Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der uns heute vorliegende Entwurf löst auf den ersten Blick schwerstwiegende Bedenken aus, ob man auf diese Weise ein Fürsorgeproblem anpacken oder gar erledigen kann. Frau Wessel hat dankenswerterweise auseinandergesetzt, welche Bedenken gegen ihren Gesetzentwurf obwalten und hat gemeint, daß mit der Bestimmung des § 2 etwas Neues und Wesentliches gesagt sei. Ich als Diener des Rechts vermisse aber jede Abgrenzung sowohl zu den im Entmündigungsrecht vorgesehenen gesetzlichen Möglichkeiten als auch zu den im Strafrecht weitgehend vorgesehenen Sicherungsverwahrungen oder Bestimmungen über Unterbringung in einem Arbeitshaus bei den bekannten Übertretungen wie Landstreicherei, Bettelei usw. Diese Dinge müssen daher zunächst völlig geklärt werden,
und zwar aus folgendem Grunde.
Hier ist ein Vormundschaftsverfahren vorgesehen, d. h. also die Vormundschaft über Erwachsene wird verhängt, und zwar ist nach diesem Entwurf die einzige Voraussetzung, daß der Betroffene über 18 Jahre alt zu sein hat. Über 18, weil bis dahin bekanntlich nach dem Jugendschutz-
Besetz Zwangsfürsorgeerziehung möglich ist, die Sicherungsverwahrung. Eine Altersgrenze nach oben ist in dem Entwurf nicht gesetzt. Vor allem ist es sicherlich notwendig, eine obere Altersbegrenzung in das Gesetz aufzunehmen; es sollte doch eine Bewahrung von insbesondere — was ja leicht vorkommt — „verwahrlosten" alten Witwern und Witwen, hauptsächlich Witwern, Männern im Greisenalter, bei denen doch von Erziehung von „Spätreifen" nicht mehr die Rede sein kann, sondern umgekehrt eher von Spätentreiften, von Senilen nämlich, überhaupt nicht zur Erörterung stehen. Ich glaube also, wenn dies eine verlängerte Jugendschutzbestimmung sein soll, dann gehört zunächst einmal eine obere Altersbegrenzung in das Gesetz hinein.
Weiter aber ist in den außerordentlich dankenswerten Ausführungen des Herrn Sachverständigen — Oberregierungsrat Gotschick vom Innenministerium — vor dem Fachausschuß schon die Verwandtschaft der rechtlichen Bestimmungen sehr klar gekennzeichnet worden. Da muß ich nun hervorheben, daß die anderen Bestimmungen, insbesondere die über die vormundschaftsrichterliche Entmündigung und die strafrechtliche Freiheitsentziehung, einen viel besseren Rechtsschutz gewährleisten, wenn es sich um die Frage handelt, ob Verwahrung vorzunehmen ist, als das, was hier vorgesehen ist. Ein Mann, der von sich behauptet, daß er ein Genie, ein Künstler sei, der still sein Triebleben führt, aber beileibe- deshalb noch nicht verwahrlost sei im Sinne der bürgerlichen Gesellschaft, weil er seinem Triebe frönt; über den sollen „Kenner der Gefährdetenfürsorge" richten? Das lehne ich rundweg ab! Im Entmündigungsverfahren gibt es gegen den Beschluß die ordentliche Klage bis zum Bundesgerichtshof. In drei Instanzen wird das nachgeprüft, wenn einer von sich behauptet: „Ich bin ja nicht verrückt; das sagt ja höchstens mein lieber Verwandter, um mich nach Möglichkeit auszunutzen; ich leugne es entschieden". Hier ist eine einzige Tatsacheninstanz, eine einzige Beschwerdeinstanz beim Landgericht vorgesehen, das ohne mündliche Verhandlung in dem Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit vermutlich im wesentlichen über Rechtsfragen entscheiden wird. Das ist in keiner Weise der im Grundgesetz bestimmte Schutz der persönlichen Freiheit.
Meine Fraktion kommt daher zu der Auffassung, daß dieser Gesetzentwurf, so wie er vorliegt, wegen der fehlenden Abgrenzung zu anderen Rechtsgebieten und wegen der Bestimmungen in § 2, die alle die Voraussetzungen der Entmündigung enthalten — Geisteskrankheit, Geistesschwäche, Trunksucht und Verschwendung; das alles wäre nach den Bestimmungen des Entwurfs gedeckt; aber keine geniale Abseitigkeit soll vom Gesetz gemeint sein, nur: der Gesetzentwurf spricht das nicht klar aus —, nur als Material angesehen werden kann, wie der Herr Bundesinnenminister mit Recht gesagt hat. Ich stelle deshalb den Antrag, den Gesetzentwurf dem Bundesinnenministerium als Material zu überweisen. Wir werden ihn dann, wenn die Vorlage der Regierung kommen sollte, wieder heranziehen.
Ich stelle also hiermit den Antrag — ob das in erster Lesung geht, Herr Präsident, ist mir persönlich zweifelhaft, aber in der zweiten Lesung, die wir ja morgen oder in der nächsten Woche abhalten können, wird das möglich sein —, den Gesetzentwurf der Regierung als Material zu überweisen. Wie er vorliegt, scheint mir der Gesetzentwurf im Bundestag noch nicht erörterungsreif zu sein.