Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe über den Abschnitt „Staatsgefährdung", der zwischen den Abschnitten „Hochverrat" und „Landesverrat" steht, zu berichten. Hier war etwas Neues zu schaffen, weil die Erfahrungen der jüngsten deutschen Geschichte und die Staatsumwälzungen in den Satellitenstaaten gezeigt haben, daß das Begehungsmittel zu dem Verbrechen, die demokratische Grundordnung zu beseitigen, heute nicht mehr unbedingt die Gewalt und die Drohung mit der Gewalt sein muß. Wie in den äußeren Beziehungen der Staaten hat sich neben dem Heißen Krieg der Kalte Krieg auch im Innern entwickelt.
Die Kernfrage, die sich ein demokratisches Staatswesen dabei vorzulegen hat, wenn es den kalten Krieg mit strafrechtlichen Mitteln bekämpfen will, die Frage nämlich, ob man zur Verteidigung der demokratischen Freiheiten diese demokratischen Freiheiten einschränken und teilweise außer Kraft setzen darf, ist bereits vom Gesetzgeber des Grundgesetzes bejaht worden. Die Mitglieder des Parlamentarischen Rats waren sich darüber klar, daß das demokratische Staatswesen es sich nicht leisten kann, seine freiheitlichen Grundsätze so weit zu treiben, daß diese Freiheiten straflos dazu benutzt werden dürfen, den Umsturz vorzubereiten. An vielen Stellen des Grundgesetzes kommt diese Grundauffassung klar zum Durchbruch, und an diese Grundauffassung fühlte sich der Rechtsausschuß von Anfang an gebunden. Er hat sie auch von Anfang an geteilt.
Aber es tauchte sofort die Frage auf, wie die Aufgabe rechtstechnisch zu bewältigen sei, die radikalen Umsturzpläne und ihre neuzeitlichen Methoden tatbestandsmäßig zu umschreiben, um an diese Tatbestände die Strafdrohung zu knüpfen. Lassen Sie mich dazu zunächst einige allgemeine Bemerkungen machen.
Im amerikanischen neuen Strafrecht, in dem Internal Security act, ist eine Beschreibung des Weltplans der Kommunisten, in allen Ländern die Revolution herbeizuführen, an die Spitze des Gesetzes gestellt und dann einfach die kommunistische Betätigung, besonders in kommunistischen Organisationen, unter Strafe gestellt worden.
Dieser Weg schien dem Rechtsausschuß nicht nachahmenswert. Wir haben kein Ausnahmegericht, sondern ein allgemeines Gericht,
und wir können auch kein Ausnahmerecht für eine bestimmte Partei schaffen. Wir würden unsere kontinentale Rechtstradition verleugnen, wenn wir nicht den Versuch gemacht hätten, in abstrakter Weise, so wie es das Strafrecht bei uns seit je tut, die Tatbestandsmerkmale zu entwickeln, die dann für jeden gelten, gleichviel welcher Parteirichtung er angehört.
Es ist ein allgemeiner Erfahrungssatz, daß die Art der Verteidigung durch die Art des Angriffs bestimmt wird. Die Methoden des kalten Krieges sind gerade deshalb so gefährlich, weil sie die Gewaltanwendung zunächst ausschließen und weil ein System von Einzelakten entwickelt wird, von denen jeder einzelne an sich mehr oder weniger harmlos erscheint, die aber durch das Zusammenspiel aller, die von den verschiedensten Ansatzpunkten aus das gemeinsame Ziel fördern, eine Situation schaffen können, die schließlich die Staatsumwälzung unausweichlich macht und sie wie eine reife Frucht gewinnen läßt. Wir erinnern uns alle an die „Legalität" der von Hitler herbeigeführten Revolution.
Wie soll das Recht dem entgegenwirken? Der Ausweg, der gefunden worden ist, läuft im wesentlichen darauf hinaus, daß der einzelne, der einen Beitrag zu dieser revolutionären Entwicklung liefert, dann wegen eines Deliktes der Staatsgefährdung bestraft wird, wenn er diesen Beitrag in der Absicht liefert, die Staatsumwälzung herbeizuführen. Sie sehen, der ,subjektive Tatbestand spielt bei diesen Straftatbeständen eine hervorragende Rolle; aber ohne die Einschaltung dieser subjektiven Elemente wäre die dem Gesetzgeber gestellte Aufgabe überhaupt unlösbar gewesen.
