Meine Damen und Herren, die Anträge sollen jetzt nicht einzeln diskutiert werden. Wir wollen die Begründung vorwegnehmen und dann im Rahmen der Gesamtaussprache auch diese Anträge mitbehandeln.
Herr Abgeordneter Dr. Etzel wünscht entgegen der eben geäußerten Meinung, den Antrag Nr. 2549 der Drucksachen auch zu begründen. Bitte schön!
Dr. Etzel (BP), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will nicht einen Sündenspiegel, ein Sündenregister dessen, was leider geschehen ist, hier aufmachen, auch nicht einen Leitfaden dafür zu geben versuchen, wie es nicht gemacht werden soll. Ich will weder die leidvolle, demütigende Sache mit der Saar hier auftischen noch von der erdrückenden Höhe der Besatzungskosten und der schweren Zwangsauflage des
Kohlenexports und der Kohlenexportpreise sprechen, mich auch nicht über die Einmischung der Besatzungsmacht in die deutsche Rechtsprechung oder über die Außerkraftsetzung der soeben verabschiedeten Bestimmungen über Landesverrat für westliche Informanten, wie man so schön euphemistisch sagt, und über die Aufrechterhaltung der Produktionsverbote verbreiten. Ich will auch nicht näher die tragische 'Diaspora der deutschen Wissenschaftler, Forscher und Techniker schildern, die in fremden Diensten für fremde Zwecke arbeiten müssen, und möchte es mir versagen, im einzelnen auf die Wegnahme der Ergebnisse der deutschen Forschungsarbeit und Erfindungskraft der deutschen Patente einzugehen. Aber ich muß doch darauf hinweisen, daß bereits 1947 Stafford Cripps die Gesamtheit der deutschen Patente vor der britischen Industrie ausgebreitet hat und daß soeben die auf 29 Mikrofilmen aufgenommene, über 57 000 Karten umfassende Zentralkartei der IG-Farben, die die Forschungsergebnisse und die Geheimnisse der deutschen chemischen Fertigung der Weltmarkt-Markenartikel birgt, der britischen chemischen Industrie zugänglich gemacht wird.
Ich beschränke mich auf das Schicksal der deutschen Auslandsvermögen, zu denen auch die 1945 durch das Besatzungsgesetz Nr. 53 bei den Landeszentralbanken zusammengezogenen und als Devisen gesicherten, neuerdings aber unter Berufung auf das Kontrollratsgesetz Nr. 5 und das HICOMGesetz Nr. 63 den deutschen Besitzern entschädigungslos weggenommenen, auf ausländische Währung lautenden Wertpapiere gehören. Am Vorabend der internationalen Konferenz über die deutschen Auslandsschulden hatte die alliierte Oberkommission eine Bitte der Bundesregierung um Erwirkung eines Liquidationsstopps rundweg abgelehnt. Die Antwort der Besatzungsmacht war die Fortführung der Veräußerung deutscher Vermögenswerte im Ausland wie der englischen Siemens-Gesellschaft, der italienischen RobertBosch-Gesellschaft, des deutschen Botschaftsgebäudes in Washington, der Villa Wolkonsky, der Villa Bonaparte in Rom, der Villa Crispi in Neapel und anderer. Das alles geschah unter dem Rundhorizont des Europarates und des Schumanplans im Angesicht der Proklamation über die Beendigung des Kriegszustandes gegenüber Deutschland und der Forderung nach einem westdeutschen Verteidigungsbeitrag. Wir wollen freimütig bekennen, was ein vergangenes deutsches System gefehlt und zu verantworten hat, und nicht verheimlichen, daß Hitler beispielsweise die von ihm beschlagnahmte Berliner Sowjetbotschaft in ein deutsches Amt verwandelt hat. Aber ich darf mich vielleicht für berechtigt halten, darauf zu verweisen, daß nicht Deutschland die Beschlagnahme von Privateigentum im Krieg oder nach dem Kriege erfunden hat, daß es vielmehr die Alliierten waren, die die Enteignung des Privatbesitzes in die Geschichte des 20. Jahrhunderts eingeführt haben. Sie taten es. bereits im ersten Weltkrieg und unmittelbar nach seinem Ende, nahmen überall im Ausland deutsche Unternehmen, deutsche Schiffe, deutsche Häuser, deutsche Besitztitel weg und überantworteten die Besitzer der Armut. In und nach dem zweiten Weltkrieg wurden von den Alliierten sogar neutrale Staaten gezwungen, das Eigentum der deutschen diplomatischen Vertretungen mitsamt dem Porzellan zu verkaufen. Welch ein Sturz in die Tiefe gegenüber dem hohen Stand der Gesittung, Zivilisation und Rechtsethik des vielgeschmähten
19. Jahrhunderts, auf das die hochmütige Barbarität des 20. Jahrhunderts glaubt geringschätzig herabblicken zu können! Damals war nicht nur die Person des Gesandten oder Botschafters, sondern mehr und mehr auch das Gebäude unverletzlich, in dem er wohnte oder amtierte.
