Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat in der schriftlichen Begründung der heute zur Beratung stehenden Vorlage von der Notwendigkeit einer Fortbildung der Reichsdienststrafordnung und sogar von Reformgedanken gesprochen, die bei der Neufassung berücksichtigt werden müßten. In der Tat gibt es in der Vorlage einige wesentliche Neuerungsvorschläge gegenüber den bisherigen dienststrafrechtlichen Verfahrensregeln, so u. a. die
Öffentlichkeit des Verfahrens, die Wiedereinführung der Verjährung in der Form einer Beschränkung der Dienststrafverfolgung und das Institut des Generalanwalts, der als Vertreter der öffentlichen Interessen oder, wie es in der Vorlage so scheußlich heißt, „der öffentlichen Belange" fungieren soll.
Bei all diesen Bestimmungen finden sich Ansätze für eine Fortbildung der bisherigen Praxis; das muß zugegeben werden. Die kühne Verheißung wirklicher Reformen aber scheint weder hier noch an anderer Stelle erfüllt zu sein, und die sozialdemokratische Fraktion würde es begrüßt haben, wenn man sich im federführenden Bundesministerium des Innern bei den Vorarbeiten zu der Novelle ein wenig ernsthafter mit der Aufgabe befaßt hätte, einen wesentlichen Schritt auf dem Wege zu einer wirklich fortschrittlichen und demokratischen Weiterentwicklung des Beamtenrechts zu gehen. In dieser Richtung bedeutet die Vorlage für uns eine Enttäuschung. Die Kritik, die wir üben wollen, ist jedoch eine sachliche Kritik, und wir hoffen, daß sie bei den Ausschußberatungen in entsprechenden Änderungsbeschlüssen ihren Niederschlag finden wird. Für heute mag es genügen, einige wenige Punkte hervorzuheben, in denen uns die Vorlage nicht auszureichen scheint oder Bedenken auslöst.
Die Neufassung des § 3 Abs. 2 läßt die Möglichkeit offen, auch nach eingetretener Verjährung gegen mißliebige Beamte mit der Behauptung vorzugehen, daß eine höhere Bestrafung als eine solche durch Verwarnung, Verweis oder Geldbuße gerechtfertigt sei. Herr Kollege Miessner hat vorhin davon gesprochen, daß es eine der Aufgaben der Reichsdienststrafordnung in ihrer neuen Fassung für die Bundesrepublik sein müsse, schwarze Schafe auszumerzen. Nun gibt es aber auch Fälle — und davon zeugt ja schon das Institut der Selbstanklage —, in denen es nicht nur darauf ankommt, jemand auszumerzen, der Beamter ist, sondern unter Umständen Anwürfe, die gegen ihn erhoben werden, zu klären und ihm eine Möglichkeit der Selbstreinigung zu geben. Es gibt unter Umständen auch gefärbte Schafe, die durch einen mißgünstigen Dienstvorgesetzten in Schwierigkeiten gebracht werden können. Jedenfalls scheinen uns eingehende Überlegungen bei der weiteren Beratung des § 3 Abs. 2 notwendig zu sein. So könnte man u. a. etwa an ein zwangloseres Zwischenverfahren denken.
Die Neufassung des § 13 sieht vor, daß künftig auch bei schwebenden Strafverfahren gleichzeitig das Dienststrafverfahren durchgeführt werden kann. E s ist keinesfalls sicher, daß eine solche Regelung der Beschleunigung dient, wie es wohl die Absicht ist, sondern man muß die Dinge in der Tat auch unter dem Gesichtspunkt sehen, den Kollege Miessner schon angedeutet hat, ob nicht durch die vorgesehene Regelung unnötige Komplikationen ausgelöst werden. Wir kommen nämlich im Falle der Durchführung von zwei getrennten Verfahren auch zur doppelten Erhebung von Beweisen. Es kann also Widersprüche und verschiedenartige Wertungen geben. Damit würde in dieses Gesetz und in die durch dieses Gesetz ausgelöste Praxis ein sicherlich nicht gewolltes Element der Rechtsunsicherheit hineingebracht. Wir werden bei den Ausschußberatungen auf diese möglichen Schwierigkeiten zu achten haben.
Die Bedenken des Bundesrats hierzu sind zitiert worden. Sie erscheinen uns beachtlich und werden
4 nach unserer Auffassung durch die Stellungnahme der Bundesregierung auf Seite 42 der Vorlage nicht ausgeräumt.
Ebensowenig überzeugt uns der vorletzte Halbsatz des § 13 Abs. 3, der das einstimmige Votum des richterlichen Kollegiums vorsieht. Von der mehr grundsätzlichen Frage abgesehen, ob es richtig ist, das Prinzip des richterlichen Abstimmungsgeheimnisses zu durchbrechen — das hier zur Farce wird —: Richter sind auch Menschen, und ein Querkopf im Kollegium kann durch sein Veto unter Umständen eine sonst klare Entscheidung verhindern. Wir glauben, daß man auch bei dieser Regelung vom Grundsatz der Mehrheitsentscheidung nicht abgehen sollte.