Dabei war sich der Ausschuß völlig darüber einig, daß diese verbrecherische Absicht wirklich das tragende Motiv für die Handlungsweise des Täters sein müsse und daß hier das Bewußtsein, daß sein aus andern Motiven geführter politischer Kampf unter Umständen eine Staatsgefährdung zur Folge haben könne oder müsse, keinesfalls zur Bestrafung ausreiche.
Damit komme ich zu einem weiteren wichtigen Punkt. Diese Bedeutung der staatsfeindlichen Absicht ist auch das rechtstechnische Mittel, um die Staatsfeinde von der verfassungsmäßigen Opposition abzugrenzen. Daß sich das Gesetz nicht gegen die letztere richtet, braucht als selbstverständlich eigentlich nicht gesagt zu werden.
Dem Ausschuß hat es immer ferngelegen, den politischen Kampf der Oppositionsparteien — der verfassungsmäßigen Opposition — gegen die Regierung zu pönalisieren. Wie wir gleich sehen werden, hat der Ausschuß das Recht auf verfassungsmäßige
Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition zu den wichtigsten Verfassungsgrundsätzen gezählt und damit klargestellt, daß man scharf zu unterscheiden hat zwischen den verfassungsmäßigen Wegen, eine Änderung des politischen Zustands herbeizuführen, und denjenigen Bestrebungen, die auf die Abschaffung der Verfassung im ganzen oder ihrer wesentlichen Bestandteile gerichtet sind.
Die Ausschußarbeit diente vor allem dem Zweck, diejenigen verfassungsmäßigen Grundsätze herauszuarbeiten, die den erhöhten Strafrechtsschutz gegen die Delikte der Staatsgefährdung benötigen. Man wollte sich nicht mit der vieldeutigen Formulierung des schweizerischen Strafrechts, das einfach von der „verfassungsmäßigen Ordnung" spricht, begnügen. In der Tat ist die vom Schweizer Strafrecht gewählte Formel, daß sich die Tat gegen die verfassungsmäßige Ordnung richtet oder, wie es ursprünglich in den Entwürfen des Ministeriums hieß, gegen die „verfassungsmäßige Grundordnung", zu vielfältig ausdeutbar und läßt deshalb dem Richter einen zu großen Ermessensspielraum, als daß sie als Tatbestandselement verwendbar erschienen wäre. Ich verweise auf § 88 des Entwurfs. In ihm wird versucht, die Umwälzungsziele konkreter zu bestimmen.
Endlich ist darauf hinzuweisen, daß die Situation der Gegenwart Hochverrat und Landesverrat in stärkerer Weise zusammengeführt hat, als dies noch vor 30 oder 40 Jahren vorstellbar gewesen wäre. Innenpolitik und Außenpolitik sind in ihren Zielsetzungen einander näher gerückt als je. Wenn wir z. B. für Deutschland die Einheit in Freiheit anstreben, so ist in dieser Verbindung des außenpolitischen Ziels mit innenpolitischen Forderungen die gleiche Tendenz zu spüren, wie wenn der Umsturz nicht nur auf eine Abschaffung der demokratischen Freiheit, sondern auch auf die Herstellung einer Botmäßigkeit des deutschen Staates gegenüber einer fremden Macht gerichtet ist. Demgemäß finden Sie unter dem Begriff der Staatsgefährdung sowohl den Angriff auf den Bestand der Bundesrepublik als auch den Angriff auf ihre verfassungsmäßige Ordnung.
Nach diesen Eingangsbemerkungen komme ich zu einer kurzen Erläuterung der einzelnen Bestimmungen.
§ 88 enthält eine Reihe von Legaldefinitionen, die sich an die Terminologie im Art. 21 des Grundgesetzes anschließen. Dort ist von den Parteien die Rede, die darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik zu gefährden. Daraus ergab sich, daß der Begriff „Bestand der Bundesrepublik" hier erläutert werden mußte. Im § 88 heißt es:
Im Sinne dieses Abschnittes ist eine Handlung auf die Beeinträchtigung des Bestandes der Bundesrepublik Deutschland gerichtet, wenn sie darauf hinzielt, die Bundesrepublik Deutschland ganz oder teilweise unter fremde Botmäßigkeit Zu bringen,
— sie also zu einem Satellitenstaat zu machen —
ihre Selbständigkeit sonst zu beseitigen
— etwa durch Auflösung des Bundesstaates in seine einzelnen Bestandteile —
oder einen Teil des Bundesgebietes loszulösen. Als Beeinträchtigung des Bestandes der Bundesrepublik Deutschland im Sinne dieses Abschnitts gilt nicht die Teilnahme an einer
Staatengemeinschaft oder einer zwischenstaatlichen Einrichtung, auf die die Bundesrepublik Deutschland Hoheitsrechte überträgt oder zu deren Gunsten sie Hoheitsrechte beschränkt.
