Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei einer Behandlung des Einzelplans V ist meiner Meinung nach eine eingehende Würdigung des außerordentlichen Haushalts unbedingt notwendig, um die wahren Kanäle
der amerikanischen Politik in Westdeutschland aufzuzeigen; denn er ist bezeichnend für die Politik des Ministeriums für den Marshallplan. Zum Haushalt des Ministeriums für den Marshallplan gibt es eine sehr umfangreiche Anlage. Ich meine den Bericht der Bundesregierung über die Durchführung des Marshallplans in der Zeit vom 1. Oktober 1949 bis zum 31. März 1951.
Einleitend ist in diesem Bericht eine Gesamtwürdigung des Marshallplans für Westdeutschland enthalten. In vier Punkten ist eine politisch-wirtschaftliche Würdigung des amerikanischen Planes gegeben. Es verlohnt sich also, diese vier Punkte einmal näher und kritisch zu beleuchten.
In Punkt 1 des Berichts heißt es u. a.: „Marshallplan und wirtschaftliche Gesundung sind heute fast zu einem Begriff verschmolzen." Angesichts der großen Schwierigkeiten in der von Fieberkrämpfen erschütterten westdeutschen Wirtschaft ist die Frage mehr als berechtigt, welchen Interessen eine solche Propagandaformel denn eigentlich dient.
Was kann man bei einer wirklich ernsthaften Prüfung dieser Behauptung für Westdeutschland feststellen? Wie steht es mit der wirtschaftlichen Gesundung der Bundesrepublik? Wer hat sich gesund gemacht? Wem dienten und dienen die amerikanischen Bluttransfusionen über den Marshallplan in Westdeutschland?
— Der Marshallplan hat die westdeutsche Wirtschaft, werter Herr Kollege, nicht gesunden lassen,
sondern sie in einen unheilvollen Kreislauf ausschließlich amerikanischer und Rüstungsinteressen gepreßt. Es ist der Kreislauf amerikanischer Dollars, politischer Abhängigkeit von den amerikanischen Geldgebern, der Unterordnung aller wirtschaftlichen Belange des eigenen Landes unter ein ständiges Diktat der amerikanischen Geldgeber und Rüstungsinteressenten.
Heute zeigt sich doch für jeden einsichtsvollen Menschen in aller Schärfe, welche Ziele die vom ehemaligen USA-Außenminister Marshall eingeleitete „wirtschaftliche Außenpolitik" der USA hat. Diese Politik dient der Vorbereitung eines neuen, eines dritten Weltkrieges und damit faktisch der Vernichtung der Wirtschaft aller am Marshallplan beteiligten Länder. Westdeutschland ist davon ganz besonders betroffen. Dafür einige Beweise. Während einige Industriezweige in Westdeutschland den Vorkriegsstand in einem ganz erheblichen Ausmaß überschritten, liegen andere Industriezweige nach wie vor weit darunter. Der Maschinenbau — in einer modernen Kriegswirtschaft ist er von besonders großer Bedeutung — lag im Durchschnitt des Jahres 1950 bei 125 % des Standes von 1936 und stieg in den ersten fünf Monaten des Jahres 1951 auf 150 %. Die elektrotechnische Industrie erreichte in den ersten fünf Monaten des Jahres 1951 sogar einen Stand von 350 %. Ähnlich ist die Lage im Fahrzeugbau und in der chemischen Industrie. Beide wurden über den Stand von 1936 hinaus kräftig und mit amerikanischer Hilfe nachhaltig ausgebaut. Der Grund dafür, meine Damen und Herren, ist sehr einfach. Diese Industrien sind nach dem Maschinenbau und den kriegsentscheidenden Grundstoffindustrien besonders wichtig für die von den Amerikanern forcierte Wiederaufrüstung der westdeutschen Wirtschaft.