Der § 21 sieht die Streichung der Worte „und hält der Dienstvorgesetzte ein Strafverfahren für angezeigt" vor. Mag hierbei auch nicht beabsichtigt sein, das bisher übliche Opportunitätsprinzip durch das Legalitätsprinzip, also die Verpflichtung zu ersetzen, jede dienststrafbare Handlung zu verfolgen, so kann diese Streichung doch möglicherweise zu Unklarheiten führen, selbst wenn man an das in § 3 Abs. 1 ausdrücklich hervorgehobene pflichtgemäße Ermessen denkt. Gerade bei § 21, der von den Vorermittlungen handelt, sollte — dies als freundlicher Hinweis für die Ausschußberatungen — auf eine möglichst klare Regelung Wert gelegt werden.
Zur Frage der Selbstanklage, die in § 28 behandelt wird, ebenfalls nur ein Hinweis. Es bedarf unseres Erachtens einer Rekursmöglichkeit gegen die ablehnende Entscheidung der Einleitungsbehörde. In Hessen und Nordrhein-Westfalen ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet. Auch Bayern kennt entsprechende Rechtsbehelfe. In unserem Falle sollte die Anrufung der Dienststrafkammer erwogen werden.
Gestatten Sie mir, noch kurz drei Punkte hervorzuheben, ohne damit die Problematik der Vorlage erschöpfen zu wollen. Im Verlauf einer langen Entwicklung hat sich der Begriff „Vertreter des öffentlichen Interesses" eingebürgert. Ist es notwendig, wie es die Vorlage tut, statt dessen mit dem Fanatismus einer umstrittenen Sprachreinigungswut von dem „Vertreter der öffentlichen Belang e" zu sprechen? Ist es des weiteren vonnöten, für den Inhaber dieser Funktion die anspruchsvolle Bezeichnung „Generalanwalt" zu wählen? Genügt es nicht, wenn der Vertreter des öffentlichen Interesses schlicht und treu ohne einen hochtrabenden Titulus fungiert? Und wenn man schon einen solchen. Titel sucht, würde es nicht ausreichen, ihn „Bundesanwalt für Dienststrafangelegenheiten" zu nennen? Wir bitten jedenfalls, nach dieser Richtung hin im Ausschuß entsprechende Erwägungen anzustellen.
Genau geprüft werden sollte auch die Frage — sie wird durch die vom Bundesrat mit Zustimmung der Bundesregierung vorgeschlagene Neufassung des § 56 Abs. 1 Satz 1 angerührt —, zu welchem frühestmöglichen Zeitpunkt der Beamte sich eines Beistandes bedienen kann. Uns erscheint es zweckmäßig, diese Möglichkeit bereits im nichtförmlichen Verfahren zu eröffnen; denn schon bei der verantwortlichen Vernehmung bedarf unter Umständen besonders ein rechtlich nicht geschulter Beamter des Rates von rechtskundiger Seite. Hier taucht im übrigen die Frage auf, ob nicht auch die Beamtengewerkschaften als Beistände zugelassen werden sollten, eine Frage, die bei der Ausschußberatung besonders ernsthaft geprüft 'werden müßte.
Ein letzter Punkt: Der § 108 sieht besondere Vorschriften für richterliche Beamte vor. Sie entsprechen der Regelung, die in Nordrhein-Westfalen für alle Beamten gilt, und sichert die Unabhängigkeit von der Dienstbehörde für die Fragen des Dienststrafverfahrens. Auch für den Bund sollte die Erstreckung einer solchen Regelung auf alle Beamtenkategorien sorgsam erwogen werden.
In diesen Komplex gehört schließlich auch die Frage, ob es richtig ist, die Bundesdienststrafkammer für Richter nur aus Richtern, also Standeskollegen, zusammenzusetzen. Ich denke dabei weniger an das Wort, daß eine Krähe der anderen kein Auge aushackt; ich habe im Gegenteil eine ganz andere Befürchtung, nämlich die, daß unter Umständen eine überspitzte Ehrauffassung hier zu unangemessenen Entscheidungen führt. Jedenfalls ist nach unserer Auffassung nicht einzusehen, warum die Dienststrafgerichte für die Bundesrichter anders zusammengesetzt sein sollen als die Dienststrafgerichte für alle anderen Beamten.
Das alles sind. Hinweise, die in der heutigen ersten Lesung nicht vertieft werden konnten und keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Wir werden sie bei den Ausschußberatungen in Erinnerung bringen und ergänzen. Wir beantragen, die Vorlage an den Ausschuß für Beamtenrecht als federführenden Ausschuß und an den Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung als mitberatenden Ausschuß zu überweisen.