Rede von
Herbert
Wehner
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren! Noch einige Feststellungen, die auf Grund dieser Debatte notwendig geworden sind. Der Abgeordnete Freiherr von Rechenberg hat hier — ich nehme an, namens der FDP — einige Erklärungen über unsere Politik gegeben, die nicht unwidersprochen bleiben können. Ich muß allerdings sagen, Behauptungen, die stellenweise zu Unterstellungen werden, um nicht ein härteres Wort zu gebrauchen, sind kein Diskussionsgegenstand für dieses Haus.
Es ist — ich zitiere dem Sinne nach — gesagt worden, die SPD werde nirgends Gefolgschaft finden für einen Friedensvertrag ohne die Gebiete jenseits der Oder und Neiße. Meine Damen und Herren! Ohne jede Polemik stelle ich hier fest: Am 9. März hat der Sprecher unserer Fraktion, Herr Abgeordneter Schumacher, zu dieser Frage folgendes erklärt:
Der Hauptbestandteil eines Friedensvertrages noch 1951 wäre aber ein anderer. Er soll die Befreiung der Sowjets von ihrer größten europäischen und deutschen Sorge sein, die imstande ist, das ganze Satellitensystem zu schwächen und zu lähmen. Das Hauptziel dieses Friedensvertrages wäre, die deutsche Zustimmung zur Oder-Neiße-Linie als der endgültigen Grenze zu erlangen. Zur gleichen Zeit, in der man hier wilhelminisch, hitlerisch und in allen anderen Sprachen des Nationalismus unserem Volk propagandistisch kommt, verhandelt der sogenannte Ministerpräsident von
Pankow mit Polen! Dieser Monat März ist der Monat der deutsch-polnischen Freundschaft.
Wir
— so sagte der Sprecher meiner Fraktion welter — wollen die Freundschaft mit dem polnischen Volk — aber nicht um den Preis des deutschen Selbstmords. Die Kommunisten haben nicht das Recht, auf Menschen und Gebiete Deutschlands zu verzichten, die ihnen doch nicht gehören, diese kommunistische Partei, eine Funktion einer Besatzungsmacht!
Ich stelle das nur zu den unserer Politik hier gemachten Unterstellungen fest.
Es ist hier weiter gesagt worden, wir spielten mit der deutschen Zukunft, und die sozialdemokratische Politik komme auf Potsdam hinaus. Ich stelle hier aus der Rede des Abgeordneten Dr. Schumacher in Hamburg vom 9. Oktober folgendes fest — ich darf es mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten zitieren —:
Es gibt hier kein starres System der Reihenfolgen. Selbst die Freunde der jetzt angebotenen Form der westeuropäischen Integration werden wohl kaum die Integration Westeuropas mit dem Verzicht auf die deutsche Einheit erkaufen wollen. Das wäre aber das Ergebnis der hier propagierten Linie. Integration und Einheit dürfen nicht miteinander konkurrieren, am wenigsten aber solche Integrationsverträge, die sogar für den deutschen
Westen die deutsche Selbstaufgabe sind.
Die Sozialdemokratische Partei ist ihrer internationalen Linie und Konzeption treu. Sie ist also nicht gegen eine Integration schlechthin, sondern diese konkrete Integration, die die Bundesrepublik unter fremde Verfügungsgewalt bringt und damit jeder Anziehungskraft beraubt.
Diese zweite Feststellung zu der zweiten Behauptung.
Der Herr Bundeskanzler hat sich mit einigem beschäftigt, was ich hier namens meiner Fraktion vorgetragen hatte. Ich meine — ohne dies vertiefen zu wollen —, die Kritik der Opposition kann auch in diesem Falle der deutschen Position nützen. Prüfen Sie sie sachlich und gründlich, und vielleicht finden Sie einiges, was Sie bei solcher sachlichen und gründlichen Prüfung anders beurteilen als jetzt in der Hitze des Gefechts.
