Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Arndt hat mit Recht darauf hingewiesen daß die im Grundgesetz normierten Grundrechte mit Ausnahme des Grundrechts auf Leben nicht absoluter Natur sind.
Dies war der Anlaß dafür, daß der Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht davon abgesehen hat, der ursprünglichen Fassung des Regierungsentwurfs zu folgen und in dem Katalog der geschützten Verfassungsgrundsätze auch die Grundrechte mit aufzuführen. Es kann sehr wohl der Fall eintreten, daß für die Erhaltung und die Sicherheit des Staates die Grundrechte nicht wichtiger sind als die Einschränkungen der Grundrechte, die teils durch das Grundgesetz selbst, teils durch die Delegationsbefugnis des Grundgesetzes in Kraft treten müssen.
Wenn wir davon ausgehen, daß die Einschränkungen der Grundrechte durch das Grundgesetz selbst normiert und gewollt sind, müssen wir diese Einschränkungen auch schützen, wenn sie auf Grund des Grundgesetzes ihre Wirksamkeit entfalten. Wir können daher den Antrag der kommunistischen Fraktion nicht für gerechtfertigt ansehen.
Was ich sagte, bietet zugleich aber auch die Erklärung dafür, daß es nach unserer Auffassung notwendig ist, in dem § 88 Abs. 3 die Ziffer 1 einzufügen und die Grundrechte insoweit zu schützen, als ihre Beeinträchtigung durch gewisse verfassungswidrige Methoden erfolgen könnte. Wir können daher die Bedenken, die der Herr Abgeordnete Arndt zu dieser Klausel geäußert hat, nicht als durchgreifend ansehen.
Es war ein langwieriges Bemühen des Rechtsausschusses, die Schwierigkeiten, die in der Sache selbst lagen, zu meistern und eine Formulierung für die Schutzobjekte zu finden, gegen die sich die Staatsgefährdung richten könnte. Es war ja ursprünglich vorgesehen, daß die freiheitliche demokratische Grundordnung allein geschützt werden sollte. Aus den Gründen, die vom Herrn Kollegen Arndt durchaus treffend dargelegt worden sind, ist dann der Versuch gemacht worden, die wesentlichen Prinzipien dieser freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu entwickeln. Sie haben ihren Niederschlag gefunden in dem Katalog unter Ziffern 1 bis 5 des § 88. Man hat aus den Gründen, die ich eben dargelegt habe, davon absehen müssen, in diesem Katalog die Grundrechte mit aufzuführen. Man hat sich darauf beschränkt, den Schutz der Grundrechte für den Fall besonders zu statuieren, daß die Grundrechte durch Gewalt, durch Erregung von Schrecken oder durch Einschüchterung mit ungesetzlichen Maßnahmen Beeinträchtigung erleiden sollten. Im Laufe der Debatte war ursprünglich vorgesehen, die freiheitliche demokratische Ordnung insgesamt zu schützen, . zugleich neben den einzelnen Verfassungsgrundsätzen, die der Rechtsausschuß in langen Beratungen ausgearbeitet hat. Im weiteren Verlauf der Verhandlungen kam man zu dem Ergebnis, es sei wünschenswert, auf die Aufführung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung überhaupt zu verzichten.
Man hatte vorher die Frage aufgeworfen: Worin besteht denn eigentlich das Wesen dieser freiheitlichen demokratischen Grundordnung? Man hat ihr Wesen in zwei Tatbeständen erblickt: einmal darin, daß sie jede Gewalt- und Willkürherrschaft ausschließt, und zweitens darin, daß sie eine verfassungsmäßige Opposition zuläßt. Man hat beide Prinzipien in den § 88 aufgenommen.
Man hat das Recht auf die verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition in Ziffer 3 des § 88 statuiert. Man hat dann das andere Prinzip, das eben entwickelt wurde, den Ausschluß jeder Gewalt- und Willkürherrschaft, in Abs. 3 des § 88 als einen Grundsatz mit aufgenommen, der zwar kein Verfassungsgrundsatz ist, der aber den Verfassungsgrundsätzen gleichgestellt wird. Nach unserer Auffassung besteht eine praktische Notwendigkeit, diese Fassung aufrechtzuerhalten. Das Wesen der freiheitlichen demokratischen Ordnung kann nämlich nicht in erschöpfender Weise durch die Summe dieser fünf Verfassungsgrundsätze des § 88 wiedergegeben werden. Es wird in manchen, sogar in vielen Fällen nicht möglich sein, einem Täter nachzuweisen, daß er die Absicht besessen hat, gerade einen dieser bestimmten fünf Grundsätze zu verletzen,
und für diesen Fall muß die Absicht genügen, daß der Täter mit seinen Maßnahmen
eine Gewalt- und Willkürherrschaft begründen' wollte.
Auch die verfassungsmäßige Opposition wünscht den Ausschluß jeder Gewalt- und Willkürherrschaft. Auch die verfassungsmäßige Opposition ist mit den Anhängern der Regierung darin einig,
daß der Staat sich eben auf die Zulassung der verfassungsmäßigen Opposition gründet. Nichts liegt uns ferner, als durch die Einführung dieser Bestimmung das Recht der verfassungsmäßigen Opposition auf ihre verfassungsmäßige Betätigung irgendwie beeinträchtigen oder beschränken zu wollen. Und gerade dieses Recht ist ja in der Ziffer 3 der Verfassungsgrundsätze selbst niedergelegt worden. Ich glaube daher, daß die Bedenken, die gegen die Aufnahme dieser Bestimmung geäußert worden sind, gerade vom Standpunkt einer verfassungsmäßigen Opposition aus nicht begründet sein dürften.
Vom Herrn Kollegen Arndt wurde darauf hingewiesen, der Grundsatz des Ausschlusses jeder Gewalt- und Willkürherrschaft sei kein Rechtsgrundsatz, sondern ein politischer Grundsatz. Aber gilt dies nicht auch für eine Reihe der Verfassungsgrundsätze selbst? Gilt es nicht auch beispielsweise für die Grundrechte, gilt es nicht auch für die Menschenrechte? Sind nicht auch diese Prinzipien zunächst einmal als politische Forderungen entstanden, und ist es nicht später erst im Zuge der Rechtsentwicklung gelungen, diese Prinzipien mit einem rechtlichen Inhalt, und zwar mit einem präzisen rechtlichen Inhalt zu füllen und ihre rechtliche Tragweite zu umschreiben? Wir zweifeln nicht daran, daß der Grundsatz des Ausschlusses jeder Gewalt- und Willkürherrschaft, auch wenn er zunächst als ein politischer Grundsatz ins Leben getreten sein sollte, sich sehr wohl rechtlich umschreiben läßt; er ist bereits rechtlich umschrieben worden durch verschiedene Urteile von Gerichten, auf die der Herr Bundesjustizminister schon Bezug genommen hat.
wir befürchten, wenn wir diesen letzten verfassungsähnlichen Grundsatz aus dem § 88 strichen, der Erhaltung unseres demokratischen Staates, der ja als ein Wesensmerkmal die Bildung der verfassungsmäßigen Opposition zuläßt und wünscht, einen schlechten Dienst zu erweisen. Gerade aus diesem Grunde — nicht um irgendwie die Möglichkeiten der verfassungsmäßigen Opposition zu verkleinern oder zu beschränken — bitten wir, die Bestimmung in der Form zu belassen, wie sie von der Mehrheit des Rechtsausschusses dem Hohen Hause vorgeschlagen worden ist.