Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach dem gut vorgelesenen Leitartikel des Herrn Kollegen Winkelheide, der unter das Motto gestellt war, daß Familiennot Volksnot ist und daß demgemäß das gesamte Volk sich solidarisch gegen die Not der Familien einsetzen müsse, könnte man den Eindruck gewinnen, daß es sich bei der Vorlage darum handelt, den Kinderreichen eine tatsächliche Verbesserung ihrer Lebenslage zu verschaffen. Wenn man aber die Worte des Herrn Kollegen Winkelheide ein bißchen unter die Lupe nimmt, kommt man — meiner Überzeugung nach zu Recht — zu einigen anderen Ergebnissen.
Herr Winkelheide sagt — und das haben auch einige andere Herren aus den Koalitionsparteien wiederholt —, daß der Leistungslohn erhalten werden müsse, daß aber in den Leistungslohn in den letzten Jahren eine Reihe von sozialen Bestandteilen eingebaut worden sind. Soziale Bestandteile eingebaut worden sind — so sage ich — durch den Kampf der Arbeiter in den Betrieben gegen die Unternehmer. Diese sozialen Bestandteile im Lohn — das war ganz eindeutig aus den Ausführungen des Herrn Winkelheide zu entnehmen — sollen nun beseitigt werden, und die Unternehmer sollen von ihnen befreit werden. Nun waren die von den Belegschaften über die Gewerkschaften und zum Teil mit ihrer Hilfe erkämpften sozialen Bestandteile ja nicht nur die 'Kinderzuschläge. Ich komme zu dem Schluß, daß der Sinn dieser Vorlage der ist, die Unternehmer freizumachen von der ihnen aufgezwungenen Verpflichtung, an die Arbeiter in den Betrieben soziale Zugeständnisse in Form von Zulagen, auch von Kinderzulagen, zu machen.
Man will — das ist meines Erachtens der Sinn dieser Vorlage — aber auch den Kampf der Arbeiter in den Betrieben gegen die jeweiligen Unternehmer um Gewährung von sozialen Zulagen ausschalten. Der Leistungslohn und nur der Leistungslohn soll nach dem Willen der CDU/CSU das sein, was dem Arbeiter im Betrieb vom Unternehmer zu zahlen ist.
— Hennecke? Ich weiß nicht, was dieser Zwischenruf in dem Zusammenhang soll. Sie machen doch hier Politik und nicht Hennecke!
Nun, klarer wird das, was ich gesagt habe, wenn man sich einmal den Antrag etwas näher ansieht. Da heißt es in § 7, daß die Höhe des Beitrags sich nach dem Bedarf an Mitteln zur Gewährung von Kinderzulagen richtet. Dann heißt es im § 8: „Die Höhe der Kinderzulage wird von der Bundesregierung festgesetzt". Wir sehen also, daß die Bundesregierung zwischen Belegschaft und Unternehmer eingeschaltet wird, um zu garantieren, daß um des Himmels willen keine allzu hohe Kinderzulage zustande kommt. Der Bundestag soll sich nach der Gesetzesvorlage überhaupt erst mit der Materie beschäftigen dürfen, wenn die Zulagen pro Kind geringer als 15 Mark und höher als 30 Mark sind. Wir sehen darin eine Sicherung der Unternehmer gegen die Forderungen der Belegschaften auf Gewährung von sozialen Zulagen.
Nun kommt meines Erachtens das Interessanteste an der ganzen Geschichte, der § 11 Abs. 2, in dem es heißt:
Die Beiträge zu den Familienausgleichskassen
sind Betriebsausgaben im Sinne des § 4 des
Einkommensteuergesetzes oder Werbungskosten
im Sinne des § 9 des Einkommensteuergesetzes. Hier haben wir also das Faktum, daß der Unternehmer diese seine Aufwendungen für die Familienausgleichskassen an den Steuern, die er zu zahlen hat, restlos abschreiben kann.
Nun noch die Höhe der Zulage, die Sie zu gewähren bereit sind: Zwischen 15 und 30 Mark! Das soll die Norm sein. Es ist hier schon richtig gesagt worden, daß mit diesen Zulagen die wirkliche Not in den Familien nicht beseitigt wird.
Ich fasse meine Ausführungen zusammen. Sie wollen mit der Vorlage erreichen, daß in den Betrieben der Kampf der Belegschaften gegen den Unternehmer um Ausweitung des Lohnes verhütet wird. Das wollen Sie! Sie wollen den Unternehmer von dieser Belastung freimachen. Sie wollen auch — das war in der Zeitschrift „Christlichsozialer Dienst" ganz eindeutig ausgesprochen — den Arbeiter durch die Schaffung der Familienaus-
gleichskasse mehr an den Betrieb binden. Er soll seine Freizügigkeit und die Möglichkeit, gegen den Unternehmer um höhere Löhne zu kämpfen, verlieren. Das ist der Wille, der diesem Gesetz zugrunde liegt.
Worum handelt es sich also? Es handelt sich auf der einen Seite darum, den Unternehmer in den Betrieben von der Verpflichtung, Soziallöhne zu zahlen, freizumachen. Auf der anderen Seite geht es darum, diese reaktionäre Bundesregierung als Kontrollorgan zwischen den Arbeitern und Unternehmern einzuschalten, „Frieden im Betrieb" zu halten. Uns geht es darum, eine ausreichende Kinderzulage zu erreichen. Diese kann man nicht erreichen, wenn man die Methoden, die in diesem Gesetz vorgeschlagen werden, anwendet. Mit diesem Gesetz soll nur der Kampf der Arbeiter im Betrieb, der direkte Kampf gegen den Unternehmer, ausgeschaltet werden.
Wir werden uns im zuständigen Ausschuß dafür einsetzen, daß eine möglichst hohe Kinderzulage herausgeholt wird. Wir werden aber auch dafür sorgen, daß der Zuschuß, den die Regierung unserer Überzeugung nach zu geben verpflichtet ist, entsprechend erhöht wird, um einen ausreichenden Kinderzuschlag zu ermöglichen. Wir sind der Auffassung, daß die Regierung dazu in der Lage ist, und zwar ohne Erhöhung der derzeitigen Steuerbelastungen der Massen. Wir sind der Meinung, daß man die Milliardensummen, die für die Vorbereitung des Krieges ausgegeben werden, für den Schutz der Familie und für den Ausbau der Sozialversicherung verwenden sollte. In diesem Sinne werden wir uns im Ausschuß für die Erreichung eines ausreichenden Kinderzuschlags aussprechen. Wir werden aber auch dafür sorgen, daß die wahren Gründe, die hinter diesem scheinbar so sozialen CDU-Antrag stecken, vor den Arbeitern klargestellt werden, damit der Arbeiter auf dieses Betrugsmanöver nicht hereinfällt.