Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag des Zentrums Drucksache Nr. 657 enthält einen formulierten Gesetzesvorschlag. Der § 1 desselben ist insoweit gegenstandslos, als er sich auf die Aufhebung des hessischen Leistungspflichtgesetzes vom 26. Juni 1947 bezieht. Dieses Gesetz ist gemäß seinem § 30 bereits am 31. Dezember 1949 außer Kraft getreten.
Der Bundestag hat den Antrag in seiner 52. Sitzung am 27. März 1950 nach der ersten Beratung an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht überwiesen. Der Mündliche Bericht des Ausschusses enthält keinen formulierten Gesetzesvorschlag, so daß eine zweite und eine dritte Beratung im Falle seiner Annahme entfällt. Zur Beratung und Beschlußfassung stehen nur noch der Mündliche Bericht und der Antrag des Ausschusses.
Das von der nationalsozialistischen Reichsregierung am 13. Juli 1938 beschlossene Gesetz über Leistungen für Wehrzwecke, das sogenannte Wehrleistungsgesetz, ist durch die Verordnung des nationalsozialistischen Ministerrats für die Reichsverteidigung zur Änderung des Wehrleistungsgesetzes vom 1. September 1939 geändert und durch den Reichsminister des Innern unter der Bezeichnung „Gesetz über Sachleistungen für Reichsaufgaben " am 1. September 1939 verkündet worden. Wie schon zum Wehrleistungsgesetz von 1938 sind zum Reichsleistungsgesetz von 1939 Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Form von Durchführungsverordnungen und Bekanntmachungen durch den Reichsminister des Innern, das Oberkommando der Wehrmacht und den Generalbevollmächtigten für die Wirtschaft oder die von ihm ermächtigten obersten Reichsbehörden erlassen worden.
Das Gesetz hatte ursprünglich ausschließlich militärpolitischen Charakter. Es war ein wirkliches Wehrleistungsgesetz, ein Instrument der totalen Kriegführung für den A-Fall und seine Vorbereitung. Seit 1945 hat es vorwiegend wirtschaftspolitischen und allgemein politischen Charakter. Es hat Handlungen, Duldungen und Unterlassungen, Leistungen und Lieferungen, also Eingriffe in den „Eigentums- und persönlichen Freiheitsbereich" des einzelnen und der Gemeinden zum Gegenstand, rechtsstaatliche Garantien weitgehend ausgeschaltet und den Rechtsweg zugunsten der Verwaltungsbeschwerde ausgeschlossen. In der Regel entscheidet die höhere Verwaltungsbehörde als Beschwerdeinstanz endgültig. Nur bei Entschädigungswerten von über 100 000 Mark war sie in erster Stufe zuständig und danach die Beschwerde zum Reichsverwaltungsgericht möglich. Später haben allerdings Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes und die Ländergesetze über die Verwaltungsgerichtsbarkeit rechtsstaatliche Sicherungen gegen verfassungs- und allgemein gesetzwidrige Handlungen, Maßnahmen und Entscheidungen der Exekutive, also auch gegen offensichtlichen Ermessensmißbrauch und gegen flagrante Ermessens-
willkür geschaffen. Darüber hinaus ist aber das Verwaltungsermessen der verwaltungsgerichtlichen Nachprüfung entzogen. Jedenfalls stellt das Reichsleistungsgesetz einen ungewöhnlich tiefen Einbruch in die Rechtssphäre des Bürgers und den geheiligten Bezirk, den Naturschutzpark des Individuums dar.
Die Voraussetzungen und Bedingungen des Gesetzes sind zum größten Teil weggefallen, es ist nicht mehr zeitgemäß, es ist ein umgekehrter Anachronismus. Nach dem 8. Mai 1945 lieferte es die staatlichen Zwangsmittel für die Unterbringung der Besatzungstruppen und ihrer Angehörigen sowie der Flüchtlinge, Heimatvertriebenen und DPs und für Vergeltungsmaßnahmen gegen Vermögen und Wohnungen der PGs. Zweifellos hat es gerade in den ersten Jahren nach Beendigung des Krieges die Handhabe zu gar mancher krasser Verwaltungswillkür und zu grobem Unrecht geboten. Daher haben Hessen durch das Leistungspflichtgesetz vom 31. Juli 1947, verkündet im Gesetz- und Verordnungsblatt Seite 58 ff., und WürttembergHohenzollern durch das Notleistungsgesetz vom 11. Januar 1949, veröffentlicht im Regierungsblatt Seite 39 ff., das Reichsleistungsgesetz durch andere Bestimmungen ersetzt. Dabei hat das hessische Gesetz in seinem § 18 dem in Anspruch genommenen Bürger eine größere Rechtsgarantie gewährt als das württemberg-hohenzollernsche Gesetz in seinem § 17.
