Der Herr Präsident hat mir einen Ordnungsruf erteilt, weil ich über die Entstehungsgeschichte der Bundesrepublik meine eigene Meinung vorgetragen habe.
Ich werde hier, auch wenn es einigen Herren nicht angenehm ist, auf diese grundsätzliche Frage eingehen. Denn für die Beantwortung der Frage, ob es gegenüber der Bundesrepublik das Delikt des Hochverrats überhaupt gibt,
ist es entscheidend, welchen Ursprung die Bundesrepublik eigentlich hat
und welche politische und staatsrechtliche Eigenart das Staatsgebilde aufweist, in dem wir leben.
Meine Damen und Herren, meine Fraktion hat den Antrag gestellt, den ganzen Ersten Abschnitt zu streichen, weil sie der Auffassung ist, daß es gegenüber der Bundesrepublik Deutschland keinen Hochverrat geben kann.
Im Londoner Dokument Nr. I vom 1. Juli 1948 wurden die Ministerpräsidenten der drei westdeutschen Besatzungszonen „autorisiert", einen Parlamentarischen Rat einzuberufen. Der Parlamentarische Rat sollte den Auftrag übernehmen, eine Regierungsform für die beteiligten Länder, also für diejenigen Länder zu schaffen, die im Gebiet der drei westlichen Besatzungszonen gelegen sind, d. h. eine Regierungsform nicht für ganz Deutschland, sondern für einen Teil Deutschlands.
Dieses Dokument Nr. I, das am 1. Juli 1948 übergeben wurde, entsprach zweifellos nicht den letzten politischen Absichten der drei Westmächte, sonst hätten sie es ebenso wie die beiden anderen Dokumente wohl etwas klarer formulieren und damals schon sagen müssen, daß es ihnen darauf ankommt, aus dem Gebiet der drei westlichen Besatzungszonen einen eigenen Staat zu schaffen, mit einer eigenen Regierung, mit einer eigenen Verfassung, mit einem eigenen Parlament. Das wollten sie aber damals nicht so offen sagen, deshalb nicht, weil sie es für nötig hielten, auf die Stimmung in Deutschland Rücksicht zu nehmen, die sich gegen jede Absicht, aus Deutschland zwei Staatengebilde zu schaffen, mit Entschiedenheit gewehrt hätte.
Die Besatzungsmächte haben auch darum ihre eigentlichen politischen Fernziele getarnt oder verheimlicht, weil sie sich nicht sicher waren, ob die Ministerpräsidenten solchen Vorschlägen Folge leisten würden. Und letzten Endes hielt man es damals, im Sommer 1948, auch noch für zweckmäßig, gewisse Rücksichten auf den vierten Partner im Interalliierten Kontrollrat, auf die Sowjetunion, zu nehmen, und darum begnügte man sich im Juli 1948 mit der Bekanntgabe eines Teilziels, des Teilziels nämlich, vorläufig ein provisorisches staatsähnliches Gebilde durch deutsche Politiker schaffen zu lassen, wobei man dann schon sehen werde, wie man nach ein paar Jährlein dieses politische Beginnen fortsetzen könne.
Die Ministerpräsidenten der drei Westzonen haben den Vorschlag, der im Dokument Nr. I der Londoner Konferenz formuliert wurde, mit ziemlicher Reserve aufgenommen. Ich möchte, vielleicht auch, um den Herrn Präsidenten an die fragwürdige Berechtigung des Ordnungsrufs, den er mir erteilt hat, zu erinnern,
die offizielle Stellungnahme zitieren, welche die
westdeutschen Ministerpräsidenten zum Dokument
Nr. I in ihrer Konferenz auf dem Rittersturz in der Zeit vom 8. bis 10. Juli 1948 einnahmen. Darin heißt es:
Die Ministerpräsidenten werden die ihnen am 1. Juli 1948 durch die Militärgouverneure der amerikanischen, britischen und französischen Besatzungszonen übertragenen Vollmachten wahrnehmen.
2. Die Einberufung einer deutschen Nationalversammlung und die Ausarbeitung einer deutschen Verfassung sollen zurückgestellt werden, bis die Voraussetzungen für eine gesamtdeutsche Regelung gegeben sind und die deutsche Souveränität in ausreichendem Maße wiederhergestellt ist.
Und in Punkt 3 heißt es:
Die Ministerpräsidenten werden den Landtagen der drei Zonen empfehlen, eine Vertretung zu wählen, die die Aufgabe hat, ein Grundgesetz für die einheitliche Verwaltung des Besatzungsgebiets der Westmächte auszuarbeiten.
Sie sehen also, meine Damen und Herren, daß sich die Ministerpräsidenten bei ihrer Initiative zur Einberufung einer Versammlung, die ein provisorisches Grundgesetz ausarbeiten soll, ausdrücklich auf die ihnen von den drei Militärgouverneuren aufgetragenen Vollmachten beriefen. Was ich eingangs meiner Darlegungen gesagt habe, entspricht also durchaus den amtlichen Dokumenten, die die westdeutschen Ministerpräsidenten formuliert haben.
Meine Damen und Herren! Nicht nur die Ministerpräsidenten auf dem Rittersturz, auch die Beauftragten der Ministerpräsidenten, die kurze Zeit danach im Schlafzimmer des verrückt gewordenen Ludwig in Herrenchiemsee zusammentrafen, um Grundzüge einer kommenden westdeutschen Verfassung zu beraten,
— jawohl, so ist es — machten sich diese Grundsatzfomulierung zu eigen, indem sie ausdrücklich erklärten, daß sie nicht zur Erledigung des Auftrags zusammengekommen seien, eine Verfassung für einen westdeutschen Staat zu schaffen, sondern etwas ganz anderes, etwas Zeitbedingtes, etwas Provisorisches, etwas auf fremde Veranlassung hin Zustandekommendes.
Die Niederschrift der Beauftragten der Ministerpräsidentenkonferenz in der Konferenz von Herrenchiemsee lautet zu dieser Frage:
Es wollten die Ministerpräsidenten durch die Bezeichnung „Grundgesetz" zum Ausdruck bringen, daß die Aufgabe des Parlamentarischen Rates nicht darin bestehen soll, die Rechtsordnung für einen Staat im vollen und starken Sinne des Wortes zu schaffen, die einem Staat in vollem Sinne des Wortes eigentümlich ist. Die Ministerpräsidenten berufen sich darauf, daß in dem Dokument Nr. I von einem Staat überhaupt keine Rede ist. Das durch das Grundgesetz zu schaffende Gebilde
— ich weiß nicht, ob jetzt auch nachträglich an die
Instanz der Konferenz von Herrenchiemsee noch
ein Ordnungsruf fällig ist für das Wort, das ich — —