Rede von
Dr.
Walter
Menzel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich mich bei der Beratung des Haushalts für die innere Verwaltung zunächst nur auf das Kapitel über den Grenzschutz beschränke, so deshalb, weil die Öffentlichkeit in der letzten Zeit in, zunehmendem Maße durch neofaschistische Vorgänge im Grenzschutz beunruhigt worden ist,
weil der Grenzschutz eine völlig andere Entwicklung genommen hat, als wir bei der Annahme des Gesetzes über den Grenzschutz annehmen konnten, und weil schließlich der Herr Innenminister Zusagen nicht eingehalten hat.
Wer später einmal die Geschichte dieses Volkes nach 1945 zu schreiben haben wird, wird nicht an dem Leidensweg vorübergehen können, den die Versuche und die vielen Bemühungen der SPD gehen mußten, eine starke Bundesgewalt zu schaffen und das ewige Mißtrauen gegen jede Bundesexekutive auszuräumen. Meine politischen
Freunde und ich waren damals, als das Gesetz über den Grenzschutz dem Bundestag vorgelegt wurde, bereit, diesen Weg zur Stärkung der Bundesgewalt mitzugehen, nicht nur, weil wir ganz allgemein für eine Stärkung der Bundesexekutive waren, sondern auch, weil uns die augenblickliche deutsche Situation dieses Ziel als notwendig erscheinen ließ.
Das war nicht nur im Parlamentarischen Rat bei den Beratungen der Bundesverfassung so, das hat sich auch im Herbst des vorigen Jahres gezeigt, als wir zusammen mit der Fraktion der FDP dem Bund eine eigene Polizeiexekutive verschaffen wollten. Es war der Herr Bundesinnenminister, der in der ersten Lesung Bedenken erhob. Die weiteren Bemühungen in dem Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung, dem Bund eine eigene Polizei zu verschaffen, sind dann an der Haltung der politischen Freunde des Herrn Bundeskanzlers gescheitert, die nicht bereit waren, ihrer eigenen Bundesregierung einen Machtzuwachs zu gönnen. Von ihnen wurden Sie, Herr Bundeskanzler und Herr Bundesinnenminister Dr.
Lehr, im Stich gelassen. Da waren schließlich wir von der Opposition doch bessere Menschen, denn wir waren ja zu einem solchen Schritt bereit.
Aber wenn wir damals bereit waren, dem Bund eine eigene Exekutive an den Grenzen der Bundesrepublik zu geben, dann nur deshalb, weil wir nach dem, was das Gesetz sagt, und nach dem, was der Herr Bundesinnenminister uns zugesichert hatte, mit einem wirklichen und vor allem einem wirksamen Grenzschutz rechnen konnten. Die Entwicklung beim Bundesgrenzschutz hat einen ganz anderen Weg genommen, und unser guter Glaube von damals ist arg enttäuscht worden.
Das Gesetz über den Bundesgrenzschutz beruht auf dem Art. 87 des Grundgesetzes, wonach der Bund Grenzschutzbehörden errichten darf, um vor allem die Paßnachschau durchzuführen. Was aber haben Sie daraus gemacht? Kasernierte Truppen! Und um die Paßkontrolle kümmert sich heute vom Bund kein Mensch.
Was würden damals im Parlamentarischen Rat die Vertreter derjenigen Parteien, die heute die Regierung tragen, gesagt haben, wenn man ihnen erklärt hätte, unter „Grenzschutzbehörden" seien kasernierte Truppen von 10 000 Mann oder mehr zu verstehen. Ich glaube, sie hätten damals lieber das ganze Grundgesetz und damit das organische Zusammenwachsen der drei westlichen Zonen scheitern lassen, als das zu akzeptieren.
