Rede von
Heinrich
Imig
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, nicht zu übertreiben, wenn ich behaupte, daß die Sorge des einzelnen Verbrauchers in der Bundesrepublik um die Zuteilung der Kohle sich allmählich zu der Sorge entwickelt, die er einmal wegen der Zuteilung von notwendigen Lebensmitteln hatte. Diese Sorge bezieht sich ja nicht nur auf seinen Haushalt, sondern auch auf seine Arbeitsstätte und so auf die Frage, ob Kurzarbeit oder Entlassung ihm drohen oder nicht. Daß diese Menschen sich in dieser Sorge an alle möglichen Stellen wenden, ist letzten Endes eine Selbstverständlichkeit. Namentlich die Gewerkschaften werden immer wieder von Leuten überlaufen, die fragen: Was wird mit unserem Arbeitsplatz, bekommen wir Kurzarbeit oder nicht?
Die Industriegewerkschaft Textil hat sich an Sie gewandt, Herr Bundeswirtschaftsminister. Sie hat Ihnen — wenn ich nicht irre, unter dem 7. August — einen Brief geschrieben, den sie auch in der Fachpresse veröffentlicht hat. Die Industriegewerkschaft Textil ist nicht unhöflich gewesen. Sie hat bis zum 11. September gewartet und dann an die Beantwortung erinnert. Soviel mir bekannt ist, hat die Gewerkschaft bis heute noch keine Antwort auf ihren Brief bekommen.
Ich glaube nicht, daß die Industriegewerkschaft Textil angenommen hat, sie werde mit diesem Brief an Sie alle ihre Sorgen los. Es wäre aber zumindest ein Akt der Höflichkeit gewesen, ihr jetzt auf diesen Brief zu antworten, damit die Gewerkschaft die ewigen Fragen ihrer Mitglieder hätte beantworten können.
Ich teile auch nicht, Herr Bundeswirtschaftsminister, Ihren Optimismus über unsere Versorgungslage. Sie haben dargelegt, wenn ich nicht irre, daß die Hausbrandversorgung zu 92 % sichergestellt sei.
— Erfüllt sei! Sehen Sie, Herr Etzel, ich bin noch nicht einmal so weit gegangen wie Sie.
Ich habe hier einen Brief eines Kohlenhändlers aus Altenbeken.
Auf Grund der Eintragungen in die Kundenlisten hat der Händler eine Bezugsberechtigung für 4307 Zentner Steinkohle und 2755 Zentner Koks. Man hat ihm für den Monat September 3 t, also 60 Zentner Steinkohle und 3 t, also 60 Zentner Koks geliefert.
Ich möchte überhaupt vor allzugroßem Optimismus warnen, selbst wenn der Kohlenhändler die 20 Zentner pro Haushalt geliefert bekommt. Bei dem Verbraucher entsteht der Eindruck, als wenn er jetzt diese 20 Zentner zu bekommen hätte.
— „Hat er auch", sagen Sie, Herr Kollege. Erkundigen Sie sich aber mal bei den Verbrauchern, was sie in Wirklichkeit bekommen.
— Ist das eine bequeme Angelegenheit, zu sagen: Ländersache! Es wird ganz bestimmt nicht Ländersache sein, Herr Kollege Etzel, wenn ein Kohlenhändler 3 t Steinkohle und 3 t Koks bekommt, die er jetzt nach einer Kundenliste verteilen muß, die 305 Haushaltungen umfaßt.
Aber ich möchte auf den vorliegenden Antrag selbst eingehen. Er geht davon aus, daß man zu besseren Ergebnissen käme, wenn man die zur Verfügung stehende Kohle anders verteilte. Eins ist mir allerdings dabei nicht klar, und das ist die Frage, daß Betriebe, die für die Kriegsproduktion arbeiten, von der Belieferung ausgeschlossen werden sollen. Es wäre also zu klären, welche Betriebe eigentlich unter den Begriff „Herstellung von Kriegsproduktion" fallen würden. Wir wissen doch aus Erfahrung, daß sich letzten Endes jede Fahrrad-, jede Textilfabrik oder jede Schneiderstube auf Kriegsproduktion umstellen kann. Wir können nicht alle diese Betriebe ausschließen. Das ist schon sehr deutlich dargestellt worden. Ich erinnere an den Weltfriedensrat, der im Februar und März in Berlin getagt hat. Da hat der Franzose Yves Farges genau ausgedrückt, was damit gemeint sein sollte. Er ist sogar so weit gegangen, daß er an Quebeck erinnerte, wo einmal der Morgenthauplan geboren wurde.
Selbstverständlich sind diese Dinge für den Bundestag keine Diskussionsgrundlage, sondern wir müssen schon von den tatsächlichen Verhältnissen ausgehen. Meiner Meinung nach ist das gar nicht so sehr ein Verteilungsproblem als vielmehr ein Problem erhöhter Produktion.
Wir würden uns wahrscheinlich viel besser stehen, wenn wir uns darüber unterhielten: Wie können mehr Kohlen gefördert werden?
Ich will dabei nicht auf den Bergarbeiterwohnungsbau eingehen, der bei einer anderen Gelegenheit zur Debatte stehen wird; ich will auch nicht auf die fehlenden Investitionen im Bergbau eingehen. Das Gesetz liegt auch vor und wird bereits im Wirtschaftsausschuß beraten. Ich hätte aber einige andere Momente herauszustellen.
Wir kranken in Westdeutschland zunächst einmal hauptsächlich daran, daß wir uns seit Jahren mit der Neuordnung in der Kohlewirtschaft befassen und bis heute noch kein Resultat haben.
