Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es tut mir leid, daß ich nicht in der Lage bin, zu verzichten, weil der Herr Bundeskanzler es für richtig gehalten hat, einige Bernerkungen zu unserer Erklärung zu machen, die ich nicht unwidersprochen durchgehen lassen kann. Ich glaube, es ist nicht die Aufgabe des Herrn Bundeskanzlers, hier im Anschluß an eine solche Erklärung der Fraktion als eine Art von Zensurbeamter zu wirken und Zensuren auszuteilen.
Ich möchte hier ausdrücklich feststellen, daß außerdem seine Argumentation, durch unsere Erklärung werde ein Teil des Schadens im Ausland behoben, von uns mit aller Eindeutigkeit zurückgewiesen wird.
Ich möchte hier ganz klar sagen, Herr Kollege von Brentano:
Wir haben diese Erklärung hier vorgetragen, um die Haltung unserer Fraktion über jedes Mißverständnis hinaus für jedermann, aber in erster Linie vor der innerpolitischen Öffentlichkeit klarzumachen, um eine parteipolitische Ausnützung etwaiger Mißverständnisse von vornherein zu vermeiden. Ich möchte in diesem Zusammenhang, wenn der Bundeskanzler es schon für richtig hält, hier von Schaden im Ausland zu sprechen, ihn bitten, mit einer solchen Erklärung gerade in seiner Position sehr vorsichtig zu sein.
Denn wenn deutsche Erklärungen die außenpolitische Situation der Bundesrepublik erschweren können, wie er unterstellt, dann hätten wir Sozialdemokraten gewünscht, daß der Herr Bundeskanzler mit dieser Eindeutigkeit und Klarheit auch nur ein einziges Mal von den Reden seiner wilden Männer im Kabinett abgerückt wäre.
Und eine weitere Bemerkung möchte ich hier noch hinzufügen: Selbst wenn man in einer parlamentarischen Debatte über den Etat des Bundeskanzlers konkrete Fragen an den Herrn Bundeskanzler richtet, bleibt man ohne Antwort.
Wenn die These des Herrn Bundeskanzlers in bezug auf das Ausland richtig ist, dann frage ich ihn, wie sein Schweigen gegenüber unseren Bemerkungen zu den Ausführungen des Herrn Ministers Seebohm im Ausland wirken muß?
Und nun eine zweite Bemerkung: Der Herr Bundeskanzler hat sich darüber beschwert, daß wir seinen Willen zur Einheit Deutschlands in Freiheit in Zweifel gezogen haben. Ich will in dieser späten Stunde mit dem Herrn Bundeskanzler über diese Frage nicht mehr diskutieren. Ich will ihm nur eines sagen: wir werden ja in den nächsten Wochen genügend Gelegenheit haben, die Durchführung der Beschlüsse des Bundestages hier in der Praxis zu beobachten.
Der Beweis für die Ernsthaftigkeit des Willens des
Herrn Bundeskanzlers wird dann erbracht werden
durch sein Verhalten hinsichtlich der praktischen Durchführung der Beschlüsse der Bundesregierung und des Bundestages.
Wir werden ja morgen nachmittag über diesen Punkt noch einige Bemerkungen, vor allen Dingen im Zusammenhang mit der heutigen Erklärung des Herrn. Bundeskanzlers, zu machen haben.
Und nun noch eine dritte und letzte Bemerkung.
— Ich diskutiere jetzt nicht mit dem Kreml, ich diskutiere mit dem Bundeskanzler der deutschen Bundesrepublik, und ich möchte jetzt auch keine Zwiegespräche mit Herrn Euler führen. Ich möchte nur eine dritte Frage hier zum Schluß aufwerfen: Ich finde es außerordentlich bedauerlich, aber nicht neu, daß in solchen Auseinandersetzungen wie heute der Herr Bundeskanzler, wenn er glaubt, er habe das letzte Wort, es immer wieder für richtig hält, der oppositionellen Partei durch irgendeine neue Erklärung in irgendeiner Weise noch eine neue Verdächtigung anzuhängen. Ich will ganz offen sagen, was ich meine.
