Rede von
Dr.
Eugen
Gerstenmaier
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu den zweifellos positiven Maßnahmen einiger Besatzungsmächte gehören die in den vergangenen Jahren durchgeführten Einladungen zu Besuchs-und Informationsreisen. England und Frankreich haben derartige Einladungen von Fall zu Fall an deutsche Einzelpersonen und Institutionen ergehen lassen. Die Vereinigten Staaten von Amerika haben jedoch in einem groß angelegten kulturellen Austauschprogramm bis August 1951 rund 4700 Deutsche eingeladen und ihnen damit einen längeren oder kürzeren Studien- oder Informationsaufenthalt in den Vereinigten Staaten ermöglicht. In dieser Zahl sind die sehr umfangreichen Einladungen, die von Privatorganisationen und freien Verbänden ergangen sind, nicht eingeschlossen. Die Zusammensetzung der 4700 offiziell Eingeladenen im Rahmen des Cultural Exchange Program ist folgende: ca. 1000 Studenten, etwa 1500 andere, junge in Ausbildung befindliche Deutsche, 2200 Vertreter des politischen, kulturellen und kirchlichen Lebens Deutschlands; unter ihnen befinden sich ca. 520 Politiker — Mitglieder dieses Hauses, der Länderparlamente und einer Reihe anderer politischer Körperschaften —, etwa 230 Gewerkschaftsvertreter und 170 Journalisten.
Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir, zwei oder drei Gesichtspunkte über die Bedeutung dieser Aktion vorzutragen.
Erstens: Mit dieser systematisch angelegten und groß durchgeführten Aktion hat die Regierung der Vereinigten Staaten vielen Deutschen die Möglichkeit gegeben, das Bild zu ergänzen und zu korrigieren, das über die Vereinigten Staaten von Amerika lediglich oder hauptsächlich auf Grund der Begegnung mit den Besatzungstruppen zustande gekommen ist.
Zweitens: Dieses Exchange-Program hat darüber hinaus vielen eine Chance zur Gewinnung persönlicher Einsichten gegeben, von Einsichten in die Wesens- und Denkart der anderen, d. h. zu Einsichten in die Basis ihres politischen und kulturellen Verhaltens.
Drittens: Nach einem Überblick über die Tätigkeit des Cultural Exchange Program kann man wohl sagen, daß es sich mit als ein außerordentlich kultiviertes Hilfsmittel erwiesen hat, das unproduktive Verhältnis von Sieger und Besiegten zu einem Partnerverhältnis Gleichberechtigter zu verwandeln.
Dieses Programm mußte sich aber gerade deshalb von Anfang an als ein Exchange —, als ein Austauschprogramm verstehen. Es beruht auf der Zweiseitigkeit, auf dem Austausch, obwohl es bis jetzt durchaus einseitig von den Vereinigten Staaten von Amerika getragen wurde. Es kann keine Rede davon sein, daß wir, indem wir diesen Antrag vorlegen, auch nur im entferntesten der Meinung sind, daß Deutschland sich hier im
materiell gleichen Umfang wie die Vereinigten Staaten von Amerika beteiligen kann. Aber, meine Damen und Herren, in diesem Augenblick steht nicht der materielle Umfang unserer Beteiligung, sondern unsere grundsätzliche Bereitschaft zur Mitwirkung überhaupt zur Debatte. Wir wollen mit diesem Antrag sagen, daß wir Deutsche nach dem Maße unserer Kraft willens sind, zum verständnisvollen und friedlichen Miteinanderleben der Völker beizutragen. Deshalb haben wir den Wunsch, an diesem Programm aktiv teilzunehmen. Der vorliegende Antrag soll diesem Wunsch auf deutscher Seite einen organisatorischen Ausdruck und eine finanzielle Basis schaffen. Er soll zugleich sein — ich möchte das hier mit Nachdruck aussprechen — ein Ausdruck des Dankes für das, was viele Deutsche, Politiker, Erzieher, Wissenschaftler, Kirchenmänner, Gewerkschaftsführer, Vertreter von Jugendorganisationen durch das Cultural Exchange Program in diesen Jahren empfangen haben. Ich darf Ihre Aufmerksamkeit auf ein Buch lenken, einen Bericht deutscher Studenten, die zum Teil als Gäste freier Organisationen, zum Teil aber auch im Rahmen dieses Programms in den letzten Jahren in Amerika gelebt haben und deren außerordentlich instruktive Berichte in dem Buch „Länder, Völker, Menschen" zusammengefaßt sind.
Erlauben Sie mir zur Vermeidung eines Mißverständnisses, das naheliegen könnte, noch eine Randbemerkung. Man könnte vielleicht gegen diesen Antrag einwenden, daß er den ersten Schritt darstelle zur Wiederaufnahme außerordentlich suspekt gewordener staatlicher Maßnahmen, die in den Jahren des „Dritten Reiches", aber auch schon davor, unter dem Stichwort „Kulturpropaganda" zusammengefaßt wurden. Dieser Antrag, meine Damen und Herren, beabsichtigt nicht, ein erster Schritt zur Wiederholung alter Fehler auf dieser Ebene zu sein. Er soll nicht ein Auftakt zur Neuauflage der alten suspekt und im übrigen auch etwas langweilig gewordenen Kulturpropaganda sein, sondern er soll wirklich nichts anderes sein als eine Kundgabe des Dankes und unseres Willens, an der freundschaftlichen Begegnung der Völker nach dem Maße unserer Kraft mitzuwirken.
Der vorliegende Antrag ist auch nur deshalb auf die Vereinigten Staaten beschränkt, weil bis zu diesem Augenblick nur die Vereinigten Staaten von Amerika eine geschlossene Aktion durchgeführt haben, die auf Gegenseitigkeit angelegt ist. Ich möchte mir erlauben, hier der Auffassung Ausdruck zu geben, daß mit der Annahme dieses Antrags der Deutsche Bundestag einen gleichermaßen von der Dankbarkeit wie von der Selbstachtung gebotenen Schritt auf dem Wege aus der Unterwerfung in die echte Partnerschaft tut. Ich darf deshalb dem Hause die Annahme dieses Antrages auf das Wärmste empfehlen.