Das Wort hat nunmehr zur Begründung des mit der Behandlung dieses Punktes verbundenen Antrags Herr Abgeordneter Kohl.
Kohl (KPD), Antragsteller: Meine Damen und Herren! Die Fraktion der KPD unterbreitet in der Drucksache Nr. 2539 dem Bundestag einen Antrag auf Gewährung einer einmaligen Winterbeihilfe an einen bestimmten Personenkreis. Da in der gesamten Sozialpolitik und ihren Leistungen an die Sozialberechtigten in den letzten Jahren eine fühlbare Verbesserung nicht eingetreten ist, war es für uns eine Verpflichtung, auch in diesem Jahre wieder zu versuchen, ihnen durch die Einbringung eines entsprechenden Antrages Hilfe in bescheidenem Maße zukommen zu lassen. Wir sind der Meinung, daß diesen Menschen außer mit einer bescheidenen finanziellen Beihilfe auch bei der Beschaffung des notwendigen Hausbrands und der notwendigen Einkellerungskartoffeln geholfen werden muß. Niemand wird behaupten wollen, daß die von uns aufgestellten drei Forderungen nicht realisierbar seien und daß aus diesem Grunde die Bundesregierung sich ihrer selbstverständlichen Pflicht gegenüber diesem Personenkreis entziehen dürfe.
Bereits im vergangenen Jahr haben wir einen ähnlichen Antrag eingereicht, über den der Herr Berichterstatter soeben referiert hat. Er wurde allerdings erst im März 1951 in den Ausschüssen beraten und dann mit der Feststellung abgelehnt, der Winter sei vorbei, dieser Antrag der kommunistischen Fraktion sei durch die „tatkräftige Hilfe"
des Bundes, der Länder und Gemeinden überholt.
Meine Damen und Herren, der Antrag vom vorigen Jahre wurde dem Plenum des Bundestages am 5. Juli 1951. vorgelegt und hat durch die verschleppte Entscheidung praktisch seinen Sinn verloren. Obwohl der Ausschuß für Sozialpolitik und der Ausschuß für Arbeit die Meinung vertreten haben, eine Reform der Sozialversicherung sei eine zwingende Notwendigkeit, obwohl sie die Bundesregierung aufgefordert haben, recht bald diese Reformpläne vorzulegen, die — so hat wenigstens der Vertreter des Bundesarbeitsministeriums versichert — im Bundesarbeitsministerium bereits bis zu einem gewissen Abschluß gediehen seien, warten wir heute immer noch auf diese dringend notwendige Reform. Ich bin der Überzeugung, daß wir noch einige Zeit auf diese „Reform" warten müssen, und deswegen ist unser Antrag absolut berechtigt.
Die Hilfe des Bundes, der Länder und der Gemeinden bestand in einer kleinen, ungenügenden Beihilfe, die nicht im entferntesten dazu beigetragen hat, die Not in dem von uns genannten Personenkreis auch nur zu mildern. Nach den vorliegenden amtlichen statistischen Berichten liegen 60 % aller Einkommen unter 300 DM, und nach den Berechnungen aus derselben Quelle beträgt der monatlich notwendige Aufwand für Unterhalt allein weit über 320 DM. Das durchschnittliche Einkommen bei Männern, die in Arbeit stehen, liegt um 268 DM, bei Frauen um 162 DM. Vergleicht man damit das Einkommen des Personenkreises, der von uns in unserem Antrag angesprochen worden ist, so muß man feststellen, daß beispielsweise — um nur einige Zahlen zu nennen — der erwerbslose Ernährer einer vierköpfigen Familie bei einem monatlichen Bruttolohn von 375 DM von der Arbeitslosenversicherung 40,20 DM, in der Arbeitslosenfürsorgeunterstützung 33,30 DM erhält. Bei einem monatlichen Bruttolohn von 175 DM erhält der Unterstützungsempfänger in der Arbeitslosenversicherung 30 DM, in der Arbeitslosenfürsorgeunterstützung 27,60 DM. Vergleicht man diesen Betrag mit den vom Statistischen Bundesamt errechneten und inzwischen ständig weiter gestiegenen Kosten eines Haushalts dieser Größe, so ergibt sich eine klaffende Divergenz, die zu beseitigen die Pflicht. der Regierung sein sollte.