Überdies: wer mit den Fragen der Exekutive einigermaßen vertraut ist, weiß doch, daß Grenzschutz immer und in jedem Lande eine Aufgabe des verstärkten Einzeldienstes gewesen ist und auch sein muß. Denn die grüne Grenze mit ihren kilometerweiten, unübersichtlichen Wegen und Wäldern kann nur geschützt werden, wenn verstärkte Einzelposten die weitere illegale Infiltrierung abwehren und die Grenze hermetisch abschließen. Aber das, was jetzt geschieht — die Zusammenfassung in drei, vier Kasernen, die weit weg von der Grenze entfernt liegen —, ist doch weiter nichts als eine simple und politisch unkluge Soldatenspielerei.
Was jetzt geschieht, bedeutet doch weiter nichts, als daß der Bundesinnenminister die Augen vor den wirklichen Aufgaben, die an den Grenzen liegen, verschließt. Er aber hat die Grenze praktisch von jeder Kontrolle durch Grenzschutzbeamte entblößt, und wir müssen heute feststellen, daß an dem eigentlichen Grenzdienst, der so bitter notwendig ist, kein einziger Beamter mehr beschäftigt wird als v o r Erlaß des Gesetzes.
Hätte der Bundesregierung der Hilferuf oder, sagen wir besser: die Bitte Niedersachsens nicht eine Warnung sein müssen, die Bitte, endlich einmal die Kontrolle an der Grenze und an ihren Übergängen wirksamer und effektiver auszugestalten?
Was aber war die Antwort des Bundesinnenministers, als Niedersachsen um diesen notwendigen verstärkten Grenzschutz bat? Sie lautete: Dafür habe ich keine Beamten! Das Ergebnis ist, daß
Niedersachsen die dem Bunde zustehende Aufgabe des Grenzschutzes aus Landesmitteln selbst ausführen muß. So ist Niedersachsen denn auch nicht in der Lage, noch zusätzliche Mittel aufzubringen, um eine eigene Landesbereitschaftspolizei zu führen. Und weil man das in Niedersachsen nicht tun kann, kritisiert der Herr Bundesinnenminister in der Öffentlichkeit die niedersächsische Regierung, weil sie zu der Anschaffung dieser Landesbereitschaftspolizei nicht bereit sei.
Eine weitere wesentliche Voraussetzung für unsere damalige Zustimmung zu dem Gesetz war die Vorschrift, daß der Grenzschutz nur in einer Tiefe bis zu 30 Kilometern eingesetzt werden dürfe, von dem Recht der Nacheile abgesehen. Jetzt aber liegen die meisten Kasernen — ich deutete es schon an — weit weg von der Grenze. Die Grenzgänger werden dem Herrn Bundesinnenminister dankbar sein, daß sie so die Chance haben, weit weg von diesen Kasernen über die Grenze zu kommen. Sie, Herr Bundesinnenminister, haben auf diesen Vorhalt hin erklären lassen, die im Gesetz vorgesehene 30-Kilometer-Zone habe nur für den Einsatz, aber nicht für die Stationierung der Truppen — wie Sie sie bezeichnen — zu gelten. Damit sollte in Verbindung mit Ihren übrigen Erklärungen die Möglichkeit geschaffen werden, die Grenzschutzabteilungen notfalls auch im Ruhrgebiet zu stationieren. Daß dann ein wirklicher Grenzschutz nicht mehr möglich wäre, liegt doch auf der Hand.
Wir bedauern, daß das Grenzschutzgesetz jetzt so ausgelegt wird und daß die Zusagen des Herrn Bundesinnenministers nicht gehalten worden sind. Diese dem Gesetz zweifellos widersprechende Standortverlagerung gewinnt ihre besondere Bedeutung durch die mehrfachen Erklärungen des Herrn Bundesinnenministers, den Grenzschutz gemäß Art. 91 des Grundgesetzes notfalls auch innerhalb der Länder — also nicht nur an den Grenzen — einzusetzen.
Das wurde der Presse mitgeteilt. Das war Gegenstand einer Erklärung des Herrn Bundesinnenministers auf einer Länderinnenministerkonferenz vom März dieses Jahres,
und er hat es auch damals in diesem Hohen Hause bei der dritten Lesung des Grenzschutzgesetzes erklärt.
