Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die Aufgabe, vor Ihnen einen Antrag meiner Fraktion auf Herbeiführung eines Gesetzes über die Enteignung und die Überführung der Grundstoffindustrien in die Hand des Volkes zu begründen. Dieser unser Antrag betrifft eine Frage, die schnellstens gelöst werden muß, wenn unser Volk leben und eine gesicherte Zukunft haben will.
Nach 1945, nach den schrecklichen Erfahrungen des zweiten Weltkrieges, war es ein wesentliches Anliegen unseres ganzes Volkes, eine Änderung der Eigentumsverhältnisse in der Grundstoffindustrie herbeizuführen. In unseren werktätigen Schichten, vor allem in der Arbeiterklasse, wurde mit aller Schärfe die Forderung nach Entmachtung und Enteignung der deutschen Konzernherren gestellt. Diese Forderung entsprang der richtigen Erkenntnis, daß diese Herren entscheidend an der Vorbereitung von zwei Weltkriegen beteiligt waren. Schon nach dem ersten Weltkrieg wurde die unheilvolle Rolle dieser wirtschaftlichen Machthaber in Deutschland von breiten Teilen des Volkes erkannt. Eine der ersten Maßnahmen der damals einberufenen Nationalversammlung, aus der die Weimarer Republik hervorging, war die Einsetzung einer sogenannten Sozialisierungskommission. Damals gelang es den Herren von Kohle, Eisen, Stahl und Chemie, ihre Besitzrechte an der Grundstoffindustrie erfolgreich zu verteidigen; ja es gelang ihnen sogar, ihre wirtschaftliche Macht zu festigen und auszubauen und so zur entscheidenden politischen Macht in der Weimarer Republik zu werden. Weil sie die Besitzer der Grundstoff-industrien Deutschlands waren, weil sie damit die deutsche Wirtschaft beherrschten, konnten sie den entscheidenden Einfluß auf die politische Entwicklung der Weimarer Republik ausüben. Rückschauend kann heute einwandfrei nachgewiesen werden, daß es die deutschen Konzernherren waren, die die Weimarer Demokratie unterhöhlten, die den Nationalsozialismus züchteten und unser Volk dann in den zweiten Weltkrieg stürzten.
Dieser zweite Weltkrieg war die Krönung ihrer Zielsetzung. Sie wollten die Herren Europas, ja die Herren der ganzen Welt werden. Die Vorbereitungen und die Durchführung des zweiten Weltkrieges brachten diesen Herren gewaltige Profite ein. Mit ihren steigenden Gewinnen wuchs auch der Umfang ihrer Konzerne und damit die politische Macht dieser deutschen Monopolherren. Der zweite Weltkrieg, das verbrecherische Werk der deutschen Monopolherren, forderte von der ganzen Menschheit höchste Opfer an Gut und Blut und stürzte unser Volk in eine Katastrophe unerhörten Ausmaßes. Darum möchte ich unserem hier vorliegenden Antrage folgende Präambel vorausschicken.
Um zu verhindern, daß die alten Besitzer der Betriebe der Grundstoffindustrien, die den ersten und den zweiten Weltkrieg vorbereitet und ausgelöst haben, erneut die Möglichkeit erhalten, durch Zusammenballung von Besitz monopolistische Machtgebilde zu schaffen, die das gesamte wirtschaftliche, soziale und politische Leben beeinflussen und beherrschen, um zu verhindern, daß die Inhaber dieser Konzerne das deutsche Volk in einen neuen Weltkrieg verwickeln, um zu verhüten, daß die Betriebe der Grundstoffindustrien mittels des Schumanplans von deutschen und ausländischen Monopolherren als Instrument der Kriegsrüstung mißbraucht werden, darum muß das von uns beantragte Gesetz beschlossen und durchgeführt werden.
Niemand hier im Hause wird bestreiten, daß nach 1945 die übergroße Mehrheit unseres Volkes gefordert hat, daß die verbrecherischen Konzernherren, die Krupp, Flick, die Direktoren der IG-Farben und andere zur Verantwortung gezogen und bestraft werden sollten. Es wurde gefordert, sie zu entmachten und ihnen ihren Besitz, den sie in den Dienst des Unheils für unser Volk gestellt hatten, zu nehmen, um neuem Unheil vorzubeugen. Im Bewußtsein unseres Volkes steht fest, daß die Konzernherren schuldig sind an der Herbeiführung der beiden Weltkriege. Noch 1947 hat selbst der amerikanische Hauptankläger in Nürnberg, General Taylor, diese Tatsachen festgestellt. Ich möchte aber nicht unterlassen, hier zu betonen, daß wir es nicht für eine Aufgabe fremder Mächte, sondern einzig und allein als die Aufgabe unseres Volkes ansehen, diesen Kriegsverbrechern den Prozeß zu machen und sie an der Wiederholung ihrer alten verbrecherischen Taten zu hindern.
