Rede von
Heinz
Meyer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was man gar nicht vermuten sollte, ist der Fall: Im Bundesbahngesetz und analog etwa im Reichsbahngesetz befinden sich Bestimmungen darüber, welche gewerberechtlichen Regelungen für die Bundesbahn gelten sollen. Jeder Vernünftige, der diese Bestimmungen betrachtet, würde, wenn es dort heißt: „für den Betrieb der Deutschen Bundesbahn und die Nebenbetriebe", annehmen, es handele sich wirklich um Nebenbetriebe der Deutschen Bundesbahn. Tatsächlich hat sich aber in den vergangenen Jahren, worauf der Herr Berichterstatter auf Grund der Ausschußberatungen freundlicherweise schon hingewiesen hat, folgendes ereignet: Die sogenannten Nebenbetriebe der Bundesbahn haben eine Ausdehnung nach jeder Richtung gefunden. Wenn man sich vor der Sperre des Hamburger Hauptbahnhofes aufhält, kann man sich dort beinahe alle Bedarfsartikel, die normalerweise vom deutschen Einzelhandel zu beziehen sind, jederzeit außerhalb der üblichen Ladenschlußzeit beschaffen einschließlich Karbonaden, Mettwürsten, Schinken, Backwaren, Photoapparaten, Drogerieartikeln und allem Möglichen, was sonst noch denkbar ist. In Nordrhein-Westfalen gibt es dagegen Bahnhöfe, wo man sich abends um 9 Uhr noch Jumper beschaffen kann. Das alles gehört ja wohl zum Reisebedarf!
Wir vermögen nicht einzusehen, daß das überhaupt Nebenbetriebe der Bundesbahn sein sollen, die unter die Bestimmungen des § 40 fallen. Außerdem aber müssen wir uns in Fortsetzung der Gespräche, die wir im Ausschuß geführt haben, zum Mundwalter derjenigen Interessenten machen, die mit Recht sagen, daß ihnen, die 25 Meter vor dem Bahnhof liegen und denen es nicht gestattet ist, außerhalb der Ladenschlußzeit noch irgendwelche Artikel auch an Reisende zu verkaufen, bei ihren Verkaufsständen keine andere Behandlung in den Bahnhöfen zuteil werden kann als dem
gleichen Einzelhändler, der sein Geschäft 25 Meter vor dem Bahnhof hat. Wir sind mit dem Herrn Berichterstatter der Auffassung, daß die Möglichkeit bestehen muß, echten Reisebedarf auch außerhalb der Ladenschlußzeit zu decken. Es hat selbst auf großen Bahnhöfen Jahrzehnte hindurch genügt, daß man dort Getränke einnehmen und Speisen verzehren konnte, daß man sich Zeitschriften und ein Buch beschaffen konnte, etwas, was man auf der Reise lesen wollte. Plötzlich, nach der Währungsreform, haben alle möglichen Geschäftsleute entdeckt, daß sie auf diesen Bahnhöfen eine Monopolstellung einnehmen können, die ihnen noch über die übliche Ladenschlußzeit hinaus die Möglichkeit gibt, ihre besonderen Geschäfte — vielleicht auch zu besonderen Preisen — fortzusetzen. Wir sind der Meinung, daß schon im Interesse des beteiligten Einzelhandels, aber auch im Interesse der beteiligten Arbeitnehmer hierfür absolut keine Notwendigkeit besteht. Deutschland ist vor 1933 oder 1936, Herr Rademacher, ein Reiseland gewesen und auch ohne diese Verkaufsstände und wird es ohne sie auch wieder werden. Um Deutschland als Reiseland zu propagieren, benötigen wir nicht diese Verkaufsstände. Die deutsche Landschaft bietet Gott sei Dank dem Ausländer auch heute noch so viel Interessantes, daß er schon deshalb, um es kennenzulernen, nach Deutschland kommt.
Kein vernünftiger Mensch wird sich dagegen wehren, daß man meinetwegen für gewisse Kurorte Ausnahmemöglichkeiten schafft im gleichen Rahmen wie für den ortsansässigen Einzelhandel. Wir wissen aber positiv, daß diese Bestimmungen mißbräuchlich ausgenutzt worden sind und daß auch die bisher geltenden Verwaltungsrichtlinien, wonach die zuständigen Stellen der Bundesbahn genötigt sind, mit den örtlichen Behörden oder mit den Landesbehörden ein Einvernehmen darüber herbeizuführen, weithin nicht beachtet worden sind.
Der unseres Erachtens völlig klare materielle Grund ist der, daß die Bundesbahn glaubte, diese Verkaufsstände erlaubten ihr bis zu einem gewissen Grade eine Finanzierung der Wiederherstellung der unteren Flächen ihrer Bahnhöfe. Wenn man sich aber einmal einen solchen Bahnhof ansieht, dessen untere Fläche mit geschmackvollen Verkaufsständen — wie gar nicht bestritten werden soll — ausgestattet ist, und wenn man dann darüber sich das unveränderte obere Bild der Zerstörung betrachtet, dann muß man schon feststellen, daß diese Ausstattung im Grunde genommen geschmacklos wirkt.
Das einzige Interesse, das hier von bestimmender Bedeutung ist, ist das des beteiligten Einzelhandels, der ja hier schon eine Vorzugsstellung hat, denn die Bundesbahn muß über jeden ihrer Bahnhöfe täglich einen großen Teil von Pendelarbeitern befördern. Für meine Heimatstadt macht das, wenn ich 60 °/o von der Gesamtzahl der Pendler abziehe, täglich 12 000 Menschen aus. Alle Zigarrenläden, die dort frühmorgens um 7 Uhr bereits geöffnet sind, liefern schon den Rauchwarenbedarf für diese Pendelarbeiter und haben damit den anderen Geschäften vor dem Bahnhof den Rahm abgeschöpft.
Aber das zweite materielle Interesse besteht darin, daß alle diese Verkaufsstände ja von der Bundesbahn gegen eine Beteiligung am Umsatz verpachtet werden. Das ist wiederum ein berechtigtes volkswirtschaftliches Interesse. Andererseits glauben wir aber nicht, daß die Einnahmen daraus so groß sind, daß die Bundesbahn damit saniert werden kann. Die überzeugenden Gründe sprechen vielmehr für die andere Seite. Deshalb bitten wir Sie, mit uns für die Aufnahme des Abs. 2 unter Ziffer 6 des Umdrucks Nr. 239 einzutreten, d. h. vorzuschreiben, daß Gaststätten, Zeitschriftenvertrieb und Buchhandel, die auch außerhalb der Sperre dem nichtreisenden Publikum zugängig sind, außerhalb der Ladenschlußzeit ihren Betrieb fortführen können, daß aber alle anderen auf dem Bahnhof gelegenen, außerhalb der Sperre oder der Bahnsteige betriebenen Verkaufsstände ihren Laden zur üblichen Ladenschlußzeit zu schließen haben genau so wie die ortsansässigen Geschäfte. Wir halten das für eine richtige und gesunde Regelung und bitten um Ihre Zustimmung.