Rede von
Louise
Schroeder
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich hätte gewünscht, daß es nicht notwendig gewesen wäre, noch einmal zum § 5 Stellung zu nehmen. Nach den Ausführungen des Herrn 'Ministers Storch bei der ersten Lesung des Gesetzentwurfs und auch nach der Stellungnahme von Abgeordneten aus den Reihen der Regierungsparteien hier im Plenum und im Ausschuß hatte ich gehofft, daß unsere Wünsche in bezug auf § 5 wenigstens in etwa Erhörung gefunden hätten. Nun gebe ich zu, daß bei der letzten Lesung im Ausschuß am vergangenen Montag kleine Verbesserungen erreicht worden sind. So ist in § 5, in dem bestimmt ist, daß im Einvernehmen mit der Bundesregierung vom Bundesrecht abgewichen werden kann, als Buchstabe c die Vorschrift aufgenommen worden:
die Gewährung von Renten an Frauen, die das 60. Lebensiahr vollendet haben und nicht mehr erwerbstätig sind.
Selbstverständlich begrüße ich diese Hinzufügung. Ich glaube, ich darf sie wohl als ein Verdienst der Berliner Gesetzgeber buchen.
Wenn aber ferner gesagt worden ist, daß im übrigen die Änderungen 'betreffend die Angleichung der Berliner Gesetzgebung an die Bundesgesetzgebung grundsätzlich vom 1. April 1952 an vorgenommen werden sollen, dann, meine Herren und Damen, muß ich allerdings sagen: das ist eine außerordentliche Schwierigkeit für die Berliner Sozialversicherung. Schon bei den Bestimmungen, die eventuell von der Angleichung ausgenommen werden können, d. h. den Bestimmungen über die Versicherungspflichtgrenze, die über das Bundesrecht hinausgehenden und bereits festgestellten Leistungen, die Gewährung von Renten an Frauen — was neu hinzugefügt worden ist —, die das 60. Lebensjahr vollendet haben und nicht mehr erwerbstätig sind; und schließlich die Höhe des Beitrags zur Krankenversicherung der Rentner, handelt es sich ja nicht etwa um Muß-Bestimmungen, sondern lediglich darum, daß dabei im Einvernehmen mit der Bundesregierung vom Bundesrecht abgewichen werden kann.
Nun will ich gern unterstellen, daß die Bundesregierung von dieser Kannvorschrift zunächst Gebrauch machen wird. Aber niemand gibt uns die Gewähr, daß nicht sehr bald eines Tages diese Bestimmungen wieder auf Grund des Rechtes, das der
Bundesregierung gegeben wird, abgeändert werden. Das ist der Grund, meine Herren und Damen, weshalb wir Ihnen im Umdruck Nr. 296 einen Antrag vorlegen, in dem wir Sie bitten, zuzustimmen, daß der § 5 Abs. 1 lautet:
Dieses Gesetz gilt für die Rentenversicherung im Lande Berlin, sobald das Land Berlin gemäß Art. 87 Abs. 2 seiner Verfassung die Anwendung des Gesetzes beschlossen hat.
Damit entfallen die Bedingungen, die in der Vorlage und im Ausschußbericht an die Einbeziehung Berlins in das Gesetz und damit in die Gemeinlast geknüpft werden. Mit unserem Vorschlag wiederholen wir den Antrag, den der Bundesrat gestellt hat. Sie sehen also, es ist nicht nur unser Gedanke, daß man Berlin in dieser Weise im Augenblick nicht festlegen darf, sondern der Bundesrat ist zu demselben Entschluß gekommen.
Meine Herren und Damen, ich wiederhole bei dieser Gelegenheit — und bedaure, das wiederholen zu müssen —, daß ich nicht verstehe, warum die Regierung den § 1 des Gesetzentwurfs so gefaßt hat, daß die Bestimmungen „vorbehaltlich der Neuregelung der gesetzlichen Rentenversicherungen" usw. getroffen werden. Die Regierung muß sich doch etwas dabei gedacht haben, und § 1 muß doch einen Sinn haben! Wenn man also vorbehaltlich einer Neuregelung zunächst nur eine Rentenerhöhung vornehmen will, dann wird es kein Mensch verstehen — wir verstehen es jedenfalls nicht in unserer Fraktion, und draußen wird es auch nicht verstanden werden, am allerwenigsten in Berlin —, warum man dann anläßlich dieser Rentenerhöhung nun schon zu einer Änderung der Berliner Gesetzgebung kommen will. Damit handelt es sich nicht nur um Berlin, sondern damit handelt es sich um einen Präzedenzfall für die Bundesgesetzgebung überhaupt. Warum können wir nicht bis zu dem Zeitpunkt der Vorlage des Gesetzes warten? Man hat in der Diskussion über dieses Gesetz sehr viel auch darüber gesprochen, daß wir nun ein wirklich gutes Gesetz machen wollen. Das können wir aber nicht — ich habe es am Freitag schon gesagt und muß es leider noch einmal wiederholen —, wenn wir gewissermaßen zwischen Tür und Angel nun zu solchen Änderungen kommen.
Im Ausschuß hat auf Veranlassung des Berliner Senats der Vorsitzende der Berliner Versicherungsanstalt, Herr Kreil, darauf hingewiesen, daß die Berliner Versicherungsanstalt sich heute bei der Umrechnung der in Berlin im April 1951 laufenden 348 062 Renten befindet, und zwar auf Grund des Gesetzes, das die Berliner Stadtverordnetenversammlung im Dezember vorigen Jahres erlassen hat, um sich der Bundesgesetzgebung soweit wie möglich anzupassen. Sie dürfen mir glauben, daß diese Anpassung uns allen schwergefallen ist. Wir wissen zwar, daß sie für einen Teil der Rentner eine kleine Verbesserung bedeutet. Wir wissen aber auch, daß sie ganz schwer d e n Teil der Rentner trifft — und das sind rund 15 bis 20 % —, für den sich diese Anpassung an die Gesetzgebung der Bundesrepublik als eine Verschlechterung auswirkt.
Und nun soll aufs neue eine Umrechnung der Renten stattfinden und damit die ganze Unruhe, die schon durch das Berliner Angleichungsgesetz hervorgerufen worden ist, noch vermehrt werden. Sie werden mir vielleicht entgegenhalten: Ja, aber es ist doch der Bundesregierung das Recht gegeben worden, die über das Bundesrecht hinausgehenden und bereits festgestellten Leistungen zunächst bestehen zu lassen! Nun, zunächst wissen. wir nicht, auf wie lange Zeit.
Aber zum zweiten möchte ich darauf hinweisen, daß es einfach eine Unmöglichkeit ist, in einer Stadt zwei verschiedene Rentenberechnungen zu haben. Wir haben sie ja schon; wir haben sie bereits durch die Sektorengrenzen. Wir haben die Rentenberechnung der VAB Ost und die Rentenberechnung der VAB West. Ich mache Sie darauf aufmerksam — man kann ja diese Dinge nur wissen, wenn man in Berlin lebt —, daß die Sektorengrenzen oft mitten durch eine Straße hindurch gehen. Das bedeutet also heute schon, daß die Berechnung der Renten in einer und derselben Straße verschieden ist, je nachdem ob ein Rentenempfänger zum Osten oder ob er zum Westen gehört. Und nun stellen Sie sich vor, diese Komplikation soll nun im gleich en Sektor dadurch hervorgerufen werden, daß wir nun die verschiedenartigen Rentenberechnungen haben sollen: die ursprüngliche Rentenberechnung, dann die auf Grund des Gesetzes vom Dezember 1950 und jetzt die auf Grund dieses uns vorliegenden Gesetzes. Ich glaube, jeder, der es sich einmal überlegt, wird davon überzeugt sein, daß es einfach nicht möglich ist, das dem einzelnen Rentner klarzumachen.
Ich möchte noch einen anderen Punkt von den vielen nennen, die in Frage kommen. Mit Recht hat einer der Herren Berliner Kollegen von der CDU im Ausschuß gemeint, wir könnten noch so viel Punkte aufführen, wir würden wahrscheinlich doch welche vergessen. Besonders hervorheben möchte ich jetzt aber den Buchstaben d, der von der Höhe des Beitrags zur Krankenversicherung der Rentner handelt. Es ist hier gewissermaßen Berlin das Recht gegeben worden, die Beträge in ihrer bisherigen Höhe auch in Zukunft für die Krankenversicherung der Rentner auszugeben. Wir sollen aber nur 4 DM pro Krankenfall ersetzt bekommen. Das bedeutet — ich erinnere an die ganz besonders schlechte Gesundheitslage infolge der letzten Kriegszeit, der Schwierigkeiten der ersten Nachkriegszeit, der Blockade; ich brauche Ihnen nur die Stichworte zu geben, dann werden Sie es mir glauben daß wir entweder die Rentner und ihre Familien in ihrer Krankenversicherung sehr viel schlechter stellen müssen, als es jetzt der Fall ist, oder daß die Versicherungsanstalt oder der Senat pro Krankheitsfall 7 DM zuzahlen muß. Sie werden mir glauben, daß wir dazu beim besten Willen nicht in der Lage sind.
