Rede von
Adolf
von
Thadden
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DRP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DRP)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heutige Situation gleicht hinsichtlich der sie überschattenden ungeheuren, katastrophalen Gefahr vielleicht etwa der Lage vor 1500 Jahren, in der ein weströmischer, also vielleicht vorfranzösischer Politiker — Aëtius mit Namen — die Notwendigkeit begriff, sich mit den Westgoten, die damals von den Galliern außerordentlich gehaßt wurden, zusammenzutun, sich mit ihnen in eine Front zu stellen. Und es gelang ihm damals, auf den katalaunischen Gefilden dann die beide gemeinsam bedrohende Gefahr zu besiegen.
— Dieses Beispiel von damals, Herr Kollege Wuermeling, sollte sich Herr Grandval einmal vor Augen halten. Hätte dieser Aëtius damals nämlich über einen so „mächtigen" Verstand und über eine solche Enge des Horizonts verfügt, wie es bei Herrn Grandval offenbar der Fall ist und wie er dies kürzlich noch bei seiner bereits zitierten Rede unter Beweis stellte, dann gäbe es heute sicherlich keine Saarfrage, keinen französischen und keinen deutschen Staat; denn damals wäre die Entwicklung bereits darüber hinweggegangen. Hätte Aëtius in der damaligen Situation Grandvalsche Politik gemacht, dann hätte also kein Franzose oder jemand dieses oder eines anderen Namens die Möglichkeit, aus dem nach dem deutschen Strafgesetzbuch zweifelsfreien Kriminalfall des Johannes Hoffmann in Saarbrücken eine politische Angelegenheit zu machen.
Meine Damen und Herren! Dem Gilbert Grand-val unserer Tage sollte man mit einem Sonderpreis für seine groteske und der realen Wirklichkeit am meisten widersprechenden Folgerung aus der realen politischen Lage auszeichnen; und vielleicht schenkt ihm Frau Eleanor Roosevelt ein Bild mit persön-
licher Widmung, das ihren Gatten in friedlichem Gespräch mit Josef Stalin in Jalta zeigt.
Jalta — das darf man nicht übersehen — hat für die neueste, die 45er Welle der Richelieuschen Idee die gleiche Bedeutung, wie sie Versailles für die vorige Welle besaß, jene Welle, die für Clemenceau, Poincaré, Barthou und Tardieu zum Fahrwasser ihrer Politik wurde. Der Generalissimus in Moskau hat offenbar ein außerordentlich diabolisches Vergnügen gerade an solchen Franzosen, die von Richelieu und Napoleon träumen und darüber die einzige wahre und große Gefahr, die das Europa der Gegenwart bedroht, völlig vergessen.
Trotzdem wollen wir im Gemeinschaftsinteresse der abendländischen Völker Europas hoffen, daß die neuen Richeheuaner — oder sollen wir sagen: die neuen Poincaréisten — wie Grandval und Moch in den deutschfranzösischen Beziehungen nicht das letzte und entscheidende Wort sprechen. Mögen diejenigen französischen Politiker, die wie Schuman, Reynaud oder vielleicht François-Poncet schon aus Klugheit heute die Realitäten nicht übersehen möchten, ihr Volk in einer großen Mehrheit dazu bringen, daß es auf der sinnlosen Suche nach dem imaginären Gespenst der deutschen Gefahr nicht die höchst lebendige und leider gigantisch große Weltgefahr aus der kontinentalen Weite des bolschewistischen Herrschaftsbereiches übersieht, der von Helmstedt bis Kanton und von Rumänien bis fast ans Nordkap reicht. Meine Damen und. Herren! Wenn Sie neben diesen Herrschaftsbereich die Distanz von Bonn nach Paris setzen, dann ist die Situation klar. Wenn das einmal von den maßgeblichen politischen Faktoren Frankreichs wirklich gewürdigt wird, dann entfällt eine Diskussion über einen Saarstaat, in dem das von Johannes Hoffmann entdeckte Volk der „Sarrois" wohnen soll, endgültig und allseitig wegen anerkannter Sinnlosigkeit des Diskussionsgegenstandes.