Wohin diese Ankündigung führt, ergibt sich aus einem Interview mit dem Leiter der Polizeiabteilung des Innenministeriums, das die „Süddeutsche Zeitung" vor einiger Zeit wiedergeben konnte. Danach — so hieß es in dem Interview — könne es die Bundesregierung unter Umständen für erforderlich halten, den Grenzschutz in München einmarschieren zu lassen. Dann würde, wie es hieß, die Parole gelten: „Alles hört auf Kommando Grenzschutz!" — Nun, dieses Interview wurde später dementiert,
und wir wollen diesem Dementi auch glauben. Aber ist es nicht bezeichnend für die Situation, daß alle Welt das Interview nach den Erklärungen des Herrn Dr. Lehr für richtig halten mußte?
Wir haben auch noch nicht — und das sei in diesem Zusammenhang noch einmal erwähnt — die Versuche des Herrn Bundesinnenministers vergessen, durch eine Intervention beim Rundfunk gegenüber den Reden des Herrn Peter von Zahn die Rede- und Meinungsfreiheit zu unterbinden, d. h. also, die verfassungsmäßig garantierten und von ihm selbst ja beschworenen Grundrechte zu verletzen. Und dem Herrn Innenminister darf noch einmal in Erinnerung gerufen werden, daß er nicht nur Polizei-, sondern auch Verfassungsminister ist. Man rede uns bitte nicht davon, daß es politische Notwendigkeiten geben könnte, den Grenzschutz im Gegensatz zur Verfassung zu verwenden. Wozu haben wir denn eine Verfassung, und was wäre der Gewinn aus der Beseitigung des Nationalsozialismus, wenn beim Vorliegen angeblicher Notwendigkeiten — wer entscheidet übrigens, ob sie vorliegen? — die Verfassung jederzeit beiseite geschoben werden kann? Überdies: wer im Besitze der Macht ist, kann sehr schnell behaupten, daß solche politischen Notwendigkeiten gegeben seien.
Meine politischen Freunde und ich werden zu jeder Zeit zu jeder vernünftigen Verfassungsänderung, aber niemals zu ihrer Verletzung bereit sein. Wenn Sie trotz unserer Bereitschaft diesem legalen Weg bisher ausgewichen sind, dann doch nur, weil Ihre eigenen Freunde Ihnen die Gefolgschaft versagt haben.
Wer aber über die wirklichen Absichten der Regierung bei der Schaffung und dem Aufbau des Bundesgrenzschutzes noch im unklaren sein konnte, wird durch die Paraden, durch die Ankündigung, den Grenzschutz erheblich zu vermehren, und vor allen Dingen durch die Personalpolitik eines Besseren belehrt. Mit den Paraden, vor allen Dingen der in Lübeck, wurde dem Grenzschutz ein sehr schlechter Dienst erwiesen. Diese Parade war eher ein „Lehr"-Lauf, Herr Dr. Lehr, als ein politisches Paradestück. Eingeweihte wollen wissen, daß auch der Herr Bundeskanzler über die Parade in Lübeck wenig erbaut gewesen ist.
Die Bundesregierung hat nun im Sommer dieses Jahres mitteilen lassen, sie wolle dem Bundestag im Herbst vorschlagen, den Bundesgrenzschutz von 10 000 auf 20 000, dann auf 30 000 und schließlich auf 90 000 Mann zu verstärken. Läßt sich daraus klar ersehen, was die Bundesregierung mit einer solchen außerordentlichen Erhöhung in Wirklichkeit beabsichtigt? Die gebietsmäßig viel größere Weimarer Republik hatte ein stehendes Heer von nur 100 000 Mann. Kann man wirklich noch von einem polizeilichen Charakter des Grenzschutzes sprechen, wenn man ihn jetzt auf die Stärke der früheren Reichswehr zu bringen beabsichtigt? Zwar hat der Herr Bundesinnenminister mehrfach erklärt, daß er an dem polizeilichen Charakter des Grenzschutzes festhalte.
Er hat dabei betont, daß dem auch der Bundeskanzler zustimme. Aber was nützen uns solche Erklärungen, wenn die Praxis völlig anders aussieht!
