Rede von
Dr.
Heinrich
von
Brentano
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine Damen und Herren! Auch meine politischen Freunde hätten an sich zu dem Haushalt des Auswärtigen Dienstes einige Bemerkungen zu machen, einige Wünsche zu äußern, zu einigen Dingen kritisch Stellung zu nehmen. Aber wir sind der Überzeugung, daß nach dem Verlauf der heutigen Debatte alle diese Dinge doch weitgehend in den Hintergrund getreten sind.
Wir haben heute aus dem Munde des Sprechers der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei eine Erklärung gehört, von der ich nur sagen kann, daß ich bestürzt und entrüstet bin.
Wenn der Herr Kollege Luetkens seine Rede nicht fließend vorgelesen hätte,
dann würde ich vielleicht glauben, daß er sich versprochen hätte.
Aber er hat seine Formulierungen aus seinem Manuskript so genau vorgetragen, daß man sogar manche seiner Redewendungen kaum mehr zu verstehen vermochte. Aber einiges war sehr eindeutig zu verstehen.
Der Herr Kollege Luetkens hat als Sprecher seiner Fraktion erklärt, die Wiederherstellung der Souveränität Deutschlands,
der Bundesrepublik, sei nicht möglich, sie sei nicht tragbar und sie sei auch nicht wünschbar.
Meine Damen und Herren, das ist von dem Sprecher der gleichen Fraktion gesagt worden, die bisher seit Wochen und Monaten mit unermüdlicher Hartnäckigkeit dem Herrn Bundeskanzler vorgeworfen hat, er strebe das Ziel der Gleichberechtigung nicht mit dem nötigen Nachdruck an.
Wie kann denn die Gleichberechtigung verlangt werden, wenn man sagt — und auch hier wiederhole ich wörtlich —: Was wir wollen, ist das volle Recht, über innere Angelegenheiten zu bestimmen; wir wollen die volle innere Autonomie. — Diese volle innere Autonomie, meine Damen und Herren, entspricht meiner Überzeugung nach einem Kolonialstatut!
Und eben weht mir der Wind eine Mitteilung auf meinen Platz, die jetzt durch den Fernschreiber geht:
Die Bundeskanzler-Erregung überflüssig. Zu den Erklärungen des Kanzlers wird aus maßgebenden Kreisen der Bundestagsfraktion der SPD festgestellt, daß die Rede des Abgeordneten Dr. Luetkens, soweit sie sich mit dem
Aufbau und der Tätigkeit des Auswärtigen Amts befaßt, vorbehaltlos der Meinung der SPD entspricht.
Was darüber hinaus gesagt wurde, entspricht nur insoweit der Ansicht der SPD, als es mit den Parteitagsbeschlüssen und der letzten Hamburger Rede Dr. Schumachers in Übereinstimmung zu bringen ist.
Die Erregung des Kanzlers ist daher überflüssig, denn die Haltung der SPD liegt fest.
Meine Damen und Herren, ich möchte doch sagen: so einfach geht es nicht!
Hier hat der Sprecher der Fraktion der SPD gesprochen,
und dann wird uns gesagt: „Das stimmt nur insoweit mit der Auffassung der Fraktion der SPD überein, als es mit den Parteitagsbeschlüssen und der letzten Hamburger Rede Dr. Schumachers in Übereinstimmung zu bringen ist." — Meine Damen und Herren, wir sind hier im Deutschen Bundestag und nicht auf dem Parteitag der SPD!
Ich finde, daß das deutsche Volk einen Anspruch darauf hat, hier aus dem Munde eines verantwortlichen zuständigen Sprechers der Sozialdemokratischen Partei deren Auffassung kennen zu lernen.
Die Verweisung auf irgendwelche vorangegangenen Parteitagsbeschlüsse ist, wenn ich mich der Worte des Herrn Kollegen Luetkens bedienen darf, unziemlich gegenüber diesem Hohen Haus.
Ich hatte keinen Zweifel daran, als ich diese erstaunlichen Ausführungen des Herrn Luetkens, der sich zur Zeit nicht mehr im Saale aufhält, hörte,
daß sie nicht der Auffassung der Sozialdemokratischen Partei entsprechen können;
denn Sie hätten sich damit wirklich in einen Widerspruch zu ihren bisherigen Erklärungen gesetzt, der unverständlich gewesen wäre.
Aber daß es möglich ist, daß der außenpolitische Referent der Sozialdemokratischen Partei und als solchen bezeichnet sich der Abgeordnete Luetkens auch in offiziellen Kundgebungen — eine solche Erklärung abgibt, ist wohl Anlaß genug dafür, daß sich nicht nur der Herr Bundeskanzler erregt, sondern daß wir uns alle und daß sich das deutsche Volk erregen sollten.