Rede von
Dr.
Eugen
Gerstenmaier
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Angelegenheit verdient ganz zweifellos die Aufmerksamkeit dieses Hauses. Ich bin mit dem Herrn Antragsteller insoweit einig, und ich bedaure nur, daß seine Darlegungen, die, wie ich mich überzeugt habe, auf nackten Tatbestandsberichten beruhen,
bis jetzt nicht ein weiteres Echo in der Welt zu finden vermochten. In einem Augenblick, in dem wir mit billigsten und auch mit weniger billigen Propagandaparolen überschüttet werden, in denen es von Frieden und Einheit nur so knallt, stehen wir vor einer Situation, in der 50 000 Menschen wie die Hunde oder noch schlechter behandelt werden,
und das im Bereich des Nahen Ostens, in einem Gebiet, das wir jederzeit zu Europa gerechnet haben.
Das Trauerspiel, das sich sozusagen vor unseren Augen vollzieht und vor das die östliche Propaganda, die sich schamlos eine Friedenspropaganda nennt, den Vorhang der Lüge schiebt, das muß dem deutschen Volk hier einmal vor Augen gestellt werden. Es muß vor allem denen zum Bewußtsein gebracht werden, die meinen, hinter diesen Parolen von Frieden, Freiheit und Einheit, die uns aus dem Osten entgegentönen, könnte doch wenigstens ein Kern oder ein Schimmer von Wahrheit sein.
Meine Damen und Herren! Hier brauchen wir nicht an Sibirien, hier brauchen wir nicht an das Elend deutscher Kriegsgefangener hinter dem Ural zu erinnern; nein, was hier berichtet wird, das geschieht noch im unmittelbaren Bereich der europäischen Völker. Hier kommt an den Tag, hier wird wieder einmal jedem, der es wissen will, deutlich, wie der Friede und wie die Freiheit in den Ländern verstanden werden, die sich zum Wortführer des Friedens und der Freiheit in der Welt aufgeworfen haben.
— Herr Renner, ich will Ihnen einmal etwas sagen. Ich habe gestern abend geschwankt, ob ich Sie einmal fragen sollte, ob Sie nun mit einem klassischen Zitat von Johann Wolfgang Goethe oder mit einem französischen Zitat bedient werden wollen. Sie haben die Auswahl, Herr Renner. Ich finde, daß Sie gestern abend eine charmante Rede gehalten haben.
- „Von allen Geistern, die verneinen, ist mir der Schalk am wenigsten zur Last." Es gibt noch eine andere Möglichkeit, und das ist ein Wort eines französischen Philosophen: „Le communisme est une maladie senile". — Daran erinnere ich mich, wenn ich Sie hier höre mit Ihrem verzweifelten Auftrag, diese Tatbestände zu verwischen und dem deutschen Volke außer Sicht zu halten!
Das ist der Tatbestand, meine Damen und Herren! Das muß dem deutschen Volk zum Bewußtsein gebracht werden. Es muß vor allem denen zum Bewußtsein gebracht werden, die nun anfangen, zu meinen, man könne sich in Sachen der Freiheit vielleicht doch noch neutral verhalten. Keine Rede davon! Wir sind schon einmal zu spät gegen Tyrannen und Henker angetreten.
Meine Damen und Herren, nur einmal und nicht wieder!
Noch gibt es in diesem Hause, und zwar in allen Lagern — Herr Renner, auch bei Ihnen —, Männer, die die Spuren der Tyrannei und des Märtyrertums an ihrem Leibe tragen, und wir sollten vergessen, was wir hier der Freiheit und dem Leid von 50 000 Menschen schuldig sind?! Nehmen Sie, meine Damen und Herren, das, was Herr Kollege Ott hier als Tatbestand auf den Tisch gelegt hat, grimmig ernst. Es ist so, und wir sind in der Lage, die dokumentarischen Beweise dafür vorzulegen. Soviel zum Tatbestand.
Nun zum Antrag. Ich glaube nicht, daß der Antrag in der vorliegenden Form vollziehbar ist, und zwar aus Gründen rein formalrechtlicher Art, die ich hier nicht weiter auseinandersetzen will. Ich möchte Ihnen den Vorschlag machen, daß wir den Antrag heute dem Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten mit dem Petitum überweisen, daß er sich möglichst schnell mit der Sache befaßt. Ich bin nämlich der Meinung, daß hier im Plenum nicht die Diskussion darüber geführt werden kann, wie das Anliegen des Antrages am zweckmäßigsten hinsichtlich der Weltöffentlichkeit, aber auch hinsichtlich dessen behandelt werden kann, was im Rahmen des freien Teiles der deutschen Nation möglich ist, was von uns und durch unsere Hand an praktischer Hilfe für diejenigen geschehen kann, die dort in den Lagern vor Galatz liegen und einem elenden und jammervollen Schicksal im kommenden Winter entgegengehen. Diese Frage muß genau erwogen werden, und deshalb bitte ich, daß wir diesen Antrag, so wie er ist, dem Ausschuß überweisen und ihm das Petitum mitgeben, daß der Ausschuß diesen Antrag vorziehen und mit einigen praktischen Vorschlägen so schnell wie möglich zur definitiven Beschlußfassung an das Plenum zurückbringen möchte.