Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Wenn ich als Sprecherin der Zentrumsfraktion zu der gestrigen Erklärung der Bundesregierung, zu der Frage gesamtdeutscher Wahlen Stellung nehme, geschieht es in dem Bewußtsein, daß damit ein Anliegen meiner politischen Freunde und meiner Person in das Kraftfeld der Außen-und Innenpolitik der Bundesregierung gerückt worden ist, dessen baldige Realisierung wir von ganzem Herzen bejahen.
Meine Stellungnahme und die der Zentrumsfraktion zum Osten und zur sowjetisch besetzten Ostzone hat in diesem Hohen Hause nicht immer die Bejahung gefunden, die man jetzt als selbstverständliche Voraussetzung für die Herbeiführung der deutschen Einheit durch gesamtdeutsche Wahlen feststellen kann. Denn noch vor einigen Monaten mußte man sich in diesem Hohen Hause sehr vorsichtiger Formulierungen bedienen, um nicht zumindest in den Verdacht zu kommen, gleichsam wie Parzival, gegenüber der kommunistischen Gefahr ein reiner Tor zu sein oder, wie andere glaubten, damit dem Kommunismus Vorschub zu leisten. Die Stellungnahme der Zentrumsfraktion und meine eigene gegenüber dem Kommunismus ist immer klar und eindeutig ablehnend gewesen, schon aus der ganzen weltanschaulichen und politischen Haltung meiner Partei.
Aber wir brauchten keine Schwenkung in. unserer Stellungnahme zur Ostpolitik jetzt vorzunehmen wie andere Parteien in diesem Hohen Hause, weil wir schon immer der Auffassung waren, daß man die Tür nach dem Osten und der Ostzone nicht zuschlagen darf, wenn man die Wiederherstellung der deutschen Einheit als die zentrale Frage der deutschen Politik sieht. Da bei der gegenwärtigen Stellung der Deutschen auf Grund des Potsdamer Abkommens — das möchte ich gegenüber den Darlegungen des Herrn Kollegen Reimann sagen — sowohl in der Bundesrepublik wie in der Ostzone die Durchführung der deutschen Einheit nicht ohne, sondern nur mit dem Willen der vier Besatzungsmächte möglich ist, mußte auch Sowjetrußland in das Blickfeld unserer Politik einbezogen bleiben.
Aus den Ausführungen des Herrn Kollegen von Rechenberg ist in seiner Rede — es war seine persönliche Einstellung — so etwas Ähnliches durchgeklungen: daß auch er seit Monaten für diesen Standpunkt gekämpft habe. Aber ich möchte es noch einmal sagen und dabei feststellen, daß sich die Motive, die er bei seiner Darstellung erwähnte, doch wesentlich von meinen und denen meiner politischen Freunde unterscheiden. Ich glaube, der Herr Kollege von Rechenberg hat mit seinen heutigen Darlegungen den Menschen drüben in der Ostzone viele Hoffnungen genommen,
weil er es nicht über sich bringen konnte, diese Frage der gesamtdeutschen Einheit freizuhalten von polemischen Darstellungen.
Wir sehen diese Frage — ich betone es noch einmal - als die Zentralfrage der deutschen Politik an, und wir werden die Bundesregierung in ihrer Politik der Forderung nach gesamtdeutschen Wahlen zur . Herbeiführung der Einheit Deutschlands in Freiheit in jeder Weise unterstützen, weil wir damit das von uns stets verfolgte Ziel der Erfüllung näherbringen.
Wir haben mit großer Genugtuung von der Erklärung der Regierungen der drei westlichen Besatzungsmächte Kenntnis genommen, daß sie den Willen und den Wunsch des deutschen Volkes nach gesamtdeutschen Wahlen voll und ganz unterstützen und bei der UNO die Bestellung einer unabhängigen Kommission beantragen werden, damit diese
für ganz Deutschland die notwendigen Voraussetzungen prüft, die zur Durchführung dieser Wahl erforderlich sind. Auch hier stelle ich mit Genugtuung fest, daß die Bundesregierung die Institution der Vereinten Nationen zur Durchführung dieser Arbeit vorgeschlagen hat, und ich glaube, wir haben am 27. September hier in diesem Hohen Hause die Bundesregierung aufgefordert, die UNO mit einzuschließen als die Organisation, die in der Lage ist und auch die Mittel dazu hat, die Voraussetzungen für gesamtdeutsche Wahlen zu schaffen. Ich stelle dieses nur darum fest, um einmal wieder an einen Antrag zu erinnern, den die Zentrumsfraktion vor Jahresfrist gestellt hat, die Aufnahme in die UNO als ein wichtiges Ziel der Bundespolitik zu sehen. Dieser Antrag wird vielleicht jetzt nicht mehr als so abwegig betrachtet. Der Herr Bundeskanzler sollte auch hier in dem Antrag meiner Fraktion eine Förderung und Unterstützung seiner Außenpolitik sehen, Deutschland immer mehr in den Bund der freien Völker einzugliedern.
