er auch etwas haben will. Wir glauben, 8 daß auf dem Wege zur Reform der Sozialversicherung mit einer „Psychose unserer Zeit", nämlich dem „Versprechen der totalen Sicherheit", endlich Schluß gemacht werden soll,
damit wir das beseitigen können, was in der Sozialversicherung ungerecht und unbillig ist. Wir werden für die Beseitigung der Paragraphen, die die Gewährung von Doppelrenten und den durch Beiträge erworbenen Rechtsanspruch einschränken wollen, im Ausschuß zusammen mit der Opposition kämpfen. Wir glauben auch nicht, daß die Gesetzgebung von 1911 die Grundlage sein kann, und wir sind überzeugt, daß wir einen Weg finden werden! Wir können uns aber nicht immer damit trösten lassen — das sei dem Herrn Arbeitsminister gesagt —, daß die mathematische Bilanz nach zwei Jahren noch nicht fertig ist, sondern wir müssen einen Weg finden, die Leistungen zu revidieren, die unverantwortbar sind, und Leistungen dort zu geben, wo sie aus Gründen der Beitragszahlung und der Gerechtigkeit gegeben werden müssen.