Rede von
Dr.
Hermann
Ehlers
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine Damen und Herren, nachdem weitere Wortmeldungen nicht vorliegen, darf ich fragen: Wer ist gegen den Antrag auf Rückverweisung an den Haushaltsausschuß? — Ich darf feststellen, daß das Haus mit Ausnahme der kommunistischen Fraktion die Rückverweisung wünscht. Damit ist dieser Antrag angenommen.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Beratung der Interpellation der Fraktion der SPD betreffend Gewährung von Blindengeldern an Zivilblinde ,
Beratung des Antrags der Fraktion der KPD betreffend Blindenpflegegeld-Gesetz .
Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Begründungszeit von je 10 Minuten und für den Fall, daß eine Aussprache stattfindet, eine Redezeit von 60 Minuten vor. — Das Haus ist damit einverstanden.
Frau Abgeordnete Döhring hat das Wort zur Begründung der Interpellation der Fraktion der SPD.
Frau Döhring , Interpeliantin: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Erblindung ist zweifellos eines der schwersten Schicksale, das uns Menschen treffen kann. Besuche verschiedener Blindenheime und auch bei erblindeten Menschen in ihren Wohnungen haben mich davon überzeugt, daß wir bei der Schaffung der von allen Parteien dieses Hauses versprochenen sozialen Neuordnung an ihrem Schicksal nicht vorübergehen dürfen; vielmehr sollte das jahrzehntelange Verlangen der Zivilblinden auf eine gesetzlich fundierte materielle Hilfe endlich erfüllt werden. Die körperliche und seelische Belastung und Beeinträchtigung, die die Blindheit zur Folge haben, wirken sich bei
keiner anderen Gruppe der Körperbehinderten so stark aus wie bei den Blinden, eben weil der wichtigste Sinn, das Augenlicht, fehlt. Sie sind und bleiben auf Wartung und ständige Hilfe angewiesen, ohne die sie am wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Leben nicht teilnehmen können. Aus der bitteren Tatsache des Blindseins resultieren damit Belastungen und Nachteile, die ausgeglichen werden müssen. Wenn ich sage „müssen", dann deshalb, weil wir vom humanitären, ethischen und sozialpolitischen Standpunkt aus gesehen verpflichtet sind, auch den Zivilblinden wettbewerbsfähig zu machen in Leben und Beruf.
Der Ausgleich für die Mehrbelastungen wird den Kriegsblinden durch die im Bundesversorgungsgesetz vorgesehene Rente zuzüglich Pflegegeld gewährt. Die Unfallblinden erhalten Rente und Pflegegeld auf Grund der Reichsversicherungsordnung. Aber auch für die dritte Gruppe, die Zivilblinden, ist die Gewährung eines Ausgleichs notwendig. Nur etwa 10 % der Zivilblinden verdienen ihren Lebensunterhalt voll, weitere 10 bis 15 % nur teilweise, während alle übrigen von Wohlfahrtsunterstützungen oder unzureichenden Sozialrenten im wahrsten Sinne des Wortes im Schatten leben. Ich glaube, daß ich hierüber keine Einzelheiten zu erwähnen brauche, zumal doch eine Reihe von Vertretern sowohl des Bundestags als auch der Bundesregierung bei der kürzlich stattgefundenen Kundgebung des Deutschen Blindenverbandes in Bonn anwesend waren und sich einen unmittelbaren Eindruck von der Lage der Zivilblinden verschaffen konnten.
Wir Sozialdemokraten halten es also für eine vordringliche Aufgabe, eine intensivere Berufsfürsorge mit dem Zweck der Unterbringung der Zivilblinden im Erwerbsleben durchzuführen. Wesentliches vermag dies jedoch bei dem größeren Kreis der Zivilblinden nicht zu ändern; denn fast die Hälfte von ihnen ist erst nach dem 50. Lebensjahre erblindet. Sie können also sehr schwer auf einen anderen Beruf umgeschult werden.
Die Zahl der Zivilblinden in der Bundesrepublik beträgt ungefähr 24 000. Der weitaus größte Teil hiervon — und zwar hat der Internationale Blindenkongreß in Oxford im Jahre 1949 von rund 70 % gesprochen — trägt das für uns Sehende unergründliche Leid infolge ungenügender sozialhygienischer Maßnahmen. Sie tragen also ihr schweres Schicksal im Namen und zu Lasten der ganzen Gesellschaft.
