Rede von
Hellmut
Kalbitzer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Entwurf einer Verordnung über Zolländerungen wird gelegentlich als Entwurf einer Verordnung über Zollherabsetzungen bezeichnet. Eine solche Darstellung ist Spiegelfechterei. Denn gegenüber der Zeit bis 30. Juni dieses Jahres bringt diese Verordnung eine wesentliche Zollerhöhung. Die erhöhten Zölle, die seit dem 1. Juli bereits in Kraft sind und die durch diese Verordnung zum Teil noch weiter erhöht werden sollen, sind einer der Gründe der allgemeinen Preissteigerung und verstärken damit eine der Tendenzen, die zu einer Entwertung unserer Währung führen.
Wir haben die Vertreter der Regierung im Finanzausschuß gestern abend befragt, wieviel Mehreinnahmen diese Verordnung dem Etat bringen soll. Eine ausreichende Antwort hierauf war leider nicht zu erhalten.
Nur für sieben Einzelpositionen dieser Liste waren Zahlenangaben — naturgemäß Schätzungszahlen — vorhanden, nach denen bereits eine Mehrbelastung von 80 Millionen DM entsteht, so daß es gerechtfertigt ist, zu behaupten, daß die Gesamtmehrbelastungen durch diese Zollerhöhungen mehrere hundert Millionen DM ausmachen.
Die Vertreter des Finanzministeriums stehen auf dem Standpunkt, daß diese Erhöhungen von Industrie und Handel aufgefangen und sich nicht auf den letzten Verbraucher auswirken werden. Zu unserem Bedauern — offen gesagt — hat sich der Herr Wirtschaftsminister, Herr Professor Erhard, obwohl er in den Diskussionen wiederholt nach seinem Standpunkt gefragt worden ist, nicht geäußert, wie er zu der unerhörten Behauptung steht, Industrie und Handel machten derartige Gewinne, daß Mehrbelastungen durch Zölle in Höhe von mehreren hundert Millionen DM sich nicht auf den Endverbraucherpreis auswirkten.
Es ist überhaupt bemerkenswert, daß das Wirtschaftsministerium keinen generellen Standpunkt zu diesen Zollerhöhungen eingenommen hat, obwohl der Wirtschaftsminister bei einer früheren Zolldebatte hier im Plenum schon einmal von mir daraufhin angesprochen worden ist. Vielmehr hat sich das Wirtschaftsministerium jeweils nur zu kleinen Einzelfragen geäußert. Dabei sind doch die Zölle eines der wesentlichen marktkonformen Lenkungsmittel, zu denen sich die Wirtschaftspolitik Professor Erhards im Prinzip bekennt. Durch die fiskalische Betrachtung der Zölle seitens des Finanzministers wird die beabsichtigte Wirkung vollständig wieder aufgehoben.
Das fiskalische Interesse des Finanzministers an diesen Hochschutzzöllen kommt den Wünschen des Bauernverbandes in vielen Punkten sehr entgegen. Wir haben es erlebt, daß die Sätze des Regierungsentwurfs, für den das Bundesfinanzministerium verantwortlich zeichnet, durch den Außenhandelsausschuß, der sich in diesem Falle als Außenhandels verhinderungs ausschuß betätigt hat, noch erhöht worden sind, und zwar in einer entscheidenden Sitzung vor wenigen Tagen. 75 Prozent der bei dieser Ausschußsitzung Anwesenden gehörten zum Bauernverband
und ersetzten die anderen Vertreter der Regierungskoalition in diesem Ausschuß. Wortführer der Koalition in diesen Diskussionen ist ein Vertreter eben dieses Bauernverbandes geworden. Der Erfolg dieser Taktik war, daß Zollerhöhungen von ursprünglich — d. h. bis 30. Juni — 0 % auf 7 % für lebendes Vieh und auf 20 % für Fleischwaren eingetreten sind. Die Begründung, die die Vertreter des Bauernverbandes gaben, war im wesentlichen die, auch die Industriezölle seien so hoch. daß man entsprechende Agrarzölle brauche. Nun. diese teilweise tatsächlich überhöhten Industriezölle sind aber doch von den Herren innerhalb der Koalition, die sich heute als Vertreter des Bauernverbandes bezeichnen, mitbeschlossen worden!
Die Vertreter des Bauernverbandes können sich letzt doch nicht mit Protesten wegen überhöhter Zölle auf Industrieprodukte aus der Verantwortung ziehen.