Andere Industriezweige dagegen, vornehmlich die Industriezweige der Konsumgüterproduktion, liegen nach wie vor weit unter dem Vorkriegsstand. Die Schuherzeugung beispielsweise blieb 1950 um 22 % und 1951 um 9 % unter dem Vorkriegsstand. Die sozialen Auswirkungen der Aufrüstungspolitik im Zeichen des Marshallplans lassen sich auch in der Nahrungs- und Genußmittelindustrie in den ersten fünf Monaten des Jahres 1951 in aller Deutlichkeit aufzeigen. Diese Industrien verzeichneten einen Rückgang von 2 % gegenüber dem Durchschnitt von 1950. Die für die Beurteilung des sozialen Standes einer Volkswirtschaft aufschlußreiche Bauindustrie liegt
immer noch unter dem Vorkriegsstand und zeigt gerade in diesen Tagen auf Grund der Vorenthaltung der in Deutschland jedenfalls für eine deutsche Friedensindustrie reichlich vorhandenen Kohle starke Erschütterungen.
Die in Punkt 1 des Berichtes des Ministeriums für den Marshallplan angeführte „Wirtschaftliche Gesundung durch den Marshallplan" hat sich bei dem gegenwärtigen Stand der Wirtschaft und ihren verhängnisvollen Entwicklungstendenzen als eine bloße Propagandaformel erwiesen. Es zeigt sich ferner, daß sich die westdeutsche Wirtschaft im Zeichen des Marshallplans nicht normalisiert, sondern rücksichtslos unter Mißachtung aller Belange der Friedensindustrie, vornehmlich der Konsumgüterproduktion, in der Richtung der Kriegswirtschaft verändert.
Eine besondere Eigenschaft ist es schließlich, daß im Zeichen des Marshallplanes gerade jene Industriezweige gefördert werden, die unmittelbar mit amerikanischem Kapital durchsetzt sind. Ich will hier nur den Fahrzeugbau und die Kunstfaserindustrie als eklatante Beispiele dafür anführen. Wo bleibt also die von den Predigern des Marshallplanes verkündete „Normalisierung des Wirtschaftslebens", die Begründung von Sicherheit und Aufstieg? Es kann doch kein Zweifel darüber bestehen, daß eine Rüstungswirtschaft mit Normalisierung und wirtschaftlichem Aufstieg nicht das geringste zu tun hat. Mit ihr beginnt der unheilvolle Kreislauf von Tod und Vernichtung, den die deutsche Wirtschaft in zwei Weltkriegen und in zwei Perioden der Vorbereitung dieser Weltkriege selber hat miterleben können.
Von dem Herrn Bundesminister für den Marshallplan wird in der Öffentlichkeit keine Gelegenheit versäumt, die „segensreichen Wirkungen" — wie er sagt — des Marshallplans für unser Volk und für die Bundeswirtschaft zu schildern. Ich möchte darum an den Herrn Marshallplanminister zwei Fragen stellen: Die erste lautet: Stimmt es, Herr Minister, daß bei den vor einigen Monaten in Westdeutschland, in Paris mid in Washington geführten Marshaliplanverhandlungen von den Amerikanern gefordert wurde, daß die deutsche Wirtschaft nunmehr restlos auf Rüstungsproduktion umgestellt wird? Wurde in diesem Zusammenhang zur Bedingung erhoben: entweder Rüstungsproduktion, Annullierung bzw. Einschränkung des Ost-West-Handels, oder Anerkennung aller übrigen für die deutsche Wirtschaft diskriminierenden Maßnahmen wie Anerkennung des Raubes der 10 Milliarden DM deutschen Auslandsvermögens? Wurde diese Bedingung gestellt und wurde sie sogar mit der Androhung der Senkung der Marshallplangelder verbunden? Aus der deutschen Presse ist zu entnehmen, daß solche eindeutig diskriminierenden Forderungen seitens der Marshallplanverwaltung erhoben wurden.
In einer Rede, die Präsident Truman über die Verlängerung der amerikanischen Wirtschaftshilfe für Westeuropa hielt — der Bericht wurde vom Wirtschaftsberater Gray angefertigt —, sind in einem Acht-Punkte-Programm die Bedingungen für die Weiterführung der sogenannten Marshallplanhilfe für die westeuropäischen Länder, also auch für die Bundesrepublik Deutschland, auseinandergesetzt worden. In Punkt 1 dieser Bedingungen heißt es:
Um die gewünschte Stärkung der westeuropäischen Verteidigungsfähigkeit zu erleichtern,
sollten die USA über die militärische Hilfe
hinaus die Wirtschaftshilfe nach ihrem vorgesehenen Ablauf im Jahre 1952 um weitere drei oder vier Jahre verlängern.
