Rede von
Hans
Tichi
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als wir in den Montagblättern lasen, daß der Herr Bundeskanzler auf dem Parteitag der Exil-CDU am Sonntag erklärt hat, wir wären der deutschen Einheit näher, haben wir uns darüber aufrichtig gefreut, weil wir schon wegen unserer Schicksalsgefährten drüben die Schaffung eines geeinten Deutschlands ehrlich wollen und wünschen.
Die gestrige Erklärung des Herrn Bundeskanzlers hat diesen unseren Optimismus teilweise gedämpft. Wir anerkennen die Bemühungen der Alliierten, die notwendigen Vorbedingungen für freie, allgemeine, gleiche, geheime und direkte Wahlen in ganz Deutschland zu schaffen. Wir befürchten aber sehr, daß es bei den zwischen den Alliierten und Sowjetrußland vorhandenen Spannungen zu keiner befriedigenden Vereinbarung kommen wird. Es gibt im deutschen Volke Gruppen, die verlangen, daß parallel zu den Bemühungen der Alliierten direkte Gespräche zwischen Ost und West stattfinden und daß man diesen Gesprächen nicht aus dem Wege gehen solle. Auch die Wahlordnung, die die Regierung nach der gestrigen Erklärung des Herrn Bundeskanzlers vorbereiten soll, ist nach dieser Auffassung nur in freien Vereinbarungen zu formulieren und zu beschließen.
Meine Damen und Herren! Es ist selbstverständlich, daß für solche Gespräche zwischen West und Ost erst einmal die notwendigen Voraussetzungen geschaffen werden müssen. Wir wollen es deutlich sagen: Wenn heute von gesamtdeutschen Wahlen gesprochen wird, dann muß zuerst klar sein, daß es vorläufig lediglich um gemeinsame Wahlen in den vier Besatzungszonen Deutschlands geht und um nicht mehr. Wahre und wirklich gesamtdeutsche Wahlen sind unser wirkliches Ziel, dabei inbegriffen die Länder jenseits der Oder-NeißeLinie, das Sudetenland und das Land an der Saar. Herr Grotewohl muß endlich aufhören, die OderNeiße-Linie vorbehaltlos als definitive Friedensgrenze zu bezeichnen. Es muß aber auch sein
Außenminister Dertinger aufhören zu erklären, daß „die Sudetengebiete uns niemals gehörten und daß wir sie nie haben wollen; und wir wollen mit der gleichen Endgültigkeit auf dem Gebiete der territorialen Abmachungen mit der befreundeten Tschechoslowakei wie mit Polen Vereinbarungen treffen". So geht es natürlich nicht. Der Friede in Europa ist bedroht, wenn es nicht gelingen sollte, diese deutschen Volksstämme in einem gemeinsamen deutschen Vaterlande zu vereinigen, in dem sie ohne Furcht und Sorgen in wahrer Demokratie in Zukunft leben können.
Aber noch eins. Wir teilen die verfassungsrechtlichen Bedenken, die der bayerische Ministerpräsident Dr. Ehard in seinem Fernschreiben vom 13. 10. an den Herrn Bundeskanzler zum Ausdruck gebracht hat. Auch wir haben volles Verständnis dafür, daß ein wiedervereinigtes Deutschland, wenn es zu einer echten Einheit gelangen sollte, ein föderalistisches sein kann. Wir lehnen aber vom Standpunkt der Heimatvertriebenen im Osten und auch im Westen jeden überspitzten Föderalismus ab. Die bisherige Tätigkeit des Bundesrats, namentlich in der Frage der Umsiedlung, hat uns schwere Enttäuschungen gebracht und den wahrhaft engherzigen föderalistischen Egoismus auch einiger Aufnahmeländer deutlich gezeigt.
Wir bitten die Regierung, in ihren Bestrebungen, ein geeintes Deutschland zu schaffen, trotz aller Schwierigkeiten, die sich ergeben, unbeirrt fortzufahren. Nur so dienen wir dem Frieden in Europa und werden Deutschland vor einem neuerlichen Unglück bewahren.