Rede von
Fritz
Erler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst nur ein Wort über die Legitimation zu dieser Interpellation. Ich bedauere es, daß ich mich ab und zu in einer Gesellschaft befinde, in der mir nicht ganz wohl ist. Das will ich hier ganz deutlich aussprechen: Legitimiert zu dieser Interpellation sind doch wohl in letzter Linie diejenigen, die dort, wo sie regieren, all das, was wir hier den westlichen Besatzungsmächten zum Vorwurf machen, viel schärfer und im größeren Umfange durchexerzieren.
Das ist das eine.
Und nun zur Sache selbst. Es ist hier der Eindruck erweckt wurden, ais handle es sich bei dieser Interpellation um einen Vorwurf gegen die Angehörigen der Dienstgruppen selbst. Das ist vollkommen falsch. Der Vorwurf richtet sich gegen diejenigen, die die Notlage der Angehörigen der Dienstgruppen ausnutzen und sie dadurch in ein für uns Deutsche unerträgliches Zwielicht bringen.
Die bedauerliche Situation, von der der Herr Kollege Mende gesprochen hat und in der, wie er gesagt hat, wir alle uns befinden, sieht doch etwas anders aus, als er es dargestellt hat. Ich bitte, sich einmal etwas eingehender über die Rechtslage nach dem Besatzungsstatut zu vergewissern, um zu ergründen, daß der Bundestag auf dem Gebiete der Gesetzgebung tatsächlich einige Befugnisse mehr hat und auch in Anspruch nehmen sollte, als sie uns der Kollege Mende eben „großzügigerweise" zubilligen wollte.
Ich bin etwas betroffen darüber, daß die Interpellation von dem Herrn Staatssekretär des Bundesfinanzministeriums beantwortet worden ist.
Es ist, weiß Gott, zur Beantwortung dieser Interpellation nicht zuständig.
Das Bundesfinanzministerium ist an diesen Fragen nur finanziell interessiert, und es ist nicht diejenige Institution der Bundesrepublik, die das in dieser Interpellation angeschnittene menschliche und das viel wichtigere politische Problem behandeln und beantworten kann. Ich will den etwas naiven Kinderglauben, der aus den Ausführungen des Herrn Staatssekretärs sprach, durchaus ernst nehmen; aber ich kann ihn leider nicht teilen. Man kann hier nicht lediglich von den Dienstgruppen in der britischen Besatzungszone sprechen, sondern muß zum Vergleich — die Dienstgruppen in der britischen Zone gehen schon diesen Weg — auf die Verhältnisse in der amerikanisch besetzten Zone eingehen. Schon die Altersunterschiede, die uns angegeben worden sind, sprechen Bände. 23 Jahre ist der Durchschnitt in der amerikanischen Besatzungszone, 38 Jahre ist das durchschnittliche Lebensalter in der britischen Besatzungszone; und die Briten passen sich jetzt den Amerikanern an.
Die neuen Einstellungsvorschriften sehen vor, daß das Verhältnis der Verheirateten zu den Unverheirateten künftig nicht mehr höher als 1:10 liegen darf. Was hat das mit einem normalen Arbeitsverhältnis zu tun? Seit wann wählt man bei Arbeiten, bei Hilfsarbeiten irgendwelcher Art danach aus, ob jemand verheiratet ist oder nicht? Damit wird der Charakter der jetzigen Organisation in der amerikanischen Zone und der künftigen Organisation in der britischen Zone doch wohl eindeutig und klar.
Es gibt einen sehr wesentlichen Unterschied in den Verträgen. Nach dem Vertrag, den die Angehörigen in der britischen Zone unterschreiben, können sie zu allen Arbeiten in der Bundesrepublik eingesetzt werden, die die britische Besatzungsarmee befiehlt. Diese Beschränkung auf das Gebiet der Bundesrepublik fehlt in den Bedingungen für die amerikanische Besatzungszone.
Der dort in die Organisation Eingetretene kann für jeden Dienst und an jedem Platz verwendet werden, den die amerikanische Armee für ihn für richtig hält.
Ich möchte darüber hinaus feststellen, daß es in der britischen Zone immerhin eine gewerkschaftsähnliche Betreuungsorganisation gibt, die sich die Amerikaner mit allem Nachdruck für ihr Gebiet verbeten haben.
Ich möchte auch darauf hinweisen, daß wir es in gewissen Teilen beider Zonen mit einem regelrechten öden Kommißbetrieb zu tun haben, den wir in Deutschland auf jeden Fall an unseren eigenen Staatsbürgern nicht wieder erleben wollen, weder
unter deutschem noch — erst recht nicht — unter fremdem Befehl.
Einem dieser fremden Befehlshaber hat es so gut gefallen, daß er sich nach einem besonders „zackig" ausgeführten Wachdienst anerkennend äußerte, das sei so wie bei der SS-Leibstandarte.
Ich glaube, das ist ein „Lob", das die Angehörigen
dieser Dienstgruppe eigentlich sehr zu Unrecht verdient haben. Wir sollten ihnen solche Vergleiche in
Zukunft dadurch ersparen, daß wir jetzt die Bundesregierung in dieser Frage zum Handeln zwingen.
Es ist darauf hingewiesen worden, es handle sich ja um Freiwillige. 80 % aller Angehörigen der Dienstgruppen haben ihre Heimat verloren. Es sind entweder Flüchtlinge aus der sowjetischen Besatzungszone oder Heimatvertriebene aus den Gebieten jenseits der Oder und Neiße. Wie wollen Sie von Freiwilligkeit sprechen, wenn die Beendigung des Dienstverhältnisses praktisch mit sofortiger Obdach- und Arbeitslosigkeit geahndet wird!
Das ist keine Freiwilligkