Rede von
Heinz
Renner
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(KPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (KPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Draußen, in den Kreisen der Rentenberechtigten, hat die Tatsache, daß die in so feierlicher Form angekündigte Auszahlung eines Zuschusses zur bisherigen Rente am 1. Juli oder an den Auszahlungstagen der Juli-Rente unterblieben ist, mit Recht große Empörung und Erbitterung ausgelöst. Diese Erbitterung hat sich oft bei den Auszahlungsstellen entladen, so daß die ganze Empörung auf die an der Nichtauszahlung völlig unschuldigen unteren Postbeamten abgeladen wurde. Der Herr Postminister sah sich auf Grund dieses Tatbestandes genötigt, seine Beamten zu entschuldigen.
Nun kommt nach dieser Vorgeschichte, die bekanntlich mit einem einmütigen Beschluß des Bundestages im Februar dieses Jahres begonnen hat — der Beschluß zielte darauf ab, die Bundesregierung zu verpflichten, die Rentensätze durch Gesetz um mindestens 25% zu erhöhen —, diese Vorlage der Regierung. Nach dem Regierungsentwurf läuft es praktisch darauf hinaus, daß die Zuwendungen von der Höhe der geleisteten Versicherungsbeiträge abhängig gemacht werden. Darin liegt ein . großes Unrecht gegenüber der Mehrheit der Bezugsberechtigten. Man erkennt das, wenn man bedenkt, daß zu den Bezugsberechtigten heute eine große Anzahl von jungen Menschen gehört, die nur durch ihre Teilnahme am Heeresdienst außerstande gesetzt worden sind, durch entsprechende Jahresleistungen einen normalen Rentenanspruch zu erwerben.
Noch ein Wort nach einer anderen Seite Der Herr Minister hat gesagt, daß der Anspruch aus der Sozialversicherung wieder zu einem Rechtsanspruch gemacht werden solle. Schön, das haben wir Kommunisten immer gefordert. Er hat dann aber weiter gesagt, er verwahre sich dagegen, daß man die Sozialversicherung als eine Art von Wohlfahrtseinrichtung betrachte und demgemäß ausnutze. Demgegenüber muß hier doch einmal die Frage gestellt werden: Wer hat denn die Sozialversicherungsträger überhaupt in diesen finanziellen Notstand gebracht, wer ist denn schuld daran, daß den Sozialversicherungsträgern nach dem ersten Weltkrieg und im Laufe der Zeit bis 1948 rund 40 Milliarden an Vermögen gestohlen worden sind? Wenn man schon davon spricht, daß man den Rentenanspruch zu einem Rechtsanspruch machen will, dann soll man auch endlich zu einer Aufwertung übergehen. Bei jeder Gelegenheit betont man hier, daß man der Rechtsnachfolger des Reiches sei. Hitler und seine Vorgänger in und nach dem ersten Weltkrieg sind doch dafür verantwortlich, daß das Vermögen der Sozialversicherungsträger, das in Kriegsanleihen und in Reichsschuldverschreibungen angelegt worden ist, zum Teufel gegangen ist. Also bitte, wenn man Rechtsnachfolger des Reiches ist und wieder einen Rechtsanspruch schaffen will, soll man endlich auch das Grundproblem lösen und den Sozialversicherungsträgern ihr verlorenes oder besser gesagt ihr für die Finanzierung des Krieges gestohlenes Vermögen aufwerten. Wenn das geschähe, wären wir sofort aus dem Problem heraus, dann brauchten die Sozialversicherungsträger keine Staatszuschüsse mehr, um ihre Verpflichtungen erfüllen zu können.
Es ist überflüssig, hier in diesem Kreise etwas darüber zu sagen, wie groß die Notlage bei den Sozialversicherten ist. Es ist auch überflüssig, auf die Zusammenhänge hinzuweisen, die zwischen dieser Notlage und dem ständigen Anwachsen der Preise und der Lebenshaltungskosten bestehen; denn sie sind hier allgemein bekannt. Worauf es uns im Augenblick ankommt, ist, daß dieser Gesetzentwurf noch vor Beginn der Herbstferien unter Dach und Fach gebracht wird, damit auf den heißen Stein wenigstens ein Tropfen gegeben wird, damit die große Notlage wenigstens etwas gemildert werden kann.
Wir erwarten von dieser Regierung nicht, daß sie die berechtigten Ansprüche der Sozialversicherungsträger erfüllt, wie wir es fordern und beantragt haben.
Wir wissen, daß diese Regierung die Gelder, die sie aus dem Volk herauspreßt, in der Hauptsache für die Vorbereitung ihres Krieges anlegt,
und das erkennen die Rentenversicherten draußen
auch langsam selber. Aber, wie gesagt, es muß
dieser ihrer Forderung noch vor Beginn der Ferien
Rechnung getragen werden; sonst werden Sie erleben, daß die Invaliden draußen die Frage stellen,
mit welchem Recht Sie in die Ferien gehen und
mit welchem Recht Sie sich auch in den sechs
Wochen Ferien die hohen Diäten auszahlen lassen.