Die Unterbringung in Kasernen, die Schaffung von
Truppenübungsplätzen — z. B. jetzt bei Kassel —,
die Wiederanschaffung von Offiziersauszeichnungen und -Achselstücken, die Anwendung der Infanteriereglemcn ts bei der Ausbildung sprechen doch eine deutlichere Sprache als alle mündlichen Versicherungen. Ich habe hier den Kopf eines Briefbogens
aus Bonn; da heißt es in der Überschrift schon wieder: Der Standortälteste von Bonn.
Nun, meine Damen und Herren, diese Erfindung des „Standortältesten" ist nicht neueren Datums. Wir lesen bereits in der Presse vom Juni dieses Jahres von Veranstaltungen in Mitteldeutschland, bei denen der Standortälteste in Marburg in einer gemeinsamen Veranstaltung mit ehemaligen Angehörigen von Pionierregimentern erklärte, er hoffe, daß er die Kasernen, in denen früher die Pioniere gelegen haben und die früher mustergültig gewesen seien, wieder in einen besseren Zustand für seine Truppen bringen werde.
Meine Damen und Herren, wenn man wirklich Polizei meint, dann sollte man zumindest die Ausbildung nach polizeilichen Gesichtspunkten durchführen und die Ausbilder mehr als bisher nach polizeilichen Gesichtspunkten auswählen. Sollte und kann denn überhaupt das alles noch Polizei sein, wenn wir diese Zahlen und diese Pläne vom Herrn Bundesinnenminister hören!
Nun zu einigen Personalien. Die Personalpolitik der Bundesregierung ist im Bundestag bereits mehrfach lebhaft kritisiert worden; aber Herr Dr. Lehr hat bei dem Aufbau des Grenzschutzes daraus nichts gelernt und ist in der Personalpolitik den gleichen, einseitigen Weg gegangen wie die übrigen Ressortchefs.
Leider bestand schon in früheren Sitzungen des Bundestages Veranlassung, auf verschiedene Kurse, die das Bundesinnenministerium veranstaltet hatte, hinzuweisen, die Kurse von Traunstein, Bad Ems und schließlich von Hannoversch-Münden. Alle Warnungen, die wir hier damals ausgesprochen haben, waren nutzlos, sie blieben unbeachtet.
Man hat sich in der Öffentlichkeit mit Recht über das Absingen von Naziliedern im Grenzschutz aufgeregt.
Aber, meine Damen und Herren, uns hat das bei dieser Personalpolitik nicht gewundert; denn sie kann schließlich gar nicht zu anderen Ergebnissen führen, als wir sie jetzt vor uns sehen.
Und dann — peinlich genug! — entschuldigt sich der Braunschweiger Standortälteste, als festgestellt wurde, daß seine Untergebenen nationalsozialistische Lieder gesungen haben, damit, er hätte nicht gewußt, daß durch ein Gesetz in Niedersachsen das Absingen ehemaliger Nazilieder verboten sei.
Als wenn es nicht schon blamabel genug wäre, daß
es überhaupt erst eines solchen Gesetzes bedurfte!
Bedauerlich ist, daß der Braunschweiger Vorfall nicht ein Einzelfall geblieben ist. Wir haben dem Herrn Bundesinnenminister schon vor geraumer Zeit die Unterlagen über gleichartige Vorgänge in Hannover und — man höre und staune! — sogar in Bonn überreicht. In der Bonner Kaserne wurden vor nicht allzulanger Zeit ebenfalls neofaschistische Lieder, darunter das Lied „Die braunen Heere marschieren" gesungen. Wir bedauern, feststellen zu müssen, daß uns der Herr Bundesminister bisher nicht mitgeteilt hat, was seine Ermittlungen ergeben haben.