Entgegen dem klaren Wollen unseres Volkes und den früheren Behauptungen und Versicherungen der Besatzungsmächte — das müssen wir heute feststellen — sind die Konzernherren schon wieder im Besitz der wirtschaftlichen Macht. Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat sich veranlaßt gesehen, mit der Einstellung seiner Mitarbeit in den wirtschaftlichen Gremien zu drohen, und hat seine Haltung unter anderem damit begründet, daß die wirtschaftliche Entwicklung gekennzeichnet sei durch eine allgemeine Restauration alter reaktionärer Kräfte. Er hat den Satz hinzugefügt: „Die zunehmende Radikalisierung von rechts ist eine für den Bestand unserer jungen Demokratie nicht zu unterschätzende, ernste politische Folge dieser unheilvollen Entwicklung". Ich möchte diese Feststellungen unterstreichen. Es ist so, daß die Konzernherren im Besitze der wirtschaftlichen Macht jetzt schon wieder entscheidenden politischen Einfluß auf die Bundesrepublik und die Adenauer-
Deutscher Bundestag — 16^. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Oktober 1951 6859
Regierung ausüben. Ja, die gesamte Politik der
Adenauer-Regierung stellt diese als die beste Sachwalterin der Interessen der Monopolisten heraus.
Die Politik der Adenauer-Regierung hat die Position der monopolkapitalistischen Kräfte in Westdeutschland wesentlich verstärkt. Es ist darum auch kein Wunder, wenn heute in verstärktem Maße versucht wird, die kriegsverbrecherischen deutschen Monopolherren reinzuwaschen. Dazu ist zu sagen, daß sich diejenigen, die das tun, mitschuldig machen an den alten und den neuen Verbrechen, die diese Kriegstreiber begangen haben und heute wieder begehen. Diesmal sehen wir sie allerdings im Bunde mit den Herren der amerikanischen Stahl- und Chemietrusts, mit den Herren der Wallstreet gemeinsam das verbrecherische Geschäft der Vorbereitung eines dritten Weltkrieges betreiben. Daraus entwickelt sich für unser Volk eine ungeheure Gefahr. Darum ist es ein zwingendes Gebot der Stunde, diesen Konzernherren das schreckliche Handwerk zu legen und die Grundstoffindustrien in die Hand des Volkes zu legen.
Die Industriezweige, die von diesem unserem Gesetzesantrag betroffen werden, bilden die Lebensgrundlage der deutschen Wirtschaft. Die alten und neuen Konzernherren, die von den amerikanischen Bankiers und Stahlmagnaten ihre alten Positionen zurückerhalten haben, sind heute dabei, diese deutschen Grundstoffindustrien in den Dienst der amerikanischen Kriegspläne zu stellen. Damit wird unsere Schwerindustrie an ausländische und deutsche Rüstungsmagnaten ausgeliefert. Die Erhaltung der Grundstoffindustrie für den friedlichen Aufbau ist aber für das deutsche Volk eine Frage von Leben und Tod geworden.
Herr Berg, der Präsident des Bundesverbands der deutschen Industrie, erklärte nach seiner Rückkehr von Amerika, es sei seine Aufgabe, die Voraussetzungen und Grenzen einer deutsch-amerikanischen wirtschaftlichen Zusammenarbeit festzustellen, die sich aus einem deutschen Verteidigungsbeitrag ergeben könnten.
Heute schon spürt unser Volk die ganzen schweren Folgen dieser verderblichen Politik. 6,2 Millionen Tonnen Kohle pro Vierteljahr zuzüglich 6,5 Millionen Tonnen Besatzungsbedarf pro Jahr werden infolge dieser Kriegsrüstungspolitik unserer Wirtschaft und unserem Volk entzogen.