Der Herr Bundeskanzler hat sich beschwert über den sozialdemokratischen Pressedienst und dessen Stellungnahme zu den Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers in Berlin in bezug auf die Oder-Neiße-Linie. Meine Damen und Herren, ich hätte gewünscht, daß, wenn schon der Herr Bundeskanzler darüber hier vor diesem Forum eine Diskussion haben will, er zur Sache gesprochen hätte;
denn das, was er hier vorgebracht hat, war doch nichts anderes als ein Versuch, der Sozialdemokratie zu unterstellen, sie sehe nicht ebenso wie jede andere Partei die Rückgewinnung der Gebiete östlich der Ooder und Neiße als entscheidende nationale Aufgabe an.
Um was geht es denn hier wirklich? Es geht doch darum, daß der Herr Bundeskanzler in Berlin gesprochen hat im Zusammenhang mit den Beschlüssen der Bundesregierung und des Bundestages in bezug auf die Vorschläge der sogenannten Grotewohl-Regierung und ihrer Volkskammer. In diesen Beschlüssen der Bundesregierung und des Bundestages ist in diesem Zusammenhang eine konkrete und aktuelle Aufgabe gestellt worden, nämlich die Aufgabe der Durchführung von freien Wahlen in den vier Zonen und in Berlin. Darauf bezieht sich die Regierungserklärung, und darauf beziehen sich die einmütigen Beschlüsse des Bundestages. Das politische Problem, vor dem wir jetzt in diesen Wochen stehen, ist, zu erkennen, daß sich auf die Lösung dieser konkreten Aufgabe dies neuen Hoffnungen der deutschen Menschen, insbesondere in der sowjetischen Besatzungszone, konzentrieren. Erst wenn wir diese Aufgabe erfüllt haben, erst von diesem Ausgangspunkt her kann die Rückgewinnung der Gebiete östlich der Oder und Neiße erfolgreich betrieben werden.
Der Herr Bundeskanzler hat nun im Laufe einer solchen von allen Parteien im Bundestag genaul
abgegrenzten Aktion in Berlin als ein Ziel der deutschen Einheit die Einbeziehung der Gebiete östlich der Oder und Neiße genannt.
In diesem Zusammenhang darf ich hier wohl, ohne
Widerspruch zu finden, feststellen, daß die Sozialdemokratie diese Zielsetzung seit 1945 als erste
deutsche Partei in die Öffentlichkeit getragen hat.
Und ich füge hinzu, meine Damen und Herren: Wenn der Bundeskanzler dieses Ziel deklariert, begrüßen wir Sozialdemokraten das. Aber wir haben es bedauert, daß aus seiner Rede in Berlin durch die Ausweitung des Themas Zweifel an der Ernsthaftigkeit des Willens des Bundestages von der anderen Seite hätten auftauchen können. Und ich füge weiter hinzu: Wenn schon der Bundeskanzler es für richtig hielt, in Berlin das Ziel der Außenpolitik über diese Aktion hinaus so zu formulieren, dann bedauern wir es, daß er bei dieser Feststellung deutscher Einheitsziele ein anderes rein deutsches Gebiet, das widerrechtlich aus unserem Staatsverband herausgelöst wurde, das deutsche Saargebiet, nicht genannt hat.
Meine Damen und Herren! Ich will diese Frage nicht vertreten; sie taucht in der Diskussion über die weiteren konkreten Schritte des Deutschen Bundestages in dieser Aktion wieder auf. Ich will nur eines abschließend sagen. Ich überlasse es Ihnen und überlasse es der Beurteilung der Öffentlichkeit, ob es einer Position, wie der Herr Bundeskanzler sie innehat, angemessen ist, daß er in einer so ernsten Diskussion eine so wichtige Frage zum Anlaß nimmt, um daraus nicht eine staatspolitische, sondern, wie ich meine, eine sehr egoistische, parteipolitische Chance zu gewinnen.