Rede von
Dr.
Adolf
Arndt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem Herrn Kollegen Sabel darf ich doch entgegenhalten, daß Sie, Herr Kollege Sabel, die Frage wohl nicht ganz richtig sehen, wenn Sie meinen, es handle sich hier darum, Ohrfeigen zu verteilen.
Das liegt keinem von uns irgendwie im Sinn. Es handelt sich aber auch nicht darum, hier als Bittsteller aufzutreten!
Wir sind keine Bittsteller; wir sind die freigewählten Vertreter des deutschen Volkes, die von hier sprechen, auch der Bundesregierung gegenüber,
so daß es unsere verdammte Pflicht und Schuldigkeit ist, für die Wahlkreise, in denen wir gewählt sind — Sie sind direkt gewählt in Fulda, ich bin direkt in Hersfeld, Freidhof ist direkt in Eschwege gewählt —, nun hier einzutreten und doch der Bundesregierung nahezulegen, mehr für diese Gebiete zu tun, die sich in so besonderer Not befinden.
Denn ich muß leider sagen, daß aus dem, was der Herr Bundeswirtschaftsminister hier vorgetragen hat, ermutigend doch bloß einmal das Anerkenntnis war, daß es notwendig sei, das Kupferschieferbergwerk Sontra als das einzige Kupferbergwerk im Westen Deutschlands — ich glaube, wohl sogar im Westen Europas, abgesehen von Jugoslawien — aufrechtzuerhalten, und daß zweitens der Bund beabsichtige, als Bundesrepublik Deutschland die Option gegenüber dem Mansfelder Kupferschieferbergbau geltend zu machen. Das sind schon zwei kleine Fortschritte.
Im übrigen aber komme ich nicht umhin, doch zu gestehen, daß meine Fraktion und mich die Antwort des Herrn Bundeswirtschaftsministers leidei wiederum durchaus nicht hat befriedigen können
Herr Bundeswirtschaftsminister, es ist jetzt über ein Jahr her — es war, glaube ich, im Juni oder Juli 1950 —, daß wir schon einmal interpelliert, daß wir schon einmal gefragt haben, was mit Sontra wird. Damals hatte Ihr Vertreter, Herr Staatssekretär Dr. Schalfejew, geantwortet, es schwebten Verhandlungen darüber, wie es mit Sontra werden würde. Heute, nach 13 oder 14 Monaten, sagen Sie uns, die Verhandlungen seien immer noch nicht abgeschlossen.
So kann man ein Problem, ein so brennendes Problem wie das Elendsgebiet Sontra, unmittelbar am Eisernen Vorhang, nicht behandeln! Ich muß deshalb doch dringend bitten, hier nun die erforderliche Beschleunigung walten zu lassen, die notwendig ist, damit eine soziale Beruhigung in dem Sontraer Gebiet eintritt.
Ich habe auch mit großem Bedauern gehört, daß Ihr Haus, Ihr Ministerium, glaubt, nicht empfehlen zu können, den Reichenberg-Schacht wieder aufzumachen. Die Gründe dafür sind mir nicht hinreichend bekannt. Ich glaube nicht, daß es fünf bis sechs Jahre dauert, bis die Kupfererz-Produktion im Reichenberg-Schacht wieder anlaufen kann. Es ist immerhin zu bedenken, daß auch in dem ersoffenen Schacht für ungefähr eine halbe Million D-Mark Maschinen liegen, die noch gerettet werden können, und ich glaube, es sollte doch noch einmal erneut und mit großem Ernst geprüft werden, ob dieser besonders ertragreiche Schacht nicht doch wieder aufgemacht werden kann.