Die Folgen davon spürt nicht nur die Bevölkerung in der katastrophalen Versorgung mit Hausbrandkohle, sondern auch unsere Friedensindustrie in der geradezu lächerlich geringen Versorgung mit Kohle und Stahl. Daraus hat sich ein schwarzer und grauer Markt für Kohle und Stahl entwickelt, auf dem skrupellose Schieber höchste Gewinne für diese begehrten Produkte erzielen. Heute begreift auch der Dümmste, daß der Marshallplan, der dem deutschen Volk Aufstieg und Wohlstand versprach, uns in eine neue Katastrophe hineinzubringen droht. Heute erkennen wir den Preis, den wir für diese sogenannte amerikanische Hilfsbereitschaft und Mildtätigkeit zu bezahlen haben. Es ist der Preis des Blutes unserer Menschen und der Vernichtung unseres Landes.
Hat uns der Marshallplan in das System des aggressiven Atlantikpaktes verstrickt, so ist der Schumanplan die Zusammenfassung der europäischen und auch der deutschen Schwerindustrie zu einem riesigen Rüstungskonzern. Dem deutschen Volk wird damit seine Grundindustrie geraubt. Der
deutschen Friedensindustrie wird durch diese Maßnahme nicht nur jede Möglichkeit für eine aufsteigende Entwicklung genommen, sondern sie wird gedrosselt und damit in ihrer Existenz bedroht.
Herr Generaldirektor Dr. Northoff vom deutschen Volkswagenwerk wie auch Vertreter unserer Schiffbauwerften haben erst in den letzten Tagen zu diesem Thema interessante Mitteilungen gemacht. Alle Tage wird unser Volk von den ausländischen und den deutschen Konzernherren vor neue verderbenbringende Tatsachen gestellt. Das, was man in der Stahl- und Kohlenindustrie mit Entflechtung bezeichnet, ist in Wirklichkeit eine neue Konzentration des Monopolkapitals und der monopolkapitalistischen Kräfte. Die Börsen verzeichnen diese Entwicklung mit einem steigenden Kurs der Konzernaktien. Es ist bezeichnend, daß diese heute generell über pari stehen. Zum Beispiel stehen die Aktien der Vereinigten Stahlwerke bei 125, und der Hoesch-Konzern kann 120 verzeichnen. Die Konzernherren haben also ihren Besitz nicht nur erhalten, sondern noch vermehrt, während die Massen der kleinen Sparer 93,5 % ihrer Ersparnisse durch die Währungsreform einbüßten.
Heute ist es offensichtlich, daß die sogenannte Entflechtung eine wohlgeplante Aktion der Monopolherren zur Festigung und Erweiterung ihres Reichtums und ihrer Macht ist. Heute schon wird ganz offen darauf Kurs genommen, die Aktien der Altkonzerne in Aktien der neugebildeten Kerngesellschaften umzutauschen. Nachdem also mit den Steuergroschen des Volkes und durch die fleißige Arbeit der aufbauwilligen und fortschrittlichen Kräfte die Kriegsschäden an der Grundstoffindustrie beseitigt, neue Kapazitäten erstellt wurden und der Reichtum der Konzerne wesentlich vermehrt wurde, treten nunmehr die Konzernherren wieder offen als die Eigentümer dieses Besitzes auf den Plan.
Die kommunistische Fraktion hat aus diesem Grunde einen weiteren Antrag eingebracht. Dieser besagt, daß der Umtausch von Aktien der neugegründeten Einheitsgesellschaften in der Montanindustrie gegen Aktien aus früherem Aktienbesitz verboten werden muß. Dieser Antrag wendet sich an den Bundestag, die Regierung zu beauftragen, den Willen des Bundestags den Hohen Kommissaren mitzuteilen, einen solchen Umtausch von alten Aktien in Aktien der neugegründeten Einheitsgesellschaften zu verhindern.
In diesem Zusammenhang müssen wir auf die geplante Investitionshilfe aufmerksam machen, die aus den Mitteln der Klein- und Mittelindustrie für die Konzernherren gegeben werden soll. Da kann man nur sagen,. daß die Kleinen für die Großen weiter bluten sollen. Viele Milliarden haben die Monopolisten an dem Fleiß der Arbeiter verdient, indem sie nach 1945 den Lohnanteil an der Produktion systematisch gesenkt und ihren Gewinnanteil skrupellos erhöht haben. Die Beteiligung am amerikanischen Kriegsrüstungsgeschäft brachte und bringt weitere Milliarden. Die Konzernaktien steigen. Gegenüber dem Stand von 1948 haben sich die Kurse für Aktien der Kohle- und Eisenindustrie bereits verdreifacht, ja vervierfacht und verfünffacht. Von ihrer Adenauer-Regierung fordern die Konzernherren jetzt, daß sie der Friedensindustrie Milliarden nimmt, um sie ihnen, den Monopolisten, als Investitionshilfe zu geben, um so ihren Reichtum, ihren Einfluß und ihre Macht noch zu vermehren.