Aber dazu kommt eine ganze Anzahl weiterer Änderungen, die notwendig sind. Wir haben in Berlin die einheitliche Rentenversicherung. Wenn wir jetzt auf Grund dieses Gesetzes eine Angleichung vornehmen müssen, dann müssen wir nicht nur die Berechnungen sondern wir müssen auch die Leistungen der Invaliden- und Angestelltenrentner ändern. Wir haben einen Unterschied in der Frage des Grundbetrages und des Steigerungsbetrages; wir haben einen Unterschied im Begriff der Erwerbsunfähigkeit. Hier in Westdeutschland haben Sie zwar den Begriff der Berufsunfähigkeit für die Angestellten, aber nicht für die Arbeiter; für diese haben Sie den Begriff der Erwerbsunfähigkeit. Wir haben einen Unterschied in der Frage der Arbeitslosigkeit. In der amerikanischen und französischen Zone Deutschlands bekommen die Angestellten ihre Rente, wenn sie das sechzigste Lebensjahr erreicht haben und ein Jahr arbeitslos waren, das gleiche trifft aber nicht für die Arbeiter zu. Ich muß immer wieder darauf hinweisen, daß die Lage in Berlin eben eine völlig andere ist.
Denken Sie an die 300 000 Arbeitslosen in Berlin und an die ganze Not, die diese Arbeitslosigkeit hervorruft. Wenn ich an die Ausführungen zurückdenke, die vorhin Herr Dr. Bucerius gemacht hat, dann fällt es mir schwer, Ihnen das immer wieder zu sagen. Aber, meine Herren, nehmen Sie es mir nicht übel: ich hätte gewünscht, Sie wären gestern bei der Einweihung des Luftbrückendenkmals gewesen und hätten die Ausführungen des amerikanischen und britischen Generals über die Leistungen gehört, die Berliner Frauen und Männer vollbracht haben, ohne die die Luftbrücke überhaupt nicht möglich gewesen wäre und damit die Berliner Bevölkerung nicht hätte vor dem Hunger gerettet werden können.
Wenn mein Kollege Meyer vorhin auf die 114 200
Mindestrenten in Berlin hingewiesen hit, so darf
ich hinzufügen: es ist richtig, daß nicht alle diese
Mindestrenten nun keinerlei Erhöhung erhalten;
aber immerhin erhalten doch 49 000 keine und alle
anderen nur eine ganz geringe. Sehen Sie, meine
Herren und Damen, das bringt natürlich in einer
gespaltenen Stadt, von der ich noch einmal sage,
daß sie zwei Versicherungsanstalten hat, die östliche und die westliche, eine ungeheure Erregung.
Ich möchte auch darauf hinweisen, daß die Schwierigkeiten, die für uns bei der Umrechnung auftreten, gerade auf dieser Spaltung beruhen. Ich sage noch einmal: der Vorsitzende der Versicherungsanstalt, Herr Kreil, hat erklärt, daß wir auf Grund der Berliner Gesetzgebung noch bis zum Ende des Jahres mit der Umrechnung zu tun haben. Das mag manchem von Ihnen verwunderlich erscheinen, aber Sie werden es verstehen, wenn ich Ihnen sage, daß die Akten 'zum großen Teil im Osten liegengeblieben sind und daß deshalb das ganze Material für die alten Renten mühsam zusammengeholt werden muß.
Ich will auch gar nicht über die politische Frage reden. Ich denke z. B. daran, daß die Kommunistische Partei oder, wie sie bei uns so schön heißt, die SED, diese Schwiergkeiten natürlich zu neuer Agitation benutzt. Ich will Ihnen auch das schöne Flugblatt nicht vorlesen, aber ich will Sie auf etwas hinweisen, meine Herren und Damen: Dieselbe FDP und dieselbe CDU, die im Dezember des vorigen Jahres das Gesetz abgelehnt haben, weil ihnen die Angleichung nicht weit genug ging, haben jetzt im Ausschuß erklärt: Wir müssen zurück zur Tabellenrente.
In der vergangenen Woche ist das Wort gefallen, die Tabellenrente sei für die Parteibuchbeamten gemacht worden. Ich will auf das Niveau jener Debatte nicht zurückkommen, sondern Ihnen nur sagen: Sie sehen daran, daß es jetzt die bürgerlichen Parteien sind, die auf Grund der Briefe und der Zuschriften, die sie bekommen, sagen: Wir müssen einen Weg finden, so können wir einfach nicht weitermachen.
Deshalb bitte ich Sie nun im Auftrage meiner Fraktion noch einmal, aber auch ganz persönlich, meine Herren und Damen: Lassen Sie jetzt von dieser Änderung ab, machen Sie Berlin, das schon die großen Schwierigkeiten hat, nicht noch diese neue Schwierigkeit, lassen Sie uns gemeinsam an
einer wirklichen Neuregelung der gesetzlichen Rentenversicherungen arbeiten, NVie es im Gesetzentwurf heißt; lassen Sie uns dazu Zeit! Sie haben in einer Frage schon anerkannt, daß Berlin etwas Gutes gemacht hat, denn sonst hätten Sie es wohl nicht angenommen: das Rentenrecht für die sechzigjährigen arbeitslosen Frauen. Nun gibt es vielleicht auch noch das eine oder andere, das aus der Berliner Gesetzgebung übernommen werden könnte. Lassen Sie es uns in Ruhe machen, und zwar für den Bund einschließlich Berlins.