Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist mir nicht möglich, im Rahmen dieser Debatte auf alle Einzelfragen einzugehen, die in dem Abschnitt über den Landesverrat behandelt sind. Ich erlaube mir darum, mich auf die entscheidenden Fragen zu beschränken. Unter allen wichtigen Fragen scheint mir die wirklich ausschlaggebende in dem ganzen Absatz diejenige zu sein, um die es der Regierung offensichtlich in erster Linie ging, als sie' sich daran machte, die alten Bestimmungen über den Landesverrat zu überholen und zu ergänzen. Ich meine die Bestimmung, die in § 100 d enthalten ist und durch welche ein Teil Deutschlands, die Deutsche Demokratische Republik, zum Ausland erklärt und durch welche alle Beziehungen, die zu diesem Teil Deutschlands aufgenommen oder unterhalten werden, unter die Strafdrohung des Landesverrats gestellt werden. Alles andere wären fast nebensächliche Dinge, wenn in § 100 d Abs. 2 nicht bestimmte Beziehungen zu einem Gebiet, wie es heißt, „außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes" angesprochen wären, Beziehungen, die man darum
bestrafen möchte, und zwar nicht nur mit Gefängnis, sondern in schweren Fällen mit Zuchthaus, weil sie in der politischen Absicht aufgenommen sind, den gegenwärtigen Zustand der Spaltung Deutschlands zu beenden und im Einvernehmen mit unseren Brüdern und Schwestern im Osten Deutschlands ein geeintes demokratisches und 'unabhängiges deutsches Staatswesen zu schaffen.
Ich will nicht über den ersten Absatz des § 100 d sprechen, der nur zur Tarnung des Hauptzwecks des ganzen Paragraphen vorausgestellt ist. Selbstverständlich würden wir keine Einwände erheben, wenn beabsichtigt wäre, Beziehungen unter Strafe zu stellen, die in der Absicht aufgenommen sind, einen Krieg gegen das Bundesgebiet heraufzubeschwören. Aber, wie gesagt, das ist nur aus Schönheitsgründen vorangestellt. Dann kommt jedoch die Feststellung: Wenn der Täter in der Absicht handelt, sonstige Maßnahmen oder Bestrebungen einer Regierung, einer Partei, einer anderen Vereinigung oder einer Einrichtung außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes herbeizuführen oder zu fördern, dann ist die Strafe Gefängnis, nämlich wenn er zu einer Regierung, zu einer Partei, zu einer Vereinigung oder Einrichtung außerhalb des Bundesgebiets „Beziehungen aufnimmt oder unterhält". Meine Damen und Herren, warum spricht die Bundesregierung, warum spricht auch die SPD-Fraktion nicht offen aus, welche Ungeheuerlichkeit hier vorgesehen ist?
— Die SPD-Fraktion hat gegen diese Bestimmungen keinen Einspruch erhoben. Sie hat ausdrücklich erklärt, daß sie mit Ausnahme der Punkte, die von Herrn Arndt zitiert worden sind, keine Einwände gegen den ganzen Abschnitt Landesverrat zu erheben hat. Wenn das also zutrifft, dann ist man damit einverstanden, daß in dieser Vorlage erstmals in einem deutschen Gesetz ein Teil Deutschlands zum Ausland erklärt wird und Beziehungen zu diesem Teil Deutschlands unter die Bestimmungen des Landesverrats gestellt und mit Gefängnis- und Zuchthausstrafe bedroht werden.
