Rede von
Rudolf
Kohl
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(KPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (KPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben absolut Verständnis für die Nervosität des Herrn Bundesarbeitsministers,
wenn ihm peinliche Gesetzesvorlagen unterbreitet
werden. Er versucht dann, die Dinge mit einer
Handbewegung abzutun. So hat er es eben getan, indem er gesagt hat, daß wir außerhalb der Volksgemeinschaft stünden. Herr Bundesarbeitsminister, ich darf Ihnen sagen, daß dieser Satz in einer verflossenen Zeit zwölf Jahre lang ausgesprochen worden ist. Es spricht nicht für Sie, daß Ihre Nervosität in einem solchen Satz Ausdruck findet. Es wäre viel besser gewesen, Sie hätten sich mit der gesamten Problematik der in diesem Antrag angeschnittenen Fragen auseinandergesetzt. Dann hätten Sie den Empfängern der in Frage kommenden Renten einmal aufzeigen müssen, daß die Bundesregierung gar nicht gewillt ist, auf diesem Sektor irgend etwas Entscheidendes zu tun.
Wir bestreiten gar nicht, daß der Antrag Drucksache Nr. 2693 eine gewisse Verbesserung des bisherigen Zustandes bringen will, indem er den alten Zustand wieder herstellt, der vor der Brüningschen Hunger-Notverordnung des Jahres 1931 bestanden hat. Man sollte im Interesse der historischen Wahrheit aber auch feststellen, daß die damalige sozialdemokratische Reichstagsfraktion diese Brüningsche Notverordnung toleriert hat.
Ich glaube also, man sollte mit irgendwelchen Formulierungen sehr vorsichtig sein. Die Brüningsche Notverordnung brachte auch — und das bedarf ebenfalls einer Änderung — die Pflicht zur Tragung eines Anteils an den Arzneimittelkosten. Hierher gehört auch die Frage des Krankenscheins. Das sind alles Fragen, deren Lösung die Bundesregierung noch nicht in Angriff genommen hat. Der Weiterbestand dieser Verhältnisse wird also von der Bundesregierung absolut akzeptiert.
Wir sind grundsätzlich der Auffassung, daß es bei dem sozialdemokratischen Antrag um ein Teilproblem geht; das hat auch der Kollege Meyer bei der Begründung gesagt. Man kann das Problem aber nicht aus dem Gesamtrahmen der Sozialversicherung herauslösen. Es ist nicht uninteressant, auch zu diesem Gesamtfragenkomplex die Stellungnahme des Herrn Bundesarbeitsministers festzustellen, wie sie auf der Krankenkassentagung zum Ausdruck gekommen ist. Herr Minister Storch sollte dort zur Frage der Neuordnung der Sozialversicherung sprechen. Nach den Mitteilungen der „Neuen Zeitung" hat er eigentlich zu diesem Thema nicht in der Weise gesprochen, daß er konkrete Vorschläge seines Ministeriums entwickelt und zum besten gegeben hat, wie man sich dort die Dinge vorläufig denkt; sondern er hat — das ist, glaube ich, wert, festgehalten zu werden — gesagt, daß er sich gegen den anderen sozialdemokratischen Antrag wende, den Kreis der Versicherten zu erweitern. Er hat ausgeführt, dazu sei ein staatliches Gesundheitsgesetz ähnlich dem englischen erforderlich; aber dafür habe die Bundesregierung kein Geld. Er hat zum Schluß gesagt, geldliche Zuschüsse seien vom Bund nicht zu erwarten, denn der Bund sei arm und schwach.
Das klang auch bei seiner heutigen Rede durch, als er versuchte, den sozialdemokratischen Antrag mit versicherungsmathematischen Rechnereien zu erledigen, ohne dabei auf die grundsätzliche Seite dieser Dinge einzugehen. Es wäre besser gewesen, wenn der Herr Bundesarbeitsminister nun in Parallele zu der Rechnung, die er dem Bundestag vorgelegt hat, einmal die Rechnung des Herrn Bundesfinanzministers vorgelegt hätte, die in verschiedenen Pressemitteilungen abgedruckt wurde. Darin heißt es:
Die Anforderungen der Besatzungsmächte steigen,
wie das Finanzministerium mitteilt, laufend an. Sie haben im September erstmals den Jahresdurchschnitt von monatlich 600 Millionen erreicht. Die gewaltigen Bauausgaben der Besatzungsmächte für Flugplätze, Truppenübungslager, Kasernen und Depots kommen erst jetzt voll in Gang. Es wird deshalb in Bonn vermutet, daß die Anforderungen der Besatzungsmächte im Laufe der nächsten Monate sich um ein Bedeutendes steigern werden.
