Rede von
Hans
Jahn
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und 1 Herren! Es betrübt mich, daß es nicht möglich gewesen ist, die zweite und dritte Lesung dieses immerhin bedeutsamen Gesetzes bis nach den Parlamentsferien zu vertagen. Es war der Wunsch des Vorstandes des Deutschen Gewerkschaftsbundes, zu diesem Problem Stellung zu nehmen. Wir haben am Freitag der vergangenen Woche in einer Aussprache mit dem Herrn Bundeskanzler diesen Wunsch des Deutschen Gewerkschaftsbundes vorgetragen und waren der Auffassung, auf weitestgehendes Verständnis gestoßen zu sein. Es wurde mir von dem stellvertretenden Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Herrn Mathias Fächer, gesagt, daß wir ruhig zur internationalen Konferenz des Bundes freier Gewerkschaften nach Mailand fahren könnten; es bestünde berechtigte Aussicht, daß das Problem vertagt werde. Wir sind nach Mailand gefahren, und als ich aufgefordert wurde, sofort nach Bonn zurückzukommen — ich erhielt die Aufforderung vor zirka 36 Stunden —, da hat der neugewählte Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Herr Fette, ein sehr bedenkliches Gesicht gemacht.
Meine Damen und Herren! Christian Fette ist der Mann des guten Willens. Er repräsentiert fast 6 Millionen Arbeitnehmer, den Deutschen Gewerkschaftsbund. Er hat den Wunsch geäußert, man möge ihm Zeit lassen, sich mit der Materie vertraut zu machen und sich gleich Hans Böckler mit dem Herrn Bundeskanzler einmal über die Mitbestimmung in den öffentlichen Betrieben zu unterhalten.
— Jawohl, aber es ist auch Sache des Deutschen Gewerkschaftsbundes, sich für dieses wesentliche Recht zu interessieren.
— Die Zeit war zu kurz. Daß der Beschluß nicht nicht zustande gekommen ist, das war für diesen Mann des guten Willens eine Lehre für sein Leben. Ich bin gehalten, das zu sagen!
Und nun stehen wir vor der Fassung des Gesetzentwurfs, wie sie in zweiter Lesung beschlossen worden ist. Wir haben uns noch einmal grundsätzlich mit der ganzen Problematik dieses Gesetzes auseinanderzusetzen. Wir haben in diesem Gesetz die Mitbestimmung in den öffentlichen Betrieben als ein Recht verankern wollen, wie es den Eisenarbeitern, den Stahlarbeitern und den Bergarbeitern gegeben ist. Es heißt in jenem Gesetz: Den Arbeitern wird ein Recht auf Mitbestimmung gegeben. Wir wünschen, daß dasselbe Recht den Arbeitern in den öffentlichen Betrieben, hier bei der Bundesbahn, gegeben wird. Wir haben in dem Staatsarbeiterrecht der Zeit vor 1916 ein zweigleisiges, ein minderes Recht gehabt. Erst am 16. März 1916 wurde diesen Staatsarbeitern die Koalitionsfreiheit gegeben. Wir können heute unmöglich die Hand dazu bieten, daß den Staatsarbeitern wieder ein minderes Recht gegeben wird. Daher unsere Forderung auf gleiches Recht auch in der Frage der Mitbestimmung. Denn darunter fallen in Zukunft nicht nur die 520 000 Eisenbahnarbeiter, -angestellte und -beamte, darunter fallen auch rund 3 Millionen in den öffentlichen Betrieben beschäftigte Arbeitnehmer.
Es gibt noch ein zweites Problem, was uns die Forderung, hier gleiche Rechte zu schaffen, erheben läßt. Das sind die Erfahrungen aus der Vergangenheit. Die Vergangenheit hat uns gelehrt, daß politische Demokratie ohne wirtschaftliche Selbstbestimmung zerbricht. Deshalb wollen wir, daß solche Dinge wie 1933 nicht wieder geschehen können, sondern daß die politische Demokratie durch die wirtschaftliche Demokratie, die wir auch in diesem Gesetz verankert wissen wollen, untermauert wird. Wir wollen eine neue Sozial- und Wirtschaftsordnung aufbauen. Glauben Sie nicht auch, daß, wenn es uns gelingt, eine neue Wirtschafts- und Sozialordnung aufzubauen, nach der sich Millionen unserer Arbeitsbrüder in der Ostzone sehnen, daß dieses neue Recht — führend zu einer neuen Wirtschaftsordnung, die in der Wirtschaftsdemokratie enden soll — das beste Sprungbrett für eine Vereinigung Deutschlands auf demokratisch, wirtschaftlich und sozial neuem Boden wäre? Ich weiß, daß diese Sehnsucht im Osten unseres Vaterlandes vorherrscht. Dieser Sehnsucht, diesem Drängen müssen wir Rechnung tragen.