Ich will hier auch nicht vertiefen, was über die Kompetenz der Nationalversammlung gesagt worden ist. Unser Standpunkt ist ernsthaft dargelegt worden, und er ist aus ernster Sorge geboren. Sie müssen sich, wenn Sie eine andere Auffassung haben, mit ihm auseinandersetzen. Das kann aber doch nicht Anlaß zu einer Polemik sein, die jenseits sachlicher Auseinandersetzungen liegt. Unserer Auffassung nach entsteht die Einheit aus elementarem Recht. Unserer Auffassung nach enthält der Art. 146 des Grundgesetzes die Aufforderung an alle Deutschen — die wir lebendig machen und zu einem politischen Faktor machen müssen —, für die Einheit zu wirken. Das ist unser Standpunkt.
Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat hier über das gesprochen, was ich in dem Zusammenhang von Verdächtigungen gesagt habe. Ich stelle nur fest: das bezog sich nicht einfach oder, wenn Sie wollen, gar nicht auf das, was sich gestern hier ereignet hat. Wenn Sie die Rede
nachlesen, werden Sie finden, daß das andere Zusammenhange hatte. Aber weil dieser Zusammenhang hier in die Debatte hineingebracht worden ist, möchte ich feststellen, daß das Abrücken der sozialdemokratischen Fraktion von der gestrigen Rede des Abgeordneten Dr. Luetkens allein durch den Widerspruch bestimmt war, der in dieser Rede gegen die erklärte Politik der Sozialdemokratischen Partei enthalten war. Hier liegt der einzige Grund. Die Haltung des Bundeskanzlers und der anderen Parteien hat dabei für die Sozialdemokratie keine Rolle gespielt.
Der Herr Bundeskanzler ist leider mit keinem Wort auf das eingegangen, was ich über den „Rheinischen Merkur" und die darin enthaltenen Ausführungen gesagt habe. Ich stelle das hier mit Bedauern fest.
Zu der Erklärung, daß nicht angesagt gewesen sei, heute die Wahlordnung zu behandeln, stelle ich lediglich sachlich fest — das ist kein Streitgegenstand —, daß der Herr Bundesminister Kaiser und sein Staatssekretär im Ausschuß für gesamtdeutsche Fragen dies in Aussicht gestellt hatten. Wenn sich das später geändert hat, so ist das also eine Angelegenheit auf anderer Ebene.
Zum Schluß darf ich vielleicht trotz des Lärms, der zur Zeit in diesem Hause herrscht, noch eine Feststellung treffen. Sie betrifft das, was der Bundeskanzler über einen Irrtum meinerseits, wie er meinte, bezüglich des hier am 27. September gefaßten Beschlusses gesagt hat. Ich hatte diesen Beschluß zitiert und will mir erlauben, noch einmal einige Sätze daraus wiederzugeben. Es heißt unter Punkt 2 des Beschlusses — Sie finden ihn als Antrag auf Drucksache Nr. 2596 -:
Um dieses Ziel
— das in Punkt 1 behandelt wird —
zu fördern, wird die Bundesregierung ersucht: an die Regierungen der vier Besatzungsmächte die Aufforderung zu richten, dem deutschen Volk baldigst Gelegenheit zu geben, in freien, allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlen unter internationaler Kontrolle eine verfassungs- und gesetzgebende sowie regierungsbildende und kontrollierende Nationalversammlung für das Gebiet der vier Besatzungszonen und Berlin zu wählen.
Das war der Beschluß, der gefaßt worden ist. Der Herr Bundeskanzler, der gesagt hatte, ich irrte mich, ein solcher Beschluß sei nicht gefaßt worden, und es sei auch nicht ratsam, auf ihn zu pochen, hat mir nachträglich schriftlich mitgeteilt, daß er mich eben mißverstanden habe; denn Ziffer 1 des Beschlusses des Bundestags, sei den Hohen Kommissaren tatsächlich übermittelt worden; es liege aber eine Antwort hierauf noch nicht vor.
Das, meine Damen und Herren, zu diesen Feststellungen. Ich sage noch einmal: Prüfen Sie sachlich die Stellungnahme auch der Opposition! Vielleicht finden Sie einiges, was des Nachdenkens wert ist.