Doch zu Ihren allgemeinen Ausführungen, Herr Kollege Sabel, die Sie hier gemacht haben, wo Sie so glätten wollen und sagen, das sei alles sehr schwierig und sehr traurig, das wüßten wir alle! Gewiß, das wissen wir alle. Aber ich will Ihnen ein präzises Beispiel dafür geben, daß wesentlich mehr geschehen kann, als bisher geschieht. Sehen Sie, am 15. September — jetzt vor ein paar Tagen — sollte die Kupferrohhütte in Betrieb genommen werden. Die Koksvorräte bis zum 1. Oktober — ich glaube, '700 Tonnen — sind gesichert. Für das vierte Quartal 1951, also für die Zeit vom 1. Oktober bis zum 31. Dezember, sind 4000 Tonnen Grobkoks notwendig. um die Kupferrohhütte in Betrieb zu nehmen. Vier Tage vor dem Anblasen des Ofens telegraphierte Ihr Ministerium, die 4000 Tonnen Koks wären nicht da,
und dann gibt jede Stelle in Ihrem Ministerium eine andere Auskunft darüber, und es ist eine völlige Verwirrung! Niemand weiß in Sontra, ob der Koks kommt oder ob er nicht kommt. Das hat zur Folge, daß, wenn jetzt diese 4000 Tonnen Koks nicht kommen und die Kupferrohhütte nicht in Betrieb genommen werden kann, allein im vierten Quartal 1951 800 000 DM Einnahmeausfall zu Lasten der öffentlichen Hand entstehen, daß 130 Mann zwangsläufig entlassen werden müssen, die bisher damit beschäftigt waren, den Ofen Nr. 2 zu erstellen und die jetzt in der Kupferrohhütte beschäftigt werden sollten, j a, daß voraussichtlich sogar, da auch der Schacht Schnepfenbusch dann nicht mehr voll betrieben werden kann, weitere 220 Mann vom Schacht Schnepfenbusch entlassen werden müssen. 350 Mann von 1200 Mann Belegschaft im ganzen sind von Entlassung bedroht, weil in Ihrem Ministerium Verwirrung herrscht und man nicht klarkommen kann, ob diese 4000 Tonnen Grobkoks für das vierte Quartal 1951 nun beschafft werden können oder nicht. Das trägt Unruhe hinein, und das ist das, was der Bevölkerung
das Gefühl oder die Unsicherheit gibt, von Bonn aus nicht genügend beachtet zu werden und daß nicht genug für die Arbeitsbeschaffung geschieht. Ich kann Sie deshalb öffentlich und von dieser Stelle aus nur dringend bitten, sofort dafür zu sorgen, daß der Koks nach Sontra kommt und daß die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse des Kupferbergwerks in befriedigender Weise geregelt werden.
Nun noch ganz zum Schluß ein paar Worte über Ihre Bemerkung, daß Eschwege, Rotenburg und Ziegenhain zu Sanierungsgebieten erklärt seien und daß dafür etwa 1,4 Millionen DM aus den 25 Millionen DM für die Sanierungsgebiete zur Verfügung stünden. Zuerst bin ich der Auffassung, daß Nordhessen mit den 1,4 Millionen DM bei dem Kuchen von 25 Millionen DM zu kurz kommt. Ursprünglich war die Zahl auch höher angesetzt. Zweitens haben Sie selbst sagen müssen, daß der Zeitpunkt für die Verteilung der 25 Millionen überhaupt noch nicht feststehe. Ja, so kann man den Menschen, die teilweise seit vier und fünf Jahren arbeitslos sind, nicht helfen! Aber hier zeigt sich auch wieder, wie falsch es war, daß die Mehrheit dieses Hauses neulich das Arbeitsbeschaffungsprogramm oder die Frage dieses Programmes ohne Diskussion in den Ausschuß überwiesen hat; denn dann kann man ja hier gar keine Stellung dazu nehmen.
— Ja, im Ausschuß können Sie manches sagen! Hier ist der Bundestag, wo gesprochen werden muß, und nicht im Ausschuß.
Aber schließlich geht es j a auch nicht an, davon zu reden, daß hier über Jahre hinaus „therapeutische" Maßnahmen erforderlich und nützlich sein würden. Herr Bundeswirtschaftsminister, „therapeutische " Maßnahmen dieser Art haben doch für mich etwas den Geschmack nach wirtschaftspolitischer Naturheilkunde;
denn so geht es nicht, daß man den Menschen, die dort seit Jahren arbeitslos sind, die teilweise pro Kopf und Tag 50 Pfennig zum Leben haben, sagt: ja, wenn einmal die „soziale Marktwirtschaft" in Jahren eine Änderung in Deutschland herbeigeführt hat, dann wird auch für euch eine Stunde schlagen, wo ihr wieder in Arbeit kommt.
Im übrigen: Mit Sanierungsgebiet ist es ja auch nicht getan. Wir haben j a Notstandsgebiete und anerkannte Notstandsgebiete in Deutschland. Aber zwei Beschlüsse der Bundesregierung sagen, daß diese notleidenden nordhessischen Kreise keine Notstandsgebiete sind, weil sie in ihrem Zusammenhang und in ihrer Bevölkerungszahl nicht groß genug sind, und infolgedessen ist auch Nordhessen nicht als notleidendes Gebiet im Sinne des § 24 der Verdingungsordnung anerkannt. Wenn es sich jetzt also um Aufträge handelt, z. B. um Polizeibekleidung oder ähnliches mehr, so wird immer den Betrieben dort im Landkreis Rotenburg, im Kreis Eschwege, im Landkreis Kassel usw. von den großen zentralen Beschaffungsstellen gesagt: ihr könnt nicht zum Zuge kommen; denn ihr seid zwar Sanierungs-, aber nicht Notstandsgebiet, und die Praxis ist, daß dann die Aufträge woandershin abschwimmen. So geht es nicht. Wir müssen dringend bitten, daß hier in einer anderen Weise Abhilfe geschaffen wird, als es bisher geschehen ist.
Ich beantrage, die Interpellation dem Ausschuß für Wirtschaftspolitik zu überweisen, damit dort insbesondere das Problem Sontra noch eingehender behandelt werden kann.