— Ich weiß nicht, Herr Kollege, was Sie dazu zu sagen haben. Paßt Ihnen der Zustand, wie er heute ist, oder möchten Sie auch eine Änderung? Daß die Neuordnung in der Kohlewirtschaft ganz bestimmt eine Änderung schafft, wird jeder Kenner der Kohlewirtschaft behaupten müssen; denn es muß doch endlich einmal festgestellt werden, wer wem verantwortlich ist.
Solange wir diese Frage nicht klären, wird's wahrscheinlich auch nicht zu einer erhöhten Produktion kommen können.
Wir kranken weiter im Bergbau daran, daß wir nicht genügend Arbeitskräfte zur Verfügung haben. Die Fluktuation, die wir im Bergbau haben, ist derart groß, daß sogar mehr Bergarbeiter abkehren, als angelegt werden. Jetzt gilt es, einmal zu untersuchen: Warum ist das so? Warum kehren mehr Bergarbeiter ab, als angelegt werden? In dieser Frage kann man auch nicht allein mit dem Wohnungsbau helfen; da sind ganz andere Dinge maßgebend. Diese Klagen hören wir in letzter Zeit sehr oft. Der Bergmann ist an und für sich einen rauhen und herzlichen Ton gewöhnt; aber das, was sich heute im Bergbau tut, spottet beinahe jeder Beschreibung. Wenn nun die frisch angelegten Kräfte mit dieser Behandlung nicht einverstanden sind, so ist das sehr wohl zu verstehen.
Ich sprach eben von der Neuordnung in der Kohlewirtschaft und davon, wer wem verantwortlich ist. Diese Neuordnung haben wir unbedingt nötig, damit nachgeprüft wird, inwieweit die organisatorischen Betriebsaufgaben durchgeführt werden. Ich will Ihnen — in rohen Zahlen — als Beispiel zwei Schachtanlagen nennen — ich komme auf die Schichtenstruktur zu sprechen die dicht nebeneinander liegen. Bei der einen Schachtanlage sind 60% produktiv beschäftigt und 40 % unproduktiv. Bei der andern Schachtanlage sind 40 % produktiv beschäftigt und 60 % unproduktiv. Wir wären die letzten, die etwas dagegen sagen würden, daß Ausbau- und Vorrichtungsarbeiten betrieben werden. Ob sie aber gerade in der heutigen Zeit der Kohlennot derart intensiv betrieben werden müssen, das ist eine andere Frage. Ich glaube ganz bestimmt, daß auch da einmal nachgesehen werden müßte.
— Ach, wir von der Industriegewerkschaft Bergbau sind leider keine Zechenarbeiter, sondern wir können nur sagen, was wir darüber denken.
Es ist eine Tatsache, daß der Bergbau in der Schaffung bzw. Erhaltung günstiger Arbeits- und Lohnbedingungen immer noch nicht genügend hervorgehoben worden ist. Sie werden mir sagen: Das ist übertrieben; ihr verdient im Bergbau ganz gut! Aber, meine Damen und Herren, Sie vergessen dabei eines, und das gehört auch zu der großen Frage, warum die Leute im Bergbau nicht gehalten werden können. Sie müssen dabei immer berechnen, daß ein Bergmann mit 40 Jahren nahezu bergfertig ist. Denn augenblicklich — und lassen Sie sich die Ziffern von der Unfallberufsgenossenschaft einmal darüber geben — stehen die Dinge so, daß die Steinstaublunge nahezu überhand nimmt. Geeignete Mittel, um das zu verhüten, sind bis heute noch nicht erfunden worden. Sie können sich vorstellen, daß das ganz bestimmt kein Zugmittel ist, um jetzt in den Bergbau hineinzugehen.
— Wo liegt denn die größte Gefährdung? Ja, mein lieber Mann, wissen Sie denn, was Bergbau heißt? Glauben Sie, daß Sie im Bergbau in der Lage wären, den Staub jetzt herauszuschaffen? Es ist bis heute noch nicht möglich.
— Herr Kollege Renner, es kommt nicht auf das Mehrproduzieren durch physische Leistung an. Ich glaube, wir beide sind uns darüber einig. Diese physischen Kräfte sind beim Bergmann nicht mehr
da, um mehr einzusetzen. Es muß jetzt eben nach andern Mitteln gesucht werden.
Es ist auch bei der Kohleverteilung so — ich habe hier einen interessanten Zeitungsartikel, Herr Wirtschaftsminister! —, daß man da nicht von mehreren Verteilungsstellen ausgehen kann. Zum Beispiel habe ich hier eine Zeitungsnotiz vor mir liegen, die sagt, daß der Vorsitzende der CDU-Fraktion der Bremer Bürgerschaft, Müller-Hermann, erklärt habe, daß ihm auf Grund einer Unterredung, die er mit dem Herrn Bundeskanzler Dr. Adenauer gehabt habe, versprochen worden sein soll, 40 000 Tonnen Hausbrandkohle zusätzlich zu erhalten.
Das hat den Senator Wolters veranlaßt, einen offenen Brief an ihn zu richten, und auf diesen offenen Brief ist dann zugegeben worden, daß Bremen eine Aufstockungsquote von 40 000 Tonnen erhalten sollte. Diese 40 000 Tonnen sind ein Viermonatsbedarf von Bremen.
Ich glaube kaum, daß man auf diese Art und Weise Kohlen verteilen kann; denn ich bin mir klar darüber, daß bei der Mangellage, in der wir sind, diese 40 000 Tonnen irgendwoanders weggenommen werden mußten, wo sie jetzt selbstverständlich fehlen.
Es wäre vielleicht auch zweckmäßig, diese Zahlen,
die uns da genannt worden sind, einmal zu überprüfen.
Ich beantrage daher, diesen Antrag dem Wirtschaftsausschuß zu überweisen.