Wenn die Bauern heute zu einem großen Teil über zu hohe Preise von Industrieprodukten klagen, so ist dazu zu sagen, daß an diesen Verhältnissen, sowohl was den Zoll als auch die allgemeine Wirtschaftspolitik dieser Regierung angeht. die Herren des Bauernverbandes innerhalb der Koalition mit verantwortlich sind.
Es ist völlig unmöglich, sich jetzt, wenn am Horizont neue Wahlen auftauchen, aus der Verantwortung zu ziehen
und etwa, wie es tatsächlich geschehen ist, mit dem Finger auf die Sozialdemokraten zu weisen, als ob wir mit dieser Politik etwas zu tun hätten.
Wir haben die Herren des Bauernverbandes in dieser letzten Ausschußsitzung auch beim Wort genommen und ihnen vorgeschlagen, mit uns zusammen gegen Zölle auf Industrieprodukte, industrielle Roh- und Halbrohstoffe zu stimmen. Die Herren des Bauernverbandes haben sich sehr wohl gehütet, für eine Ermäßigung der industriellen Zölle einzutreten.
Es ist also eine unerhörte Verdrehung der Tatsachen und Verantwortlichkeiten, wenn man jetzt anfängt, sich vor seiner Wählerschaft und der Öffentlichkeit über die Wirtschaftspolitik der Regierung Adenauer zu beklagen. Das wäre eine Taktik, die der sehr ähnlich sähe, die in dem bekannten Sprichwort gekennzeichnet wird: Haltet den Dieb!
Ein zweites Argument der Bauernvertreter war die bekannte Not der Landwirtschaft. Nun ist es nicht zu bestreiten, daß es in der Landwirtschaft echte Notzustände gibt; aber dieser Hinweis auf die Not der Landwirtschaft hat durch seinen jahrzehntelangen Mißbrauch an Wert eingebüßt. Wir geben ohne weiteres zu, daß die Probleme der Flurbereinigung, schlechte Böden in gebirgigen Gegenden, betriebswirtschaftliche Rückständigkeit einzelner Betriebe und einzelner Gebiete der Landwirtschaft Schwierigkeiten machen, und wir sind die ersten, die bereit sind, in diesen Situationen direkt zu helfen. Wir sind aber nicht bereit, durch allgemeine Preiserhöhungen, durch die allgemeine Abwälzung von Lasten auf den Preis auch die rentablen Betriebe durch Übergewinne weiter zu finanzieren. Wir würden die Gruppeninteressen gegenüber dem gesamtwirtschaftlichen Interesse in den Vordergrund rücken, wenn wir uns einer solchen Taktik, der traditionellen Taktik des Bauernverbandes, bedienen würden.
Lassen Sie mich dafür bitte ein Beispiel sagen. Der Kollege Struve hat dieser Tage im Außenhandelsausschuß erklärt, die Schweinepreise seien mit mindestens 12 DM pro Doppelzentner überteuert. Der Herr Staatssekretär Sonnemann hat auch erst vor wenigen Tagen erklärt, die Schweinepreise seien heute mit etwa 30 DM überteuert. Ich will gar nicht darüber rechten, welche Überteuerung wirklich vorhanden ist, möchte aber feststellen, daß es in dieser Situation ganz unangebracht ist, nun außerdem noch 8 % Zoll zu erheben; damit wird eine Regulierung des Marktes unmöglich gemacht.
Die Zölle auf lebendes Vieh, für das in dieser Situation zugegebenermaßen Überpreise gezahlt werden, bedeuten eine Gefährdung der Versorgung der deutschen Bevölkerung mit Fleisch. Ich will nur auf die lakonische Mitteilung der dänischen Regierung verweisen, daß sie Lebendvieh nicht nach Deutschland exportieren werde, wenn Deutschland dafür Zölle erhebe. Objektiv besteht doch in der Welt eine Knappheit an Fleisch. Die Fleischexporteure haben es heute nicht nötig, in ein Land zu exportieren, das sich durch Hoch-
schutzzölle gegen Fleischimporte wendet; sie werden das Fleisch in Länder verkaufen, in denen solche Zölle nicht existieren.
