Rede von
August-Martin
Euler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DP)
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Namens der Freien Demokraten muß ich unserem großen Erstaunen und Befremden darüber Ausdruck geben, daß es in diesem Bundestag bei einer maßgebenden Debatte einen Sprecher der sozialdemokratischen Fraktion geben konnte, der erklärte, es sei heute nicht wünschbar, die Souveränität Deutschlands überhaupt anzustreben. Der Herr Bundeskanzler hat dazu das Notwendige gesagt. Ich möchte es nur noch in einer Hinsicht ergänzen.
Was erscheint denn dem Herrn Luetkens heute wünschbar? Er hat dankenswerterweise auch darüber Auskunft gegeben. Diese Auskunft lautete nämlich: innere Autonomie. Und die stellt er sich vor nach den vier Schlagworten des Morgenthauplanes: Demokratisierung, Denazifizierung, Demilitarisierung, Dekartellisierung. Man kann diese Worte nicht so nehmen, wie wenn sie keine bestimmt umrissene Bedeutung hätten. „Denazifizierung" bedeutet beispielsweise gerade diese bestimmte Form der Denazifizierung, die wir erlebt haben, mit ihren ganzen maßlosen Übertreibungen.
„Demilitarisierung" bedeutete von den sowjetischen Urhebern des Morgenthauplanes aus gesehen nichts anderes als ein auf die Dauer unbewaffnetes Deutschland, auf das man bei Gelegenheit, nämlich nach Beendigung der Besatzung, seinen Zugriff machen könnte. Und „Dekartellisierung" — nun, wir wissen, wie auch dieses Ziel in einer Weise aufgefaßt worden ist, von der man wirklich nicht sagen kann, daß sein Erstreben in deutschem Interesse gelegen wäre.
Aber viel bedenklicher noch als diese Erklärung über Nichtwünschbarkeit der Souveränität und Wünschbarkeit der Autonomie war die andere Erklärung, die Herr Luetkens abgab. Sie lautete nämlich wörtlich, daß durch die westliche Integration die Einigung Deutschlands um Jahrzehnte hinausgeschoben werde.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, auf diese Feststellung lege ich Wert:
Mit dieser Feststellung des Herrn Luetkens erleben
wir nicht einen völlig neuartigen Illusionismus der
SPD, sondern wir erleben nur die letzte Stufe
dieses Illusionismus, wie ihn Herr Schumacher bereits seit zwei Jahren predigt.
Diese fortgesetzte Verstärkung der nationalistischen Tonart mußte schließlich zu der Stufe führen, daß man nicht mehr sah, wie man sich durch das Agitieren gegen den Westen in eine Lage begibt, in der man beginnt, dem Osten, den Sowjets Vorschub zu leisten.
Das ist nicht zum erstenmal zum Ausdruck gekommen. Es sind schon genug sozialdemokratische Reden auch von Schumacher selbst bekanntgeworden, in denen ein ähnlicher Ton angeschlagen wurde. Aber es war immerhin bemerkenswert, daß dieser Ton heute zum ersten Male hier im Bundestag angeschlagen wurde, und das ausgerechnet an dem Tage, an dem die Westalliierten in einer Form, wie das bisher noch nie geschehen ist, ganz offiziell ihren Willen ausgedrückt haben, eine Politik der Wiedervereinigung Deutschlands zu betreiben, allerdings einer Wiedervereinigung nicht auf der Basis der einheitlichen Geltung des Systems der Gestapo und KZs in sämtlichen Zonen, sondern der einheitlichen Geltung der Freiheit in allen Zonen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, was bedeutet denn diese sozialdemokratische neue These, durch die westliche Integration werde die Einigung Deutschlands auf Jahrzehnte hinausgeschoben? Das bedeutet nichts anderes, als daß Deutschland in eine koreanische Situation gebracht wird, in der es etwaigen Angriffen der Sowjets in dem Augenblick, in dem es ihnen wenig riskant zu sein scheint, hoffnungslos preisgegeben wäre.
Wenn wir hier eine steigende Sicherheit feststellen können, wenn wir heute wegen der gesamten europäischen Lage weniger Sorge zu haben brauchen als vor einem Jahr, dann ist das nur darauf zurückzuführen, daß inzwischen eben Gott sei Dank diese westliche Integration einige Fortschritte gemacht hat und daß einige der westlichen Völker begonnen haben, der sowjetischen Macht eine reale Gegenmacht entgegenzusetzen.
Wir wissen, daß die Sowjets jede Gelegenheit benutzt haben, über irgendein Volk herzufallen, wenn sie glaubten, dies ohne das Risiko eines zweiten Weltkrieges tun zu können. So haben sie in den Jahren seit 1946 nacheinander Griechenland, Persien, China und Korea in Kämpfe verwickelt. Herrn Luetkens und den anderen Sozialdemokraten ist zu sagen, daß gerade dadurch, daß wir hier besatzungsfrei würden, andererseits aber demilitarisiert blieben, in Deutschland die koreanische Situation geschaffen würde, jene Situation, die die Sowjets früher oder später todsicher zum Anlaß nehmen würden, um Westdeutschland ohne Risiko in ihren Machtbereich einzubeziehen.
Man muß doch an die Gefahr denken, daß dadurch nicht nur die Befreiung Mitteldeutschlands auf friedlichem Wege verhindert wird, sondern daß auch Westdeutschland als Ausgangsbastion für die Wiederherstellung der deutschen Einheit in Freiheit verlorengehen kann. Die Gefahr des Verlustes dieser westdeutschen Bastion wird gerade durch eine Politik geschaffen, die darauf hinausläuft, letzten Endes genau dasselbe zu predigen wie das, was die verantwortungslosen Männer der SRP predigen und was andererseits die Noacks und die Niemöllers und die Heinemanns predigen: die waffenlose Neutralisierung eines unbesetzten Deutschlands, die Eröffnung der koreanischen Situation für unser Volk mitten in Europa.
Es ist hier heute eine Wendung der sozialdemokratischen Politik sichtbar geworden,
die schon mehrfach in Versammlungsreden angeklungen ist. Sie ist heute zum erstenmal hier im Bundestag unverhüllt hervorgetreten. Wir müssen bei diesem ersten Male mit aller Stärke den Warnruf über die Größe der Gefahr, die sich darüber erhebt, vor unserem Volke erschallen lassen. Es wird wahrscheinlich schon morgen Gelegenheit sein, Näheres darüber zu hören.