Nun müßte man glauben, daß solche „Pannen" nur deshalb passieren konnten, weil sich der Herr Bundesinnenminister und seine Verwaltung nicht
rechtzeitig und gründlich genug über die Vergangenheit der einzelnen Grenzschutzbeamten erkundigt haben. Wir haben ferner geglaubt, daß die Zeit der Fragebogen endlich vorbei sei; aber wer zum Grenzschutzdienst will, muß einen Fragebogen mit nicht weniger als sechzig Fragen ausfüllen. Es ist interessant, was da alles gefragt wird. Da will man nicht nur das Übliche wissen, was man wissen muß, wenn jemand in das Beamtenverhältnis überführt werden soll, sondern da wird sehr penibel nach der sozialen Umwelt, nach dem sozialen Milieu des Beamtenanwärters gefragt. Da wird nicht nur nach der beruflichen Vergangenheit, sondern auch nach dem Beruf der Ehefrau, nach dem Beruf der Mutter, ja sogar nach dem Beruf der Schwiegermutter gefragt.
Es wird nach den Geschwistern der Ehefrau und nach dem Beruf der Männer der Geschwister der Ehefrau gefragt. Meine Damen und Herren, was will man damit erreichen? Man will durch ein solches Hineinleuchten in das soziale Milieu des Anwärters erreichen, daß „Elemente", die einem nach der sozialen Herkunft nicht passen, von vornherein ausgeschaltet werden.
Dagegen werden wir uns im Interesse der jungen Grenzschutzbeamten, die wir hier ausdrücklich in Schutz nehmen wollen, entschieden wehren.
Es kommt hinzu, daß alle unsere Bemühungen — und diese Bemühungen gehen nun schon seit dem Herbst vorigen Jahres —, bewährte und staatstreue Männer, die 1933 wegen ihrer politischen Haltung aus dem Polizeidienst entlassen worden sind, in den Grenzschutzdienst aufgenommen zu sehen, an der starren — ich hätte fast gesagt: sturen — Ablehnung durch die Bürokratie des Herrn Bundesinnenministers gescheitert sind. Was nützen uns denn alle Erklärungen der Bundesregierung im Bundestage, daß sie das Unrecht von 1933 bis 1945 wiedergutmachen wolle? Was nützt uns denn das wohl einstimmig beschlossene Gesetz über die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts an den Beamten, wenn die gleiche Bundesregierung es ablehnt, die damals Entlassenen aufzunehmen, und sie es lieber sieht, daß diejenigen, die 1933 die anderen herausgesetzt haben, jetzt wieder die Maßgebenden im Grenzschutz sind?
Eine solche Personalpolitik hat dazu geführt, daß nach den eigenen Angaben des Herrn Bundesinnenministers die Offizierstellen sich im Durchschnitt wie folgt zusammensetzen. 62 % der Stellen sind von ehemaligen Wehrmachtoffizieren und nur 7 % von ehemaligen Polizeibeamten besetzt; 31 % sind frühere Polizeibeamte, die später in die Wehrmacht übergegangen sind, und bei ihnen hat es sich nicht immer um die schlechtesten gehandelt.
Aber, meine Damen und Herren, noch schlimmer sieht das Bild bei dem Nachwuchs der Kommandostellen aus, d. h. bei den Zugführern. Hier sind nur noch 2 °/o der Zugführer aus der Polizei und 96 % aus der Wehrmacht. Was hätte denn damals die Wehrmacht gesagt, wenn ein Polizeioffizier gekommen wäre und erklärt hätte, er wolle ab morgen ein Infanterieregiment leiten! Man hätte ihm mit Recht gesagt, daß er das erst einmal lernen müsse. Aber umgekehrt glaubt man jetzt, daß es für die Erledigung polizeilicher Aufgaben ohne weiteres möglich ist, sie nur oder fast ausschließlich von ehemaligen Offizieren erledigen zu lassen. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Wir wenden uns hier nicht gegen die einzelnen ehemaligen Wehrmachtoffiziere. Wir haben keinen Anlaß, an der persönlichen Sauberkeit und Integrität dieser Männer zu zweifeln. Aber schließlich muß ja doch auch die Führung polizeilicher Einheiten ge1ernt s e i n. Für den Bau eines Hauses werden Sie auch nicht einen Brückenkonstrukteur nehmen oder umgekehrt. In dem Augenblick, in dem Sie in der Lage wären, die früheren Wehrmachtoffiziere in aller Gründlichkeit, wie nach 1918, umzuschulen, ihnen polizeiliches Denken, polizeiliche Reglements beizubringen, würde sich gegen ihre Wiederverwendung gar nichts mehr einwenden lassen.