Sie haben auch die Formulierung gutgeheißen, daß entgegen der früheren Übung nicht mehr von einer auswärtigen Macht, sondern einfach von „Unbefugten" gesprochen wird. Wenn es Ihnen darum ginge, nur landesverräterische Beziehungen zu einer ausländischen Macht unter Strafe zu stellen, warum beantragen Sie dann nicht wie wir, den Ausdruck „Unbefugten" durch den klaren und für jeden verständlichen Ausdruck „eine ausländische Macht" zu ersetzen? Weil Sie diese These, daß die Deutsche Demokratische Republik Ausland sein soll, eben unterstützen und mit der Zustimmung zu diesen Bestimmungen noch besonders unterstreichen. Ich frage: Was verstehen denn die Herren, die diese Formulierungen geschaffen haben, unter einem „Unbefugten"? Wie soll denn ein Richter klar beurteilen können, wer ein „Unbefugter" und wer ein „Befugter" ist? Noch immer gab es in allen Bestimmungen aller Länder über den Landesverrat die Voraussetzung, daß das Delikt die Preisgabe von Staatsgeheimnissen an eine ausländische Macht beinhaltet. Die Formulierung „an einen Unbefugten" ist nicht bloß eine Gummibestimmung, die den Richtern freie Hand gibt zu jeglicher willkürlichen Entscheidung, sondern diese Bestimmung will absichtlich Unklarheit und Dunkelheit über den Sinn dieses Paragraphen verhängen, damit man mit dem Odium des Landesverrats einen ieden Deutschen behaften kann, der auf dem Standpunkt steht, daß der gegenwärtige Status Deutschlands, der Status der Gespaltenheit, abgelöst werden muß und daß, um dieses Ziel zu erreichen, nicht nur die Beziehungen zu, sondern die Zusammenarbeit mit allen Deutschen
nicht nur das Recht, sondern die Pflicht eines jeden ist, der seine Heimat liebt.
Meine Damen und Herren! Es war in den Ausschußberatungen auch davon die Rede, welche Art von Staatsgeheimnissen unter den besonderen Schutz der Landesverratsbestimmungen gestellt werden kann. Aus der bisherigen Debatte ging nicht ganz klar hervor, welche Meinungsverschiedenheit dieser Debatte zugrunde lag.
Es wurde nämlich die Frage gestellt: Sollen mit Gefängnis- und Zuchthausdrohung auch solche sogenannte Staatsgeheimnisse geschützt werden, die einen illegalen Tatbestand ausmachen oder, um es
deutlicher zu machen, auch solche Staatsgeheimnisse, die bestimmte Vorgänge wie eine widergesetzliche Aufrüstung, wie die widergesetzliche Aufstellung militärischer Verbände darstellen? Es wurde der Name Carl von Ossietzky genannt. Ich glaube, daß es manche Damen und Herren in diesem Hause gibt, die nicht ganz verstanden haben, was mit der Nennung dieses Namens eigentlich gemeint war.
Carl von Ossietzky wurde bekanntlich zu Festungshaft verurteilt, weil er wahre Tatbestände über die illegale Aufrüstung in der Weimarer Republik, wahre Tatbestände über die Schwarze Reichswehr veröffentlichte. Er wurde darum verurteilt, weil sich das damalige Reichsgericht auf den Standpunkt stellte, er habe „Staatsgeheimnisse" preisgegeben und das sei Landesverrat.
Sie wollen also eine lex Ossietzky schaffen, Sie wollen das, was damals offensichtlicher Rechtsbruch des Reichsgerichts war, formell legalisieren, indem Sie die Veröffentlichung illegaler Geheimnisse unter Strafe stellen und sie mit dem Odium des Landesverrats beschmutzen.
Schließlich gab es im Ausschuß eine interessante Debatte über die Frage, ob eine „Staatengemeinschaft" oder eine „zwischenstaatliche Einrichtung", auf die die Bundesrepublik irgendwann einmal gewisse Hoheitsrechte übertragen möchte, den gleichen Schutz der Landesverratsbestimmungen genießen sollte wie die Bundesrepublik selbst. Der einfache Mensch versteht nicht gleich, was damit gemeint ist. Gemeint ist — und das wurde offen ausgesprochen —, daß Einrichtungen wie etwa der Europarat oder der Atlantikpakt oder die kommende Hohe Behörde des Schumanplans solche „überstaatlichen oder zwischenstaatlichen Einrichtungen" sind, die kraft dieses Gesetzes den besonderen Schutz der Landesverratsparagraphen genießen sollen. Es gab einige ängstliche Leute im Ausschuß, die etwas erschreckt waren, als sie das so deutlich hörten, und die darum für die Zurückziehung dieser bereits formulierten Bestimmung eintraten. Als ihnen aber dann der Staatssekretär des Justizministeriums klarmachte, hier lägen „staatspolitische Überlegungen" vor und dem Bundeskanzler sei viel daran gelegen, daß diese Schutzbestimmungen für die Hohe Behörde des Schumanplans nicht definitiv ad acta gelegt, son-
dern nur vorläufig zurückgestellt würden, weil sie gegenwärtig etwas „verfrüht" seien, da fiel die ganze Front der Ängstlichen zusammen, und sie waren damit einverstanden, daß das zurückgestellt werden sollte, mit dem ausdrücklichen Wunsch, die Bestimmungen im kommenden Herbst in anderer gesetzlicher Fassung wiederzusehen.
