jener tiefgreifende und in die Zukunft weisende Wandel des Nationalgefühls unseres Landes.
Unser deutsches nationales Anliegen ist zugleich das europäische Anliegen; denn Westeuropa allein stellt nicht die Daseinsfülle Europas dar, und Osteuropa ist verlorengegangen an den Machtbereich der Sowjetunion. Ebensowenig wie ein Torso Europas im Westen bestehen kann, ebensowenig kann der Teil Deutschlands in der Bundesrepublik, der Westen Deutschlands, die Daseinsfülle ganz Deutschlands darstellen. Aber so wie aus dem westlichen Teile Deutschlands und aus dem westlichen Teile Europas die Energien und Impulse aufstehen, um das Ganze wieder darzustellen, das Ganze wieder zurückzugewinnen, die Wiederherstellung der mitteleuropäischen Ordnung und damit auch die Befreiung Osteuropas einzuleiten, so ist es unsere Aufgabe, Aufgabe dieser Bundesrepublik, sich als den Kernstaat, als den Treuhänder, als den Sachwalter all dieser Bestrebungen zu betrachten und den Weg der europäischen und damit auch unserer deutschen und der osteuropäischen Befreiung zu beschreiten.
Meine Damen und Herren! Es sind drei Richtungen, nach denen man diesen Weg praktisch zu gehen versucht. Die eine ist, Garantien zu schaffen, um in der sowjetisch besetzten Zone Zustände herbeizuführen, die die Durchführung freier Wahlen ermöglichen, d. h. die innere und äußere Befreiung der Menschen vom terroristischen Zwang herbeizuführen, der sie daran hindert, ihren Willen frei und unbeeinflußt zum Ausdruck zu bringen.
Die zweite Richtung ist, diesen freien Willen zum Ausdruck zu bringen, d. h. die Abhaltung freier, allgemeiner deutscher Wahlen.
Die dritte Richtung schließlich ist diejenige, die von der von der sowjetischen Besatzungsmacht beauftragten Regierung in Ostdeutschland einge-
halten wird, d. h. die Herbeiführung gesamtdeutscher Beratungen.
Wenn man das Maß der Initiative, die auf dem Boden der Bundesrepublik erstanden ist, mit dem Maß an Initiative vergleicht, das die Machthaber der sowjetisch besetzten Zone entfaltet haben, so ergibt sich folgendes klare Bild vor dem deutschen Volk. Die Bundesregierung hat Schritte unternommen, um den Zustand für die Abhaltung freier, tatsächlich freier gesamtdeutscher Wahlen herbeizuführen. Sie hat ferner mit allen Parteien dieses Hauses das Grundkonzept dafür erarbeitet, in welchen Formen diese freien Wahlen durchgeführt werden sollen. Diese entscheidende Initiative auf beiden Gebieten ist im Bereich der Bundesrepublik entfaltet worden.
Demgegenüber steht das überaus magere Ergebnis an Initiative der Machthaber der sowjetisch besetzten Zone, die nichts weiter herbeiführen wollen als ein Gespräch, um damit erstens die Herstellung der Voraussetzungen für eine freie Wahl und zweitens die Durchführung dieser Wahlen zu verhindern. Wir sagen demgegenüber: Die Leute dort drüben, die von der Sowjetunion gelenkt werden, sollen nun die Karten auf den Tisch legen und bekennen, was sie tatsächlich wollen, was ihre Auftraggeber zugestehen wollen, d. h. ob die Sowjetunion tatsächlich auf die weitere Eroberung mitteleuropäischen und insbesondere deutschen Gebietes verzichten will oder nicht. Um diese Frage geht es, und deshalb sind meine politischen Freunde nach eingehender Überlegung und Prüfung des Problems der Auffassung, daß über die eigentlichen Kernfragen gesprochen werden muß und nicht in ein verführerisches Manöver von Gesprächen ausgewichen werden darf, die gar nichts erbringen ' können und nur über die Tatsache hinwegtäuschen, um die es geht: die Befreiung der sowjetisch besetzten Zone von innerem und äußerem Zwang und die tatsächliche Durchführung der Wahlen.