Mitbestimmung und Mitverantwortung sind Zwillingsbrüder. Sie leben miteinander, sie gedeihen miteinander oder aber sie sterben miteinander. Ich will mich nicht weiter über das auslassen, was wir nach der Überrollung 1945 an Mitverantwortung getragen haben. Wir haben wahrlich Verantwortung auf unsere Schultern genommen, und wir wünschen, daß zu der Mitverantwortung endlich auch die Mitbestimmung komme, die nuin einmal dazu gehört, wenn etwas Neues aufgebaut werden soll.
Ich verstehe nicht, warum man aus dieser Forderung, Mitverantwortung zu tragen, aber auch mitzubestimmen, dann — ich möchte fast sagen — die Redensart entwickelt, die dann landauf landab zu hören ist, daß die Gewerkschaften nach einer neuen Diktatur strebten. Die Mitbestimmung wäre das festeste Band, die Gewerkschaft an die Mitver-
antwortung zu binden. Wenn es aber anders gewünscht wird, dann sehe ich allerdings schwarz für eine ruhige und gesunde Entwicklung nicht nur auf dem sozialrechtlichen Gebiete, sondern auch hinsichtlich alles dessen, was für eine gesunde Wirtschaftspolitik erforderlich ist.
Und noch ein Viertes. Wir haben in der westdeutschen Republik, und zwar in der französischen Zone, bereits eine entsprechende Institution; das ist der Verkehrsrat der westdeutschen Eisenbahnen mit Sitz in Speyer. Dort ist der Verwaltungsrat aus drei Gruppen zusammengesetzt, während in dem gestern beschlossenen § 10 die Vierteilung verankert worden ist. Es ist für uns nicht möglich, dem zuzustimmen. Wir fordern gleiches Recht für alle Arbeitnehmer auch auf diesem Gebiete und sind deswegen gehalten, unsere bereits gestellten Anträge heute noch einmal zur Abstimmung — nicht zur Diskussion — zu stellen.
Wir wünschen ferner, daß der § 7 des Gesetzes die Formulierung erhält, wie wir sie in einem Antrag dem Hohen Hause vorgelegt haben. Es ist nach unserer Auffassung unerläßlich, daß in dem größten Betriebe Europas ein Arbeitsdirektor bestellt wird. Es wird als selbstverständlich angesehen, daß ein technischer Direktor, daß ein Finanzdirektor vorhanden ist; aber daß das Wertvollste, was wir besitzen, die Arbeitskraft, nicht durch einen besonderen Arbeitsdirektor betreut werden soll, das erscheint mir einfach unmöglich. Wir sind daher der Auffassung: hier muß ein Arbeitsdirektor bestellt werden, und er soll auch das Vertrauen mindestens der Mehrzahl der bei der Bundesbahn Beschäftigten genießen. Daher unser Wunsch, daß er nicht ohne die Gewerkschaftsvertreter benannt und ohne sie auch nicht von seinem Posten entfernt werden kann.
Da ich gestern nicht hier sein konnte, haben meine Freunde unsere Forderung hinsichtlich der Zusammensetzung des Verwaltungsrats zur Genüge begründet. Wenn Sie unseren Antrag genau ansehen, meine Damen und Herren, dann werden Sie feststellen, daß für die Wahrnehmung der Funktionen des Verwaltungsrats eigentlich eine Drittelung vorgesehen ist, nämlich: sieben Vertreter vom Bundestag und vom Bundesrat, sieben Vertreter von der Gewerkschaft und je drei vom Bundestag und von der Gewerkschaft zu nominierende Vertreter, die besondere öffentliche und allgemeinwirtschaftliche Interessen wahrzunehmen hätten. Ich glaube, diese Drittelung ist eine wirksame Grundlage dafür, den Betrieb wirklich zu dem zu machen, was er sein muß, nämlich zu einer Musteranstalt in Deutschland.