Wie weit sich die Alliierten von dem früher geheiligten und in der internationalen Landkriegsordnung verankerten Grundsatz der Achtung des Privateigentums entfernt haben, wird ersichtlich, wenn man sich daran erinnert, daß die Amerikaner nach dem ersten Weltkrieg den deutschen Besitz von Wertpapieren respektiert und sogar die Nachholung der Zahlung von Zinsen und Dividenden für die Kriegsjahre erlaubt haben. Als sich England und Frankreich vor fast einem Jahrhundert in einem mörderischen Krieg mit Rußland, im Krimkrieg, befanden, verfügte die russische Regierung die Weiterentrichtung der Zinsen für die von britischen und französischen Geldgebern gezeichneten, übernommenen und aufgebrachten Anleihen. Und es gab kein Aufsehen deswegen; so selbstverständlich war die Achtung vor Eigentum und Schuldtitel. Erlauben Sie mir noch den Hinweis, daß die Felddienstordnung, welche die deutsche Armee des ersten Weltkrieges im Tornister oder Offiziersgepäck mit sich führte, auch die Bestimmungen der Haager Landkriegsordnung über den Schutz des Privateigentums enthielt, die so einen integrierenden Bestandteil derselben bildete.
Das Besatzungsregime verwehrt uns, anerkannte und unverbrüchliche Grundsätze des Naturrechts und des Völkerrechts anzurufen. Nach Art. 3 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 13 der alliierten Oberkommission darf kein deutsches Gericht eine Entscheidung fällen, welche die Gültigkeit oder Rechtmäßigkeit eines Gesetzes, einer Verordnung, Richtlinie, Entscheidung oder Anordnung verneint, die durch die Besatzungsbehörden verkündet oder sonst veröffentlicht worden ist. Auf der anderen Seite haben die Alliierten darauf gedrungen, daß in das Grundgesetz eine Bestimmung — es ist der Art. 25 — aufgenommen wird, wonach die allgemeinen Regeln des Völkerrechts Elemente des Bundesrechts sind, den Gesetzen vorgehen und Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes begründen. Zu den allgemeinen Regeln des Völkerrechts gehören aber eben auch der Schutz und die Respektierung des Privateigentums im Kriege. Die Besatzungsmächte haben Restitutionsgesetze erlassen, um die Entziehung jüdischer und gleichgestellter Vermögenswerte im „Dritten Reich" rückgängig zu machen, und die gleichen Besatzungsmächte treffen Verfügungen, welche zu dem in dieser Rückerstattung zum Ausdruck kommenden Grundsatz der Unverletzlichkeit des Privateigentums in einem scharfen und schroffen Gegensatz stehen. Welches Volk soll sich in einem solchen Dickicht und Wirrwarr unvereinbarer Widersprüche noch zurechtfinden können!
Die Vorschriften des neuen alliierten Gesetzes Nr. 63 bestätigen die Maßnahmen, die auf Grund des Kontrollratsgesetzes Nr. 5 seit 1945 und auf Grund der in den alliierten Staaten erlassenen Gesetze sowie der interalliierten Vereinbarungen durchgeführt worden sind, und legen die Unanfechtbarkeit dieser Maßnahmen fest. Zugleich enthält das Gesetz die Legalisierung der vollzogenen Reparationen und Restitutionen. Auf Einzelheiten des Gesetzes kann ich hier nicht eingehen, auch nicht auf die Erläuterungen, welche die Oberkommission zu dem Gesetz veröffentlicht hat. Tatsache ist, daß es den Grundsatz der Unantastbarkeit des
Privateigentums völlig ignoriert. Wiederum liegt ein Fall vor, wo Kriegsfolgen auf einzelne Bürger und Bürgergruppen abgewälzt werden, die enteignet werden, während doch die Verantwortung bei der Gesamtheit liegt. Die alliierten Gesetzgeber werden sich hoffentlich keiner Täuschung darüber hingegeben haben, daß durch die Wegnahme und Liquidierung des deutschen Auslandsvermögens die Möglichkeiten zur Bezahlung der deutschen Auslandsschulden vermindert werden.
Der Grundsatz der Unantastbarkeit des Privateigentums ist Bestandteil des Gedankengutes der westlichen Welt. Indem ihm die Alliierten in einer so flagranten Weise entgegenhandeln, verleugnen und verlassen sie den Ausgangspunkt und das Fundament ihrer Politik. Sie arbeiten gegen sich selbst. Sie zerstören im deutschen Volke den Glauben an das Recht endgültig. Eine der wesentlichen Ursachen der großen Vertrauenskrise unserer Zeit ist der brüske Gegensatz zwischen dem, was wir verkündigen, und dem, was wir tun. Hier beginnt der Bereich der Psychologie, die bekanntlich gleichwohl nicht ins Feuilleton gehört, sondern ein Grundpfeiler der Politik ist und nicht ungestraft mißachtet oder vernachlässigt wird. Wenn die Bundesregierung klug, entschlossen und unnachgiebig den Alliierten gegenüber für die Rückkehr zu den Prinzipien der Unverletzlichkeit des Privateigentums eintritt, wird sie nicht nur, wie wir annehmen, an dem Bundestag, sondern an der gesamten Bevölkerung einen starken Rückhalt haben. Sie wird nicht nur für ein deut s c h es Anliegen, sondern für ein Anliegen der Zivilisation überhaupt streiten. Darum bitten wir sie; das erhoffen wir von ihr.