Rede von
Dr.
Bernhard
Reismann
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FU)
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn man durch die zerstörten Städte und Dörfer von Westdeutschland fährt, dann überfällt einen oft der Gedanke, daß der Wohnungsbau, so wie er bisher betrieben worden ist, nicht weiter betrieben werden darf; denn man sieht überall an den Rändern der zerstörten Städte und auch der Dörfer neue Siedlungen, große Siedlungen, die aus einem Guß da hingestellt werden. Bei aller Sympathie für den Gedanken, daß zunächst überhaupt einmal Wohnungen geschaffen werden müs- sen, und bei aller Sympathie auch für die genossenschaftliche Art, sich hier zu helfen, muß man doch sagen, daß wir, wenn weiter so verfahren wird, auf die Dauer dazu kommen, daß die Ortskerne der Dörfer und Städte alle zerstört liegenbleiben und draußen große Gebiete neu in Anspruch genommen werden müssen. Das bedeutet eine gewaltige Verzettelung der Mittel, die zur Verfügung gestellt worden sind. Wenn man sie richtig anwendet, könnte man von den dort investierten Geldern etwa 30% — so haben Sachverständige berechnet — weiter zusätzlich für den eigentlichen Bauzweck zur Verfügung stellen. Man muß neues Gelände kaufen, das bisher landwirtschaftlich genutzt war. Man muß Straßen aufschließen und bauen; Versorgungsleitungen, Kanalisation, Entwässerung, Gas, Licht, Wasser, all das muß geschaffen werden. Hinterher sitzen die Leute in den Wohnungen und bezahlen für Transportmittel ebensoviel, wie sie für Miete ausgeben müssen. Das geht so nicht weiter.
Vor allen Dingen: Wer baut denn da? Es bauen mit Hilfe öffentlicher Gelder solche Unternehmen, die es früher gar nicht gab; es bauen große Unternehmen. Wir haben neulich beim Bergarbeiterbauprogramm davon gesprochen, daß im allgemeinen bei den Behörden aus erklärlichen und zum Teil berechtigten Gründen die Neigung besteht, die großen Projekte besonders zu bevorzugen. Es bauen also gerade diejenigen, die am wenigsten Unterstützung nötig haben, mit den öffentlichen Geldern, die aus den Steuermitteln kommen. Statt dessen müßte man dazu übergehen, den Geschädigten — seien es nun Mieter oder Eigentümer — Geld zur Verfügung zu stellen, damit sie sich selber helfen können und damit auch die Reste der zerstörten Grundstücke in den Ortskernen ausgewertet werden, die jetzt von Monat zu Monat weiter verrotten. Ungeheure Werte stecken darin, die man benützen könnte, statt daß man neue Mittel — wie in Straßen- und Versorgungsanlagen — anderswo anlegt. Man würde gleichzeitig damit den Unwillen und die Unzufriedenheit der Leute beheben, die doch das alles mit ansehen und sich selber geprellt und geschädigt vorkommen. Die Geschädigten, die ihre Wohnungen verloren haben, drängen darauf, selber ihre Initiative zu entfalten. Sie sagen: Wenn man uns nur wenigstens die erste, Hypothek gäbe! Jetzt gibt man die zweite Hypothek. Das bedeutet, daß diejenigen, die etwas haben, unterstützt werden; diejenigen aber, die nicht entweder das Geld für die erste Hypothek selbst haben oder die es nicht durch beleihungsfähige Objekte bei entsprechenden Beziehungen — erste Hypotheken werden ja fast kaum noch vergeben — frei schaffen können, bekommen keine Unterstützung. Da ist etwas falsch.
Wir können es dem Herrn Bundeswohnungsbauminister anläßlich der Erörterung seines Etats nicht eindringlich genug ans Herz legen, daß er sich um die Geschädigten kümmern möge. Er möge ihnen Unterstützung verleihen und ihre Initiative einsetzen, statt mit öffentlichen Geldern eine neue Art von Bürokratie aufzuziehen, die schon beim Bauen und erst recht hinterher beim Verwalten von Hunderten von Wohnungen ganz überflüssige Mehrkosten macht.
— Es ist richtig, daß ein großer Teil der Verantwortung dafür auf die Länder fällt; aber der
Bundesminister für den Wohnungsbau kann sehr
wohl steuern. Er soll seinen Einfluß geltend
machen, den er bisher nicht geltend gemacht hat.
Er hat aber bisher nicht nur nichts getan,
sondern diese Tendenz zum Bauen im Großen, zum Bauen außerhalb geradezu noch gefördert. Wir fordern ihn auf, von diesem Vorgehen abzulassen.