Nun, meine Damen und Herren, haben Sie zwei Tatsachen: einmal die unerhörten Anforderungen der Besatzungsmächte für eine Politik, die zum Schaden des deutschen Volkes ist,
und zum andern das Unvermögen und das Nichtwollen der Regierung, den Ärmsten der Armen, nämlich den Sozialrentnern, etwas zu geben.
Wir berühren dabei ein grundsätzliches Problem, das von einem prominenten Vertreter der CDU in echt „christlicher" Verantwortung auf dem Krankenkassentag aufgegriffen worden ist. Es handelt sich um einen Professor Dr. med. Flesch-Thebesius, der bemängelt hat, daß die Menschen viel zu oft zum Arzt liefen, und der der Meinung war, daß man in der gesamten Sozialversicherung wieder auf die Prinzipien ihrer Gründungszeit zurückkommen müsse und daß man darüber hinaus die Frage der durch die Beitragszahlung wohlerworbenen Rechte ad acta legen und Renten und Unterstützungen nur dem Kreis der wirklich Bedürftigen zahlen solle.
) Was hier von diesem weisheitsvollen Herrn Professor zum besten gegeben worden ist, trifft, glaube ich, das Kernproblem, über das Sie sich zu entscheiden haben. Solange die Sozialversicherung besteht, wurde über die Frage der Einheitlichkeit und über die Höhe der Leistungen diskutiert. Solange die Sozialversicherung besteht, geht es um die Anrechnung von Doppelrenten. Wir können grundsätzlich keiner Politik zustimmen, die es gestattet, daß die sogenannten wohlerworbenen Rechte durch staatlich sanktionierten Betrug umgemünzt werden — das ist der richtige Ausdruck dafür —, indem eine Rente auf die andere angerechnet wird. Nehmen Sie das Beispiel der Unfallrente. Diese Frage wurde bei der Verabschiedung des Körperbeschädigten-Leistungsgesetzes, des Bundesversorgungsgesetzes, wie es heißt, diskutiert. Auch da ging es um die Anrechnung der Renten, und es hat sich im Laufe weniger Monate gezeigt, daß die Anrechnung der Leistungen aus der Invaliden-, Unfall- und Angestelltenrentenversicherung auf die Leistungen aus dem Bundesversorgungsgesetz zu unerhörten Härten führt, die einmal sachlich nicht gerechtfertigt, zum andern rechtlich nicht fundiert sind und die eine Durchbrechung des Versicherungsprinzips bedeuten. Wir sind deshalb der Auffassung, daß eine Rente auf die andere nicht angerechnet werden kann; denn der Versicherte hat einen durch Zahlung von Beiträgen erworbenen Rechtsanspruch auf die Zahlung der ihm zustehenden Rente.
Niemand wird das bestreiten können. — Herr Kollege Arndgen, Sie sind wirklich nicht prädestiniert, darüber zu sprechen.
— Allerdings.
Sie können versichert sein, daß Sie für eine solche Gesetzgebung auch bei den Unfallverletzten kein Verständnis finden werden. Dieselben Grundsätze, die bei der Behandlung beispielsweise des Körperbeschädigten-Leistungsgesetzes diskutiert worden sind, gelten für den Kreis der Unfallverletzten. Wenn dieser Antrag vorsieht, daß der Tariflohn zugrunde gelegt werden soll, dann bleibt dazu festzustellen — und das ist in diesem Hause sehr oft ausgesprochen worden —, daß der jetzt gezahlte Tariflohn bei weitem nicht als Existenzgrundlage bewertet werden kann, sondern daß die Löhne von 60 % aller in Arbeit Stehenden weit unter dem Existenzminimum liegen.
Wenn man diese Tatsachen bei der Betrachtung des vorliegenden Antrags zugrunde legt, muß man allerdings sagen, daß das von der Bundesregierung und auch von dem Herrn Bundesarbeitsminister Storch so warm empfohlene Stillhalteabkommen ein Schlag in das Gesicht dieser Kreise ist, die sich bestimmt gegen diese Gesetzgebung zur Wehr setzen werden.