Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Interpellation der Sozialdemokratie berührt eine Angelegenheit, die auch die Deutsche Partei schon wiederholt mit Interpellationen und auf sonstige Weise in Fluß zu bringen versucht hat, nämlich die Frage, die Grenzlandgebiete, die heute in großer Not sind, in irgendeiner Weise wieder flottzumachen. Ich brauche das, was Herr Freidhof von der Sozialdemokratie über die Notlage des nordhessischen Raums gesagt hat, im einzelnen nicht zu wiederholen. Es liegt eine sehr gute Denkschrift der Handelskammer von Kassel, von Kurt Fürer verfaßt, vor, die alle diese Dinge in vorzüglicher Weise darstellt. Die Zonengrenze hat dort verwüstend gewirkt, sie hat die Zusammenhänge auf wirtschaftlichem und politischem Gebiet, die zwischen Nordhessen und Thüringen bestanden, zerrissen. Dasselbe gilt aber auch für Niedersachsen, dasselbe gilt für Schleswig-Holstein und für Nordbayern. Die Errichtung der Zonengrenzen hat vor allen Dingen dahin geführt, daß die Verkehrswege verkümmerten und daß eine Reihe von Verkehrswegen, Eisenbahn und Straßen, zum Teil stillgelegt, zum Teil verlegt wurden und zum Teil überhaupt nicht mehr benutzt werden können.
Die Wirtschaftsstruktur hat sich dort, im nordhessischen Raum wie auch in den übrigen Räumen, sehr stark verändert. Herr Freidhof hat schon hervorgehoben — das steht auch im Gutachten der
Handelskammer Kassel —, daß bereits 21 Rüstungs-
betriebe dort demontiert wurden; das sind 75 %
aller Betriebe, die dort überhaupt bestanden haben.
Dazu kommt noch als weiteres Sorgenkind der ungeheure Flüchtlingszustrom in die landwirtschaftlichen Gebiete, die wir hier meistens haben. Während wir im Durchschnitt in Deutschland auf 100 Einwohner 16 Heimatvertriebene zählen, ist diese Zahl in Nordhessen bereits auf 20, 22, 23 und 24 gestiegen. Die Arbeitslosigkeit im nordhessischen Raum ist erheblich größer als in anderen Gebieten Deutschlands; sie beträgt über 40 %. Die Zahl der Konkurs- und Vergleichsverfahren steigt stetig. Ein Drittel der 461 Konkurse in Hessen fällt auf Nordhessen. Fürsorgeempfänger sind in Nordhessen in großer Zahl vorhanden; ihre Zahl übersteigt zum Teil sogar die der Fürsorgeempfänger in Schleswig-Holstein.
Wir sehen daraus, daß der Notstand im nordhessischen Gebiet ungeheuerlich ist. Dasselbe gilt für die übrigen Notstandsgebiete. Es muß nun vor allen Dingen auf Abhilfe gesonnen werden. In dem von mir schon erwähnten Gutachten der Handelskammer Kassel wird gefordert: a) ein Flüchtlingsausgleich, b) Bekämpfung der strukturellen Arbeitslosigkeit, c) besondere Unterstützung durch Vergebung öffentlicher Aufträge nach Nordhessen und Verlegung bzw. Erhaltung von Behörden.
Was der Herr Wirtschaftsminister über diese Angelegenheit zu sagen hatte, ist im großen und ganzen wenig befriedigend. Das waren Aufzählungen von Dingen, die wir schon wiederholt gehört haben. Was wir von dem Herrn Wirtschaftsminister verlangen, das ist endlich eine neue Wirtschaftskonzeption,
bezogen auf die Notstandsgebiete!
— Jawohl! das sage ich ausdrücklich. Diese Notstände in den Grenzgebieten können nicht mit allgemeinen Schlagwörtern wie „soziale Marktwirtschaft" oder ähnliche beseitigt werden,
sondern wir müssen vor allen Dingen einmal eine neue Auffassung des Wirtschaftslebens auf die Beine stellen und mit neuen Ideen und Gedanken kommen, die nun auch dort in der Grenzlandzone eine Änderung herbeiführen. Ich möchte den Herrn Wirtschaftsminister bitten, seine kostbare Zeit und die Arbeit seiner Beamten einmal auf diesen Punkt zu lenken und uns mit neuen Gedanken zu kommen, wie denn nun überhaupt in den Ostgebieten eine Änderung herbeigeführt werden kann.
Ich bitte, das zu beachten. Erst dann, wenn das geschieht, besteht überhaupt die Möglichkeit, etwas für die Grenzlandgebiete zu tun.