Es geht also um die Verstärkung der sogenannten Verteidigungsfähigkeit. In Punkt 4 wird schließlich gesagt:
Bei der gemeinsamen Planung der Sicherheitsprogramme sollte der Wichtigkeit eines großen europäischen Exportvolumens entsprechende Aufmerksamkeit geschenkt werden.
Wohin beispielsweise die Richtung des gegenwärtigen deutschen Exportvolumens weist, sollte jedem einsichtigen Menschen klar sein. Der deutsche Export ist im wesentlichen auf die Bedingungen der amerikanischen Rüstungswirtschaft abgestellt. Die deutsche Schwerindustrie ist zum Zulieferanten dieser amerikanischen Kriegsindustrie geworden. Mir scheint, daß sich die Bundesregierung dieser Forderung auf ausschließliche Verwendung der Marshallplanmittel für die Zwecke der Rüstungsindustrie, also für die Zwecke eines neuen Krieges faktisch gebeugt hat. Dafür gibt es auch einige amtliche Beweise.
Ich will hier nicht nur die westdeutsche Presse, sei es selbst die amerikanische „Neue Zeitung", zitieren. Ich zitiere aus dem Memorandum, welches der Bundeswirtschaftsminister anläßlich seiner Amerikareise führenden amerikanischen Rüstungsfabrikanten als Zeichen des geforderten guten Willens der Bundesrepublik überreichte. Nach diesem Bericht hat Professor Erhard in Washington im Gespräch mit den Herren der amerikanischen Rüstungswirtschaft angeregt — wie es wörtlich heißt —, „die Gesamtlage der deutschen Bundesrepublik innerhalb des westlichen Verteidigungssystems erneut zu prüfen". In diesem Bericht, der der westdeutschen Öffentlichkeit bewußt vorenthalten wurde, wird die ganze katastrophale Lage der westdeutschen Wirtschaft geschildert, die unter Arbeitslosigkeit und Kohlenmangel in den nächsten Wochen einer verzweifelten Krisensituation entgegengeht. Es heißt in diesem Bericht — ich zitiere jetzt daraus —:
Gewiß kann und sollte Westdeutschland große Beiträge zur westlichen Verteidigung beisteuern.
In Punkt 2 heißt es weiter:
Es sollte seine eigenen industriellen Kapazitäten und seine Reserven an Arbeitskräften und an schöpferischem und erfinderischem Geist seiner Wissenschaftler und Ingenieure, die Fähigkeiten und die Arbeitskraft seines Volkes mobilisieren, um die westliche Verteidigungsproduktion zu unterstützen, indem es einen Teil seiner zivilen Produktion auf Verteidigungszwecke umstellt und seine Produktionskapazität erhöht.
In Punkt 3 heißt es:
Es muß seine Bevölkerung klug auf eine direkte Teilnahme an der militärischen Verteidigung Westeuropas vorbereiten, und zwar in der Form, die endgültig von den europäischen Ländern und von den USA festgelegt werden wird.
Hier handelt es sich also nicht etwa um die Ge-
winnung der Bevölkerung für deutsche Interessen,
für deutsche Pläne, sondern eindeutig, wie hier klipp und klar steht, für die Pläne des amerikanischen Rüstungskapitals.
In Abs. 2 dieser Denkschrift der Herren Erhard und Friedrich heißt es:
Westdeutschland sollte in größtmöglichem Ausmaß an der westlichen Verteidigungsproduktion beteiligt sein und sollte ebenfalls in den wirtschaftlichen Gremien der NATO mitarbeiten und nicht aus reinen Wettbewerbsgründen der Industrie anderer europäischer Länder präjudiziert werden. Man sollte sich darüber klar sein, daß die Verteidigungsanstrengungen anderer europäischer Länder bedeutsam erhöht werden müßten, wenn Deutschland ausfiele.
Da haben Sie das Programm der wirtschaftlichen Vorbereitung eines neuen, eines dritten Weltkrieges. Wie dieses Memorandum beweist, muß man in den nächsten Wochen verstärkt mit der Entwicklung der Rüstungsproduktion rechnen.