Die Bundesregierung hat einen entscheidenden Erfolg errungen mit der gestern bekanntgegebenen Antwort auf ihre Note, die sie im Auftrag des Bundestages im Anschluß an die Beschlüsse vom 27. September an die Regierungen der drei Besatzungsmächte gerichtet hat. Es handelt sich um eine Dreimächteerklärung, nicht nur um leere Versprechungen der einen und der anderen Macht, nicht nur um eine leere Demonstration, sondern um einen Schritt bei der UNO auf Einsetzung einer Untersuchungskommission, auf den die Sowjetunion nun eine klare Antwort geben muß.
Lassen Sie mich noch ein Wort zu dem gesamtdeutschen Gespräch sagen. Da drüben wird stets die These vertreten, hier werde nur irgendein Vorwand in Gestalt der Legitimation oder Nichtlegitimation jener Machthaber gesucht. Meine Damen und Herren, das ist nicht die Frage. Unser Maßstab, unsere Frage, die wir uns ständig zu stellen haben, ist folgende: Was wünschen die Deutschen jenseits des Eisernen Vorhangs? Sie legitimieren uns; ihren Willen, ihren Wunsch haben wir zu erfüllen, und im Rahmen dieser ihrer Wünsche ist es überhaupt erst möglich, die praktischen Maßnahmen zu überlegen. Gespräche, die dazu dienen sollen, von der Verwirklichung der Befreiung und damit der Einigung hinwegzulenken, werden wir ablehnen; denn es wäre eine Versündigung an der deutschen Zukunft, auf eine solche Täuschung des deutschen Volkes hereinzufallen.
Zum Abschluß noch ein kurzes Wort zu dem, was man Integration in den Westen nennt. Hier besteht eine nicht unerhebliche Kontroverse zwischen der Opposition und der Regierung. Die Opposition hat oft erklärt: Im Ziele sind wir einig; der Streit geht um die Methoden. Ich glaube, die Stunde ist so ernst geworden, daß dieser überflüssige Methodenstreit ein Ende finden sollte. Es ist einleuchtend: eine Lösung der weltpolitischen Frage einer wirklichen Befreiung und damit der Einigung Deutschlands ist nur dadurch möglich, daß sich die westliche Welt zusammenfindet, und dazu ist die echte deutsche Partnerschaft erforderlich. Hierzu haben meine politischen Freunde seinerzeit in Hamburg fünf Forderungen aufgestellt, die ich hier wiederholen möchte: erstens die Forderung der Gleichheit im Rahmen der Gemeinschaft, zweitens die Forderung der gleichen Verteidigungswürdigkeit jedes .Gliedes dieser Gemeinschaft, drittens die Forderung eines Mitspracherechtes bei allen Instanzen, die über die Mittel und Möglichkeiten dieser Gemeinschaft verfügen, viertens das Prinzip des europäischen Lastenausgleichs, auf daß jeder nach seinen Kräften für die Gemeinschaft beitrage, und schließlich das Fundament, auf dem jede internationale Gemeinschaft ruhen muß, das Fundament des Vertrauens. Dies sind die fünf Hauptprinzipien, unter denen wir eine Integration sehen, eine Integration, die die unerläßliche Voraussetzung ist, um die von der Opposition geforderten praktischen Maßnahmen für die Einigung Deutschlands herbeizuführen.
Ich glaube, meine Damen und Herren, die Dinge sind einfach, viel einfacher, als sie die Kompliziertheit der Debatten insbesondere gestern vermuten läßt. Wir wünschen — und sind uns darin mit der Regierung einig — einen starken, klaren Impuls auf dem Weg zur Befreiung unserer ganzen Nation im Rahmen einer europäischen Gemeinschaft. auch der Befreiung aller osteuropäischen Völker, damit dieser europäische Kontinent als ein Faktor der Ordnung und des echten Friedens wieder entstehe.