Das Wort „demokratische Grundordnung" ist dagegen im § 88 vermieden. Dadurch, daß das Parteienverbot Aufgabe des Bundesverfassungsgerichtes ist, erscheint es als wichtigste Aufgabe dieses Gerichtshofes, das Wesen der verfassungsmäßigen Grundordnung zu bestimmen. Hätte hier der Gesetzgeber auch den Strafrichter gezwungen, den Begriff „verfassungsmäßige Grundordnung" auszulegen, dann hätten sich bei den Einzelheiten Abweichungen in der Auffassung des Bundesverfassungsgerichtes oder des Obersten Bundesgerichtshofes ergeben können, die gerade bei diesem Zentralbegriff unseres staatlichen Lebens besser vermieden werden. Aber was der Strafrichter unter Verfassungsgrundsätzen zu verstehen hat, deren Bedrohung seine Tätigkeit auslöst, ist in dem folgenden Absatz des § 88 näher ausgeführt.
Ziffer 1 der aufgeführten Grundsätze sichert den Volksstaat, Ziffern 2 und 5 den Rechtsstaat, während die Ziffern 3 und 4 die Stellung des Parlaments sichern. Ich will hier nicht über die vielfältigen Erwägungen berichten, die zur Herausarbeitung gerade dieser Grundsätze und keiner anderen geführt haben. Daß sie die Verfassungswirklichkeit, wie sie sich auf Grund des Grundgesetzes bei uns entwickelt hat, tatsächlich umreißen, liegt auf der Hand.
Besonders wichtig erschien es uns, den Einparteienstaat durch die Verankerung des Rechts auf die verfassungsmäßige Bildung und Ausübung der parlamentarischen Opposition als verfassungswidrig zu kennzeichnen und auch die parlamentarische Verantwortlichkeit der Regierung in den Katalog der Verfassungsgrundsätze aufzunehmen, wobei wir uns darüber klar waren, daß damit die Gesamtheit aller das Verhältnis zwischen Regierung und Parlament betreffenden Rechtsgrundsätze und nicht etwa bloß die Ausgestaltung des Mißtrauensvotums in der einen oder anderen Form gemeint sei.
Der dritte Absatz des § 88 fügt diesen Verfassungsgrundsätzen als gleichgestellte Prinzipien hinzu: den Schutz der Grundrechte gegen eine Beeinträchtigung durch Gewalt, durch Erregung von Schrecken oder durch Einschüchterung mit ungesetzlichen Maßnahmen und den Ausschluß jeder Gewalt- und Willkürherrschaft.
Daß die Grundrechte nicht im vorhergehenden Absatz enthalten sind, liegt daran, daß sie nicht absolut geschützt sind, abgesehen vom Leben des Menschen, wie die im Grundgesetz enthaltenen Gesetzesvorbehalte selbst klarstellen. Es mußte deshalb eine allgemeinere und ins Negative gewendete Formulierung gewählt werden, die das Wesentliche aussagt und angesichts der offenen Drohung in politischen Versammlungen, man werde die KZs wiederherstellen und alle heutigen Verantwortlichen darin einsperren, auch nicht entbehrt werden kann. Die letzte Formel endlich, daß jede Gewalt- oder Willkürherrschaft ausgeschlossen sei, ist deshalb aufgenommen worden, weil bei einem primitiven Anhänger einer Umsturzbewegung vielleicht nicht der Nachweis gelingt, daß einer der im vorherigen Absatz genannten Verfassungsgrundsätze von ihm erfaßt und bekämpft wird; er hat aber das Bewußtsein, das jetzige System ablösen zu helfen und an der Aufrichtung einer Staatsform mitzuwirken, in der die rechtsstaatlichen Garantien abgeschafft und durch die Willkürentscheidungen sogenannter starker Männer ersetzt werden.
Dazu kommt, daß der Begriff der Gewalt- und Willkürherrschaft schon in einem alliierten Gesetz zur Bekämpfung undemokratischer Umtriebe verwendet worden ist.
Was nun die Einzeldelikte angeht, so ergeben sie kein in sich geschlossenes System des Staatsschutzes, sondern verwenden nur bestimmte Erfahrungen des In- und Auslandes, um aus ihren Lehren die Lücken des geltenden Strafrechts auszufüllen, die dringend der Schließung bedürfen.