— Jawohl, Sie geben mir das Stichwort, Herr Dr. Preiß. In Torquay sind Verhandlungszölle verabredet worden, aber für eine Situation, die der heutigen entgegengesetzt ist, nämlich für Zeiten reichlichen Angebotes, in denen die Landwirtschaft gegen eine ruinöse Konkurrenz des Auslandes geschützt werden müßte. Meine Parteifreunde und ich haben dem zugestimmt, weil wir durchaus die Notwendigkeit anerkennen, die Landwirtschaft vor ruinöser Konkurrenz zu schützen. Aber in der heutigen Situation, in der Überpreise gezahlt werden, können wir diese Taktik nicht verfolgen. Es hat im Außenhandelsausschuß seinerzeit Einmütigkeit — Einmütigkeit, wiederhole ich — darüber geherrscht, daß in der Situation der Knappheit, wie sie während der Torquay-Konferenz auf dem Weltmarkt bereits sichtbar wurde, die Zölle in Deutschland nicht erhoben werden, vielmehr Zollbegünstigungslisten, und zwar weiterreichende als die jetzt vorliegenden, in Kraft treten sollten. Wenn Sie sich an diese Abrede, die man im Frühjahr bei den Diskussionen im Ausschuß erreicht hatte, halten würden, könnten wir auch dieser heutigen Zollbegünstigungsliste durchaus zustimmen. Diese Abmachung ist aber von Ihrer Seite nicht gehalten worden, und deshalb können wir das heute nicht mitmachen.
Von Vertretern der Landwirtschaft ist zur Begründung dafür, daß trotz der Überpreise, deren Bestehen von Herrn Struve anerkannt worden ist, noch Einfuhrzölle erhoben werden müßten, auch das Versagen der Vorratsstelle für Fleisch angeführt worden. Ich habe diese Behauptung nur zur Kenntnis genommen, muß hier aber öffentlich feststellen, daß für ein solches Versagen der Vorratsstelle für Fleisch die Partei des Herrn Struve und die Regierungskoalition verantwortlich sind, nicht wir. Und wenn sich die Vertreter der Landwirtschaft heute über das Versagen einer solchen Stelle beschweren sollten, dann müssen sie sich an die eigene Nase fassen.
Ebenso unverantwortlich wie diese Zölle auf wichtige Grundnahrungsmittel, die heute aus eigener Produktion nicht in ausreichender Menge geliefert werden können, ist es in dieser Situation, auch für industrielle Roh- und Halbwaren Zölle einzuführen, für Produkte, die in Deutschland nicht in ausreichender Menge hergestellt werden können und deren Einfuhr auch nicht etwa eine Konkurrenz für die deutsche Produktion bedeutet. Die Weltmarktpreise für industrielle Roh- und Halbfabrikate sind heute so exorbitant hoch, daß die deutsche Industrie durch diese Preise durchaus nicht gefährdet wird und deshalb ein Zollschutz nicht erforderlich ist. Es handelt sich ja hier — lassen Sie mich das besonders betonen — nicht um eine langfristige Zollpolitik, sondern um eine der heutigen weltwirtschaftlichen Lage angepaßte Zollpolitik, die sich ändern muß, wenn sich die weltwirtschaftliche Lage ändern sollte.
Der Vertreter des Wirtschaftsministeriums hat nun zu dieser Sachlage behauptet, die Zölle auf Zellwolle für die Kunstseide- und Kunstwollproduktion habe die Industrie akzeptiert. Das ist ein interessanter Hinweis darauf, daß sich die Industrie hier herbeiläßt, etwas zu konzedieren, was sie doch nicht selber bezahlt, sondern bei der Knappheitssituation auf den Konsumenten abwälzt. Es ist leicht, etwas zu konzedieren, was man nicht selber zu bezahlen braucht. Wenn ernstlich behauptet wird, daß die Industrie diese Zölle nicht auf die Konsumenten abwälzt, dann liegt darin die Behauptung, daß die Industrie so hohe Übergewinne machte, daß sie diese Zölle jetzt verkraften kann, — für die Eigenproduktion an Zellwolle, wenn ich nicht irre, allein 10 Millionen DM!
Kurz und zusammengefaßt: Die vorliegende Regelung ist ein Gegenseitigkeitsgeschäft zwischen Vertretern des Bauernverbandes und dem Herrn Finanzminister unter wohlwollender Assistenz der Industrie, und der Verbraucher wird auch in dieser Situation ausgequetscht wie eine Zitrone.
Diese Kurzsichtigkeit hilft den Bauern auf die Dauer nichts; das ist meine feste Überzeugung. Auf die Dauer kann der Landwirtschaft nur eine größere und stetige Nachfrage der Konsumenten helfen. Die Politik des Herrn Finanzministers, hier weiter indirekte Steuern zu erheben, ist eine Methode, bei deren Anwendung der Konsument belastet wird. Damit schlachtet man die Henne, die die goldenen Eier legen soll, und drängt die Konsumenten in ihrer Existenz weiter an den Abgrund.