Der Süddeutsche Länderrat Stuttgart hat sehr bald nach seinem Zusammentritt die Ausarbeitung eines Sachleistungsgesetzes in Angriff genommen, das in den beteiligten Ländern unter gleichzeitiger Aufhebung des Reichsleistungsgesetzes verkündet werden sollte. Die Bemühungen des Süddeutschen Länderrats, die Länder der britischen Zone zur Beteiligung an der Ausarbeitung eines solchen Sachleistungsgesetzes zu bewegen, hatten zunächst keinen rechten Erfolg. Ein dann vom Rechtsausschuß des bizonalen Länderrats an dessen Direktorium gerichteter Antrag, der in die gleiche Richtung zielte, wurde in der Sitzung des Direktoriums am 30. Dezember 1947 angenommen. Der in der Folge ausgearbeitete Entwurf eines Sachleistungsgesetzes wurde als Initiativantrag des Länderrats in der Vollversammlung des Frankfurter Wirtschaftsrats am 15. Februar 1949 tagesordnungsgemäß in erster Lesung beraten. In der Debatte trat eine das Reichsleistungsgesetz überwiegend ablehnende Haltung des Wirtschaftsrats zutage. Schließlich wurde der Entwurf an die Ausschüsse für Wirtschaft, Recht und Verkehrswesen überwiesen. Eine Verabschiedung erfolgte nicht mehr. Auf Antrag des Wirtschaftsausschusses in der Vollversammlung des Wirtschaftsrats am 20. Juli 1949 wurde die Behandlung des Entwurfs eingestellt und die Entscheidung über den Gegenstand dem künftigen Bund überlassen.
Der Rechts- und Verfassungsausschuß des Bundestages hat den Antrag des Zentrums in seinen Sitzungen vom 17. und 24. Januar 1951 und vom 19. September 1951 beraten. Dabei war zunächst die Frage zu prüfen, ob und inwieweit die Vorschriften des Reichsleistungsgesetzes, sei es als allgemeines oder partikulares Bundesrecht, sei es als Landesrecht, im Hinblick auf die Beendigung des Krieges durch bedingungslose Kapitulation und auf die Beseitigung der Wehrmacht und NSDAP sowie mit Rücksicht auf das Besatzungsrecht, die Vorschriften der Länderverfassungen und die Bestimmungen des Grundgesetzes noch in Geltung sind. Ich darf davon absehen, hier im einzelnen auf diese schwierigen und verwickelten Rechtsfragen einzugehen, und mich auf die Feststellung beschränken, daß die herrschende Lehre, die Rechtsprechung und die überwiegende Staatspraxis das grundsätzliche Fortbestehen der Bestimmungen des Reichsleistungsgesetzes bejahen. Auch der Ausschuß ging bei seinen Beratungen hiervon und von der Auffassung aus, daß das Reichsleistungsgesetz bundesrechtliche und landesrechtliche Elemente
enthält.
Das bayerische Innenministerium und das bayerische Wirtschaftsministerium, das württembergbadische Wirtschaftsministerium und die württemberg-hohenzollernsche Regierung betonten die Unentbehrlichkeit des Reichsleistungsgesetzes bzw. des württemberg-hohenzollernschen Notleistungsgesetzes, gaben aber zu erkennen, daß sie nicht gegen die zugegebenermaßen notwendige Aufhebung des Reichsleistungsgesetzes seien, wenn gleichzeitig ausreichende Ersatzgesetze geschaffen würden und ergingen.
Im Verlauf der Beratung gelangte der Ausschuß allseits zu der Auffassung, daß eine baldige Ersetzung des Reichsleistungsgesetzes geboten ist. Meinungsverschiedenheit bestand zunächst darüber, ob der Bund zur Aufhebung des ganzen Gesetzes oder nur der zu Bundesrecht gewordenen Vorschriften befugt ist. Der Ausschußvorsitzende machte in der Sitzung am 24. Januar 1951 in Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse der Beratung folgenden Vorschlag:
Die Bundesregierung wird ersucht, dahin zu wirken, daß das Reichsleistungsgesetz vom 1. September 1939 mit seinen Durchführungsverordnungen und Bekanntmachungen je nach der Zuständigkeit von Bund und Ländern alsbald durch eine Neuregelung ersetzt wird. Der besonderen Lage im Lande Hessen und im Lande Württemberg-Hohenzollern ist Rechnung zu tragen.
Von mehreren Seiten wurde gewünscht, der Bundesregierung einen festen Termin zu setzen. Eine Abstimmung unterblieb aber wegen Beschlußunfähigkeit des Ausschusses.
Die Beratung wurde in der Sitzung am 19. September 1951 abgeschlossen. In ihr konnte der Vertreter des Bundesinnenministeriums mitteilen, daß von diesem bereits an dem Entwurf eines Bundesleistungsgesetzes gearbeitet wird. Der Ausschuß erhob dann den in der Beratung vom 24. Januar 1951 gemachten Vorschlag des Herrn Vorsitzenden des Ausschusses zum Beschluß mit der Maßgabe, daß an Stelle des Wortes „alsbald" die Worte „bis 31. Dezember 1951" gesetzt wurden. In dieser Fassung, die der bestehenden Rechtslage gerecht wird, liegt Ihnen, meine Damen und Herren, die Drucksache Nr. 2589 vor. Namens des 23. Ausschusses darf ich das Hohe Haus um Zustimmung zu dem Bericht und um Annahme des Ausschußantrages bitten.