§ 89 will den Staatsstreich von oben pönalisieren, der sich nicht des Mittels der Gewalt, sondern legaler Mittel bedient, nämlich der Hoheitsbefugnisse, die mißbraucht werden oder die sich der betreffende Täter anmaßt. Die Strafe für diesen sogenannten Verfassungsverrat ist Zuchthaus, in besonders schweren Fällen auf Lebenszeit. Vorbereitungshandlungen sind ebenfalls strafbar; bei mildernden Umständen tritt hier Gefängnisstrafe ein.
In der Tat sind die beamteten Täter besonders gefährlich, da ihnen der Staatsschutz in besonderem Maße anvertraut ist. Demgemäß sieht § 91 eine besondere Strafdrohung für diejenigen vor, die auf Angehörige einer Behörde oder eines öffentlichen Sicherheitsorgans in der Absicht einwirken, die pflichtmäßige Bereitschaft zum Schutze des Bestandes oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland zu untergraben.
§ 90 stellt die Sabotage in öffentlichen Betrieben durch Streik, Aussperrung und ähnliche Maßnahmen als Mittel der Umsturzvorbereitung unter Gefängnisstrafe. Hier gilt vor allem das vorhin Gesagte. Die umstürzlerische Absicht ist unverzichtbares Tatbestandsmerkmal.
§ 90 a zieht die strafrechtliche Konsequenz aus Art. 9 Abs. 2 des Grundgesetzes.
Dort sind die auf Beseitigung der demokratischen Grundordnung hinarbeitenden Vereinigungen und Parteien schon verboten. Deshalb ist ihre Gründung und Förderung strafbar, soweit es sich um die Drahtzieher handelt; denn sie wissen, was sie tun. Bei den politischen Parteien ist aber Voraussetzung der Strafverfolgung, auf die sich der Vorsatz der Täter nicht zu erstrecken braucht, der Spruch des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungswidrigkeit solcher Vereinigungen. Die Bestrafung der Mitläufer soll dagegen erst dann erfolgen, wenn die Vereinigung verboten und dieses Verbot gerichtlich bestätigt ist. Hier ist dieses Verbot ein echtes Tatbestandsmerkmal, auf das sich der Vorsatz der Mitläufer zu erstrecken hat. Darüber wird Herr Kollege Kopf näher berichten.
An weiteren Einzeltatbeständen hat das Gesetz den § 92. Es macht sich strafbar, wer für eine auswärtige Stelle in umstürzlerischer Absicht Nachrichten sammelt. Die übrigen Vorschriften pönalisieren den in umstürzlerischer Absicht betriebenen Import ausländischen Pronagandamaterials sowie dessen Verbreitung und Vorrätighaltung. Die Herstellung solchen Materials im Inland war einer Strafvorschrift im Rahmen eines neu zu schaffenden Presserechts vorzubehalten.
Die §§ 95, 96 und 97 sind Ergänzungen zu § 187 neuer Fassung, über die Kollege Kopf berichten wird. Es handelt sich um die Verunglimpfung des Bundespräsidenten, der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder, ihrer Farben, Wappen, Hymne. Diese Delikte gefährden das für das Funktionieren des Staates unerläßliche Vertrauen des Volkes in die demokratische Ordnung und sind schon als solche besonders strafwürdig, da gerade die hemmungslose Propaganda den Boden für die Staatsumwälzung vorbereitet.
Geschieht die Propaganda in umstürzlerischer Absicht, so tritt eine fühlbare Verschärfung der Strafdrohung ein. Die Verunglimpfung, d. h. die Schmälerung des Ansehens durch Beleidigung, üble Nachrede, Verleumdung der anderen, im Verhältnis zum Bundespräsidenten und dem Staate und seinen Symbolen niedriger stehenden Staatsorgane, die § 97 aufzählt, ist dagegen nur strafbar, wenn die umstürzlerische Absicht hinzukommt. Das Verhältnis dieser Vorschrift zu § 187 neuer Fassung wird Herr Dr. Kopf näher darlegen.
Zum Schluß sind noch die Vorschriften in §§ 94 und 98 besonders hervorzuheben. Es handelt sich um Vorschriften, die nur das Strafmaß betreffen. Die meisten Delikte des allgemeinen Strafrechts werden gefährlicher und sind strafwürdiger, wenn sie in umstürzlerischer Absicht begangen werden. Daraus zieht § 94 die Folgerung und führt bei den in ihm aufgezählten Delikten die staatsfeindliche Absicht als einen Qualifikationsgrund ein, der eine wesentlich höhere Strafe auslösen kann.
§ 98 regelt im Anschluß an frühere einschlägige Gesetze und Entwürfe die Nebenstrafen, die neben der Freiheitsstrafe ausgesprochen werden können.