Unsere Konzernherren wissen vor allem auch ihre internationalen Verbindungen zu ihrem schmutzigen Vorteil auszunutzen. Sie haben nicht nur ihren Verbandsvorsitzenden Herrn Dr. Berg, sondern auch ihren Wirtschaftsminister Erhard nach Amerika geschickt.
Klar zeigt die Generalklausel des Washingtoner Abkommens, welche Fäden dort gezogen wurden. An den gegenwärtigen Besitzverhältnissen in Westdeutschland soll nicht gerührt werden, weil die Amerikaner das nicht wollen, weil sie in den deutschen Konzernherren Bundesgenossen haben, die ihnen helfen, den dritten Weltkrieg vorzubereiten. Das ist der Sinn des Washingtoner Abkommens.
Darum ist es entgegen allen nationalen Interessen unseres Volkes, wenn Dr. Adenauer auf der Grundlage dieses Abkommens Geheimverhandlungen mit den Hohen Kommissaren führt. Uns Deutsche kann und darf das Washingtoner Abkommen nicht davon abhalten, das zu tun, was unserem Volke dient. Das Lebensinteresse unserer Wirtschaft und unseres Volkes verlangt gebieterisch eine Sicherung unserer deutschen nationalen Interessen durch die Wiederherstellung und Wahrung der nationalen Souveränität unseres Volkes. Es ist darum höchste Zeit, daß das deutsche Volk und seine Gesetzgebungskörperschaften in die von aus- und inländischen Monopolisten herbeigeführte gefährliche Entwicklung entschlossen eingreifen und daß sie unsere Grundstoffindustrie vor der Verschacherung an das Ausland schützen und sie in den Dienst einer friedlichen deutschen Arbeit und eines friedlichen deutschen Aufbaues stellen.
Diese Absicht lag und liegt nach wie vor dem Bemühen aller fortschrittlichen deutschen Kräfte zugrunde. Vor allem haben die vielen Millionen deutscher Gewerkschaftsmitglieder immer wieder gefordert, daß die Grundstoffindustrie in die Hand des Volkes gehört. Diese Forderungen haben die deutschen Gewerkschaften auf einer ihrer Interzonentagungen erhoben und in Beschlüssen festgelegt. Im Osten unserer Heimat ist dieser Beschluß verwirklicht,
im Westen noch nicht. Leider haben eine Reihe von Gewerkschaftsführern sich für diesen Beschluß nicht mit der nötigen Energie eingesetzt. Es genügt nicht, daß der DGB in seinem Beschluß über die Einstellung der Mitarbeit in den wirtschaftspolitischen Gremien auf die Gefahr der Restauration der alten reaktionären monopolkapitalistischen Kräfte hinweist.
Es fehlt hier die Konsequenz in der Durchsetzung der Forderung der Gewerkschaftsmitglieder nach Entmachtung dieser reaktionären Kräfte durch die Millionenkraft der Gewerkschaften.
Wie des öfteren schon mitgeteilt wurde, hat auch die SPD-Fraktion dieses Hauses einen Antrag ähnlich dem unseren in Vorbereitung. Wir sind gespannt darauf, wann dieser Antrag hier erscheint. In der Presse konnten wir letztens lesen, daß maßgebliche SPD-Führer bereit sind, diesen Antrag einer Eingliederung der deutschen Monopolindustrie in die amerikanische Kriegsrüstungsfront zu opfern. Ich weiß, daß dieses nicht dem Wollen der Millionen
Mitglieder und Anhänger der Sozialdemokratischen Partei und vor allem nicht dem Wollen der Millionen Gewerkschaftler in Westdeutschland entspricht. Diese wollen eine friedvolle Entwicklung; diese wollen keine Militarisierung; diese wollen keine Kriegsrüstung. Sie wollen friedliche Arbeit, friedlichen Aufbau und eine gesicherte Zukunft. Diese friedliche Zukunft dem ganzen deutschen Volke zu geben, das ist der Sinn und der Zweck unseres Antrags.