Wenn, wie ich bereits feststellte, die Durchführung gesamtdeutscher Wahlen nur mit Zustimmung aller vier Besatzungsmächte möglich ist — und ich meine, wir können es nicht deutlich genug aussprechen, damit die Situation und die Position klar wird, in der wir uns befinden — und wenn die drei westlichen Besatzungsmächte diese Zustimmung bereits ausgesprochen haben — ich glaube, es tut der deutschen Ehre keinen Abbruch, wenn wir erklären, daß wir den Regierungen von Amerika, England und Frankreich für diese Zustimmung dankbar sind —, so müssen wir es heute in diesem Hohen Hause aussprechen, daß wir nunmehr erwarten, daß Sowjetrußland die gleiche Erklärung abgibt und sich ebenfalls in gleicher Weise bereit erklärt, durch eine internationale Kommission der UNO die Voraussetzungen für die Durchführung dieser Wahlen prüfen zu lassen. Ich spreche es mit aller Deutlichkeit aus, daß meine politischen Freunde und ich diese Erklärung und Zustimmung der Sowjetunion für ebenso erforderlich halten wie die der drei westlichen Besatzungsmächte, wenn nicht mit Recht der Verdacht aufkommen soll, daß die bisherigen Angebote der Ostzonenregierung nicht die Unterstützung von Sowjetrußland haben.
Ohne diese klare Unterstützung und Erklärung Rußlands haben auch offizielle Gespräche zwischen Deutschen in der Bundesrepublik und in der Ostzone keinen praktischen Wert. Alle gesamtdeutschen Gepräche von Deutschen über Herbeiführung der Einheit sind solange nicht fundiert, als es nicht eine alliierte Vereinbarung über ihre Realisierung gibt; und da eine Vereinigung der Deutschen in echter Freiheit nur über gesamtdeutsche Wahlen herbeigeführt werden kann, so muß solchen Gesprächen, wenn sie erfolgreich sein sollen, zuvor die klare Zustimmung von Sowjetrußland zu gesamtdeutschen Wahlen vorausgehen.
Denjenigen, die immer wieder an uns die Aufforderung richten — wie es auch heute Herr Kollege Reimann getan hat —, solche gesamtdeutschen Gespräche herbeizuführen — und die meisten draußen im Lande richten diesen Wunsch an uns aus der tiefen Sorge um das gesamtdeutsche Schicksal und vor allem um das Schicksal der Deutschen in der Ostzone —, muß man die wahre Situation klarmachen, daß es jetzt an Rußland liegt, die Voraussetzungen für die angestrebten deutschen Wahlen durch seine Zustimmung zu schaffen, damit die Vertreter der Ostzonenbevölkerung in Freiheit
deutsche Belange bei gesamtdeutschen Wahlen wahrnehmen können.
Auch der Vorschlag der Volkskammer, gemeinsame Beratungen von Volkskammer und Bundestag herbeizuführen, wie auch in diesem Hohen Hause heute durch die kommunistische Fraktion beantragt worden ist, hat in der gegenwärtigen Situation keine Aussicht auf positive Ergebnisse, sondern worauf es jetzt ankommt, Herr Reimann, ist die klare Stellungnahme Sowjetrußlands.
Herr Grotewohl und die Volkskammer sollten ihre
Aufgabe jetzt darin sehen, ihre Appelle nicht an
den Bundestag, sondern nach Moskau zu richten.
Zum Schluß noch einige Ausführungen. Uns ist hier ein kommunistischer Antrag in dem Sinne vorgelegt worden, wir sollten einen Friedensvertrag fordern. Wann ist es in der Weltgeschichte der Fall gewesen, daß besiegte Staaten den Friedensvertrag bestimmen können? Wenn die Dinge so einfach lägen, Herr Reimann, dann wäre es den Russen sehr leicht möglich gewesen, zumindest einmal den Österreichern ihren Friedensvertrag zu geben.
Meine Herren und Damen, durch die Stellungnahme der Bundesregierung und der Regierungen der drei westlichen Besatzungsmächte ist jetzt der erste Schritt dazu getan, daß der Eiserne Vorhang im Osten hochgezogen und damit eines der gefährlichsten Spannungsfelder für den Frieden Europas und der Welt verkleinert werden kann. Auch die Tür zu gemeinsamen deutschen Gesprächen könnte damit geöffnet werden. Es ist unsere Hoffnung und die. aller Deutschen, die es ehrlich mit dem Frieden meinen, daß jetzt Sowjetrußland den Schritt tut, den das ganze deutsche Volk in Ost und West ersehnt: in Einheit und Freiheit zur Befriedung Europas und der Welt beizutragen.