Das vom Statistischen Bundesamt unter dem 3. 9. 1951 herausgegebene Material über die Preisentwicklung in den Großstädten des Bundesgebiets orakelt allerdings, daß eine Senkung der Preisindexziffer für die Lebenshaltungskosten um zirka 1 °/o zu erwarten sei. Dabei dürfte auch für die Herren des Statistischen Bundesamtes feststehen, daß durch die geplante Verteuerung des Zuckers um 17 Pfennig je Pfund, durch die Erhöhung der Preise für Milch und Butter und nicht zuletzt auch durch die Freigabe der Margarinepreise trotz aller gegenteiligen Erklärungen eine weitere Erhöhung der Lebenshaltungskosten eintritt. Die Erhöhung der Tarife bei der Eisenbahn und der Post wird zwangsläufig auch die Lebenshaltung der westdeutschen Bevölkerung beeinflussen. Man kann sich nicht einfach auf den Standpunkt stellen, daß mit der sogenannten Erhöhung der Renten und der Unterstützungssätze um „durchschnittlich 25 %" eine fühlbare Erleichterung für diesen Personenkreis eingetreten sei. Der Herr Bundesarbeitsminister wird bestätigen müssen, daß gerade bei den Arbeitslosen die sogenannte Erhöhung der Arbeitslosenunterstützungssätze praktisch nur bei
einem geringen Teil der Erwerbslosen im Durchschnitt 90 Pfennig bis 1,50 DM beträgt und demnach wirklich nicht als Ausgleich gerechnet werden kann.
Man kann einfach dem von uns angesprochenen Personenkreis nicht zumuten, aus seinen bescheidenen Renten und sonstigen Einkommen auch noch den für den Winter notwendigen Hausbrand zu bezahlen. Wir sind deshalb der Auffassung, daß es Pflicht des Bundestages ist, durch die Annahme unseres Antrages die Lieferung von Hausbrand sicherzustellen, um schwerste gesundheitliche Schäden bei diesen Menschen zu vermeiden. Wir haben bewußt die Tuberkulosehilfe in diesen Antrag mit einbezogen, weil der Bundesfinanzminister durch die Sperrung des Bundeszuschusses von 450 Millionen DM an die Länder sich mitschuldig gemacht hat, daß auch auf diesem Sektor die bereits bestehende soziale Notlage noch um ein Bedeutendes verschärft wird.
Uns interessiert nicht die Differenz des Herrn Schäffer mit den Länderfinanzministern, sondern die soziale Auswirkung einer solchen Politik, die ja nicht nur eine Angelegenheit des Bundesministers allein, sondern eine Angelegenheit des ganzen Kabinetts ist. Selbstverständlich denkt der Bundesfinanzminister nicht daran, die Zahlung der Besatzungskosten einzustellen.
Dieses Gebiet ist für ihn tabu. Durch die Ausschöpfung der letzten steuerlichen Möglichkeiten versucht er, die Deckung der dafür notwendigen Mittel zu sichern. So viel Initiative, wie der Herr Bundesfinanzminister auf diesem Gebiet entwickelt, wünschen wir bei der Hilfe für den Personenkreis, der in unserem Antrag umrissen ist. Die Zahl der langfristig Erwerbslosen ist in den letzten Berichtsmonaten um ein Bedeutendes gestiegen.
— 15 Minuten, Herr Dr. Mühlenfeld!
Es ist mit Sicherheit damit zu rechnen, daß die sich aufwärts bewegende Kurve in den nächsten Wochen noch weiter ansteigt. Es wird an anderer Stelle Gelegenheit sein, auf die Ursachen dieser Entwicklung einzugehen. Es ist aber ein schwacher Trost, wenn man die Behauptung hört, daß durch eine neue Wirtschaftspolitik die Arbeitslosen in Arbeit gebracht werden sollen und den Forderungen der Gerechtigkeit Genüge getan werde.
Der Herr Bundesarbeitsminister hat in einem Interview in den letzten Tagen die Behauptung aufgestellt, daß der Sozialetat des Bundes um zirka eineinhalb Milliarden gestiegen sei. Er vergißt aber, zur gleichen Zeit mitzuteilen, daß parallel mit der Steigerung des Sozialetats eine weitere Steigerung der Lebenshaltungskosten läuft, und zwar in einem bedeutend höheren Maße, als der Sozialetat gestiegen ist.
Wenn Sie also auf Grund Ihrer Politik nicht in der Lage sind, den Arbeitslosen Arbeit, den Rentnern eine ausreichende Unterstützung und den Körperbeschädigten der beiden Weltkriege das zum Leben Notwendige zu geben, dann sollen Sie nicht von einer sozialen Politik reden.
Die Lage in Westdeutschland wird nach einem Bericht der Frankfurter Börse besonders grell durch die Tatsache beleuchtet, daß kurz nach Abschluß der Washingtoner Konferenz die Kurse der Aktien der Rüstungskonzerne schlagartig nach oben gehen. Parallel mit dem Steigen der Aktien geht das Steigen der Preise für den notwendigen. Lebensbedarf.
Wir sind deshalb der Meinung, daß unser Antrag so beschleunigt behandelt werden muß, wie es notwendig ist, um bereits in einer der nächsten Ausschußsitzungen zu einer Entscheidung zu kommen. Wir haben kein Verständnis für die Bezahlung der unerhört hohen Besatzungskosten, die sich nach Pressemitteilungen noch um ein Bedeutendes vermehren werden. Wir haben ferner kein Verständnis für die weitere Verstärkung des Grenzschutzes und der Polizei. Sorgen Sie, meine Damen und Herren, zuerst für die Beseitigung der dringendsten Not.
Ich bitte Sie, unserem Antrag Ihre Zustimmung zu geben.