Ist es nicht wirklich eine Ironie, wenn wir bei dieser Debatte die Vertreter der SPD besonders warm dafür eintreten sahen, daß diese Bestimmungen des Schutzes internationaler Behörden wie der Hohen Behörde des Schumanplans
heute schon in das Strafgesetz aufgenommen werden?
— Herr Kollege Dr. Arndt, Sie haben g e g en die Zurückstellung dieses Absatzes gestimmt.
— Sie haben gegen die Zurückstellung des Absatzes gestimmt, in dem verlangt wird, daß dem Wohle der Bundesrepublik Deutschland das Wohl einer „Staatengemeinschaft" oder einer „zwischenstaatlichen Einrichtung" gleichgestellt würde. Sie wußten genau, daß mit diesen Bezeichnungen Institutionen wie der Atlantikpakt, der Europarat und die Hohe Behörde des Schumanplans gemeint waren. Es ist interessant, daß im gleichen Augenblick, wo die führenden Vertreter der Sozialdemokratischen Partei große Worte gegen den Schuman-plan verlieren, ihre rechtskundigen Sprecher sich dafür ereifern, daß diese Behörde, noch ehe sie geschaffen ist, den Sonderschutz von Landesverratsparagraphen genießen soll. Es wäre sehr gut, wenn diese doppelte Buchführung einmal draußen den Arbeitern in der Metallindustrie und im Bergbau mitgeteilt würde, damit sie genau wissen, was sie von der „Gegnerschaft" der sozialdemokratischen Führung gegen den Schumanplan zu halten haben.
Wir werden aus den Gründen, die ich dargelegt habe, für die Streichung einer ganzen Reihe von Paragraphen eintreten. Das betrifft in erster Linie die Formulierungen über den „Unbefugten" in § 99 und folgende, das betrifft vor allem die Formulierungen des § 100 d Abs. 2 und folgende, in denen die Deutsche Demokratische Republik zum Ausland erklärt und die Beziehungen zu ihr, ihren Repräsentanten und ihren Menschen als Landesverrat bezeichnet werden. Schließlich beantragen wir die Streichung der sogenannten Nebenbestimmungen in § 101, die in diesem Abschnitt ebenso wie den vorausgegangenen Abschnitten über Staatsgefährdung und Hochverrat jenen Menschen, die wegen solcher Delikte zu einer Gefängnisstrafe verurteilt sind, das Recht, zu wählen und gewählt zu werden, aberkennen möchten. Wir wenden uns gegen die ungeheuerlich diffamierende Bestimmung, daß Menschen, die wegen eines politischen Gesinnungsdeliktes zu einer Mindeststrafe von drei Monaten Gefängnis verurteilt werden, auch der Mandate verlustig erklärt werden sollen, die ihnen auf Grund öffentlicher Wahlen gegeben worden sind. Diese Ungeheuerlichkeit in einem deutschen Strafgesetz ist nicht nur neuartig, sie ist einmalig! Ich wünschte, auch die Herren der sozialdemokratischen Fraktion würden draußen im Lande, ihren Wählern gegenüber, offen bekennen, daß sie hier im Bundestag der Schaffung eines ungeheuerlichen Paragraphen zugestimmt haben, einer Bestimmung, die die Rechte ungültig machen soll, die kraft eines demokratischen Wahlaktes an Beauftragte des Volkes ergangen sind.