Wir halten es für unmöglich, daß in § 14 die Absätze 5 und 8 stehen bleiben. Wir wünschen, bei Tarifverhandlungen und bei anderen Verhandlungen zu einem echten Verhältnis der Sozialpartner zueinander zu kommen. Daher sollte der Abs. 5 des § 14 gestrichen werden, desgleichen der neu eingefügte Abs. 8. Wir glauben, es ist völlig genügend, wenn eine funktionsfähige Hauptverwaltung der Bundesbahn arbeitet und ein nach gesunden Prinzipien zusammengesetzter Verwaltungsrat die Arbeit dirigiert. Wir glauben auch, daß der Herr Bundesverkehrsminister in seinem Ministerium genügend Kräfte zur Verfügung hat; er braucht sich nicht noch- Beamte in sein Ministerium abkommandieren zu lassen. Weiterhin ist es nach unserer Auffassung für einen gesunden
Wirtschaftsbetrieb unerläßlich, daß eine saubere Trennung von Leitung und Aufsicht durchgeführt wird.
Alles in allem sind wir der Auffassung, daß die von uns vorgelegten Anträge von diesem Hohen Hause akzeptiert werden sollten, und zwar einfach deswegen, um die Bundesbahn in einer ruhigen, stetigen Entwicklung zu einem gesunden Betrieb der deutschen Volkswirtschaft zu machen. Wenn anders verfahren wird, dann wird 24 Stunden nach Inkrafttreten des Gesetzes der Kampf um seine Revision einsetzen. Das wird weder Ruhe noch Zufriedenheit im Betrieb ergeben und wird sich mehr als ungünstig auf den Ablauf des Betriebes auswirken.
— Meine Damen und Herren, das nennen wir Demokratie.
Wir haben unter Beweis gestellt, daß die Demokratie nur besteht, weil der Deutsche Gewerkschaftsbund als stärkste demokratische Organisation sich dafür eingesetzt hat.
Wir lassen uns in bezug auf Demokratie und Verteidigung der demokratischen Formen von niemandem übertreffen.
— Wann haben Sie von mir politische Streiks gesehen, Herr Euler?
— Herr Euler, Herr Kollege Euler, es hieße Eulen nach Athen tragen,
wenn wir uns darüber unterhalten wollten.
Wir haben keinen politischen Streik angedroht;
das müßte erst einmal nachgewiesen werden.
Wir haben das Recht und die Pflicht, das, was in den Herzen der Millionen Arbeitnehmer in dieser Zeit vor sich geht und nach außen drängen- will, auch auszusprechen.
Daran lassen wir uns von niemandem behindern.
Ich glaube, es ist wirksamer, wenn man die Dinge ruhig und nüchtern anschaut.
Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß die soziale Unrast unter der Arbeitnehmerschaft wieder bedenkliche Formen anzunehmen beginnt.
Ich verweise nur auf die Situation im Bergbau.
— Wenn Sie das Ohr am Pulsschlag des Volkes hätten, wie wir es tagtäglich haben,
dann würden Sie mit uns der Meinung sein, das
Hohe Haus sollte alles tun, um dafür zu sorgen,
daß durch ein nach unseren Anträgen zu formen-
des Gesetz Ruhe und Stetigkeit in die Wirtschaft einziehen können.
An uns soll es nicht liegen, mitzuarbeiten. Ich warne aber davor, uns in die Opposition zurückstoßen zu wollen, die dann gefährliche Formen annehmen könnte.
— Das ist die Warnung eines Mannes, der die Verantwortung fühlt, das auszusprechen.
Ich ersuche daher alle gewerkschaftsverbundenen Abgeordneten dieses Hohen Hauses,
sich unseren Anträgen anzuschließen; sie werden dann in der weiteren Entwicklung selber sagen: Es waren weise Beschlüsse, die hier gefaßt worden sind.