Dieses Verhalten ist um so bedauerlicher, als man es — ich sagte es schon — ablehnt, diejenigen, die 1933 aus der Polizei herausgesetzt wurden und polizeiliche Erfahrungen für ihr Amt mitbringen würden, wiederzuverwenden.
Und was bringt man als Einwand gegen die im Jahre 1933 Entlassenen vor? Sie hätten nicht genügend Erfahrung im Einsatz motorisierter Einheiten. Meine Damen und Herren, wollen wir an der Grenze motorisierte Divisionen oder wollen wir dort Grenzjäger haben? Ich glaube, den Einsatz motorisierter Einheiten lernt ein tüchtiger Polizist recht bald.
Wie wenig aufrichtig aber die Gründe der Bürokratie des Herrn Innenministers in Wirklichkeit gemeint sind, möchte ich an zwei Beispielen aus der Fülle der mir vorliegenden Vorgänge erläutern.
Da gibt es einen früheren Polizeichef des Saargebiets, der wegen seiner deutschen Gesinnung von der französischen Macht ausgewiesen worden ist. Erinnern Sie sich bitte daran, wie Sie bei dem Gesetz zu Art. 131 des Grundgesetzes nicht nur bei der Unterbringung der aus dem Osten Vertriebenen, sondern auch hinsichtlich der ehemaligen Pg's immer wieder Wert darauf gelegt haben, daß sie wieder in die gleiche dienstliche Stellung einrücken, in der sie früher gewesen sind! Hätte es nicht nahegelegen, diese Grundsätze zum mindesten in dem Einzelfall eines von der Besatzung im Saargebiet vertriebenen Deutschen auch zur Anwendung zu bringen? Das hat man nicht getan. Es bedurfte eines zähen und mühseligen Kampfes mit dem Innenministerium, um wenigstens nach einem halben bis dreiviertel Jahr die Zusage zu bekommen, daß dieser ehemalige Polizeichef des Saargebiets in den Grenzschutz übernommen wird. Er wurde nach Süddeutschland geschickt. Und was mußte er erleben? Als er zu dem dortigen Standortältesten kam, erklärte dieser, er könne ihn nicht gebrauchen. Es bedurfte erst des persönlichen Einschreitens des Sachbearbeiters im Innenministerium, damit der Standortälteste der Gruppe Süd der Anordnung des Herrn Bundesinnenministers nachkam.
Aber was geschah? Als der Standortälteste zähneknirschend nun diesen Befehl ausführen zu müssen glaubte, wurde der ehemalige Polizeichef des Saargebiets zum einfachen Oberleutnant herab-gestuft. Mit 48 Jahren darf er den täglichen Wald-und Wiesendienst tun.
Sie sehen also, mit welchen Mitteln man bei dieser Personalpolitik vorgeht.
— Er ist schon 1933 herausgeworfen worden.
Ein zweiter Fall, der eigentlich noch krasser liegt. Auf der Schule in Traunstein befand sich ein Lehrgangsteilnehmer, der als Fünftbester aus dem Kursus hervorging und der dem Schulleiter so geeignet erschien, daß ihm eröffnet wurde, er solle sich nicht erst in den Ländern bewerben; denn er komme sofort in den Bundesexekutivdienst, sei es der beabsichtigten Bundespolizei, sei es des Grenzschutzes. Dieser Mann verstand auch etwas von dem Einsatz der motorisierten Einheiten, weil er solche Einheiten früher bei der Polizei und später bei der Wehrmacht geführt hatte. Dann wurde er zur Vorstellung in das Innenministerium gebeten. Und was geschah? Bei der Nachfrage, wie lange er denn eine motorisierte Einheit geführt habe, erklärte er, das sei bis 1943 der Fall gewesen, weil er anschließend aus politischen Gründen — und er konnte das nachweisen — in ein Kz gekommen sei. Und als er 1945 aus dem Kz herauskam, steckten ihn die Russen zwei weitere Jahre, von 1945 bis 1947, in ein Kz Mitteldeutschlands. Als man das hörte, bekam man im Innenministerium „kalte Füße" und stellte plötzlich fest, die vierjährige Kz-Haft habe den Bewerber doch reichlich nervös gemacht; darum sei er nicht mehr geeignet.
Hier hatten wir einen Mann, der in der Vergangenheit politisch absolut sauber gewesen ist. Hier hatten wir einen Mann, der die Leitung geschlossener Formationen verstand. Hier hatten wir einen Mann, der sogar den motorisierten Einsatz beherrschte. Aber in dem Augenblick, als man feststellte, daß er aus politischen Gründen, für die Freiheit und für die Demokratie vier Jahre im Kz gesessen hatte, war es aus. Der Polizeiarzt hatte ihn für polizeitauglich erklärt und nichts von der Nervosität festgestellt, die man ihm jetzt vorwirft. Ich glaube, die Nervosität lag mehr bei den Herren des Innenministeriums als bei dem Bewerber.
Im übrigen ist uns mehrfach gesagt worden — und ich bin gern bereit, dem Herrn Bundesinnenminister persönlich Dienstzimmer und Name des Sachbearbeiters im Bundesinnenministerium zu sagen —, daß Bewerbern erklärt wurde: Leute aus der früheren Polizei haben keine große Chance, es sei denn, daß sie später mindestens Major oder Oberstleutnant im ehemaligen Generalstab geworden sind.
Herr Bundesinnenminister, solange Sie so etwas dulden und solange Sie eine solche Personalpolitik machen. werden Vorgänge wie in Braunschweig nicht vereinzelt bleiben. Hier hilft nur, daß Sie mit einem eisernen Besen auskehren und das Übel an der Wurzel erfassen.
— Im Ministerium muß angefangen werden. Dabei
darf ich noch einmal sagen: vor den einzelnen
Grenzjäger, vor den einfachen Mann stellen wir
uns schützend, schon damit er nicht wieder einmal
von Kommandeuren mißbraucht wird, die, wenn es
nachher schief geht, nicht selber den Kopf hinhalten, sondern dafür die anderen büßen lassen.
Wir wollen nicht — und darum muß mit der „Reform" im Ministerium angefangen werden —, daß einige mittelmäßige Soldaten in der Umgebung des Herrn Innenministers, die gern wieder eine Rolle und wieder Soldat spielen möchten, den Grenzschutz und den Aufbau des Grenzschutzes von Anfang an in eine völlig falsche Bahn leiten. Ich
glaube, es ist Ihre Aufgabe, Herr Bundesinnenminister, ganz gleich, was Sie zu unserer Kritik zu sagen haben, daß Sie den Grenzschutz endlich aus dem Zwielicht, in den Sie ihn hineingebracht haben, herausbringen.
Damit nicht wie damals nach einer Bundestagsdebatte im Frühjahr dieses Jahres ein Teil der Presse schreiben kann, die Sozialdemokratie sei gegen jede Exekutivmacht des Bundes gewesen, möchte ich abschließend folgendes feststellen. Wir wollten einen wirklichen Grenzschutz an der Grenze. Sie haben daraus Truppenübungsplätze und Kasernen weit weg vom Eisernen Vorhang gemacht. Wir wollten Polizisten, aber Sie, Herr Bundesinnenminister, haben daraus Soldaten gemacht, und zwar wider den Willen dieser Leute, die sich unter ganz anderen Voraussetzungen zum Grenzschutz gemeldet haben. Sie geben den Leuten einen soldatischen Drill und auch soldatische Vorgesetzte. Wohin das geführt hat und führen muß, sehen Sie an den kritisierten Vorfällen. Wir wollen — das darf zum Abschluß gesagt werden — einen wirklichen Schutz der Grenze; denn unsere Grenzen brauchen einen Schutz. Solange Sie diesen Schutz verweigern und die Grenze schutzlos lassen, werden wir Ihnen auch die Mittel verweigern.