Das Streben der Zivilblinden nach einem allgemeinen gesetzlichen Pflegegeld ist daher gerechtfertigt. Auch die zuständigen Bundesratsausschüsse haben dies anerkannt und die Gewährung eines Pflegegeldes an Zivilblinde im gesamten Bundesgebiet empfohlen. Meinen Parteifreunden und mir ist jedoch die geplante Regelung, wie sie die Bundesratsentschließung vorsieht, nicht weitgehend genug. Sie beschränkt den Bezug von Pflegegeld auf die Empfänger der öffentlichen Fürsorge. Wenn auch damit mehr als die Hälfte der Zivilblinden erfaßt würde, so scheint es mir aber grundsätzlich falsch zu sein, das Problem der Zivilblinden ausschließlich vom Standpunkt der Fürsorge aus zu sehen. Im Mittelpunkt muß vielmehr der schaffende Blinde stehen. Ihn zu fördern, ist soziales Gebot. Das Pflegegeld soll ja die erhöhten Lebenskosten für die fremde Wartung, für die fremde Hilfe ausgleichen und letzten Endes das Leben der Zivilblinden einigermaßen lebenswert machen. Die Regelung eines Pflegegeldes auf reiner Fürsorgebasis würde aber zweifellos gegenteilige Konsequenzen haben. Wo unterhaltspflichtige Kinder vorhanden sind, lehnt die Fürsorgebehörde praktisch das Pflegegeld ab und verweist den blinden Vater oder die blinde Mutter auf die Unterhaltspflicht der Kinder. Diese können aber zumeist die höheren Unterhaltskosten nicht aufbringen, weil ihnen sonst die Gründung einer eigenen Familie oft unmöglich gemacht wird. Solche erschütternden Beispiele, nach denen Ehen nicht zustande gekommen oder gar wieder auseinandergegangen sind, kann ich Ihnen nicht nur vereinzelt, sondern leider an mehreren Fällen nachweisen.
Wir sind uns wohl alle darüber einig, daß derartige Konsequenzen vermieden werden sollten. Ich gebe auch der Hoffnung Ausdruck, daß alle Parteien dieses Hauses einem einheitlichen, nicht auf Fürsorgeempfänger beschränkten Gesetz für ein Zivilblinden-Pflegegeld zustimmen werden, wie das bereits in einigen Landtagen geschehen ist. Wie bekannt, haben Bayern, Hessen und NordrheinWestfalen bereits ein allgemeines Zivilblinden-Pflegegeld eingeführt, und die Landtage von Niedersachsen, Schleswig-Holstein und das Abgeordnetenhaus von Berlin haben ein solches Pflegegeld grundsätzlich gefordert. Damit haben sich erfreulicherweise die Volksvertretungen von mehr als zwei Dritteln der deutschen Bevölkerung in Übereinstimmung mit zahlreichen ausländischen Staaten für ein gesetzliches allgemeines Zivilblinden-Pflegegeld ausgesprochen. Sicherlich hätten auch die übrigen Länder unserer Bundesrepublik inzwischen ähnliche Lösungen getroffen; aber nachdem der Herr Bundesminister des Innern auf die Anfrage meiner Fraktion vom 12. Mai 1950, also vor weit über einem Jahre, geantwortet hatte, daß diese Frage in seinem Ministerium einer abschließenden Behandlung entgegengehe, warten jene Länder erklärlicherweise auf die bundeseinheitliche Regelung.
Meine Damen und Herren, das Bedauerliche ist ja nur, daß sich die Regierung zur Regelung sozialer Fragen so unendlich viel Zeit läßt!
Wir fragen deshalb die Bundesregierung, ob und in welcher Form sie nunmehr die Frage eines . Pflegegeldes für Zivilblinde und sonstige auf Hilfe und Pflege angewiesene Personen zu regeln gedenkt. Ich bin mir bewußt, daß mancher Hilfsbedürftige fragen wird, warum ich in erster Linie für die Blinden spreche. Nun; ihnen allen möchte ich sagen. daß Blindsein wohl das schwerste Schicksal ist. Wir alle, die wir sehen können, sind doch allein schon bei dem Gedanken tief erschüttert, etwa ein ganzes Leben lang blind sein zu müssen.
Aus langjähriger Erfahrung weiß ich, daß die überwiegende Mehrheit unseres Volkes in dem beruhigenden Glauben lebt, alle Blinden seien gleichmäßig gut versorgt, woraus ich schließe, daß Parlament und Regierung nur ihre demokratische Pflicht erfüllten, wenn sie dieser öffentlichen Meinung Rechnung tragen würden.
Das Verlangen unserer so schwer ringenden lichtlosen Menschen nach einem Pflegegeld ist so einfach, gerecht und bescheiden, daß ich Sie, meine Herren und Damen, namens der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei dringend bitten möchte, mit für die umgehende Schaffung eines gesetzlichen
allgemeinen Zivilblinden-Pflegegeldes einzutreten, eingedenk der ernsten Mahnung, die Herr Professor Dr. Spranger am Nationalen Gedenktage hier von diesem Platze aus gesprochen hat: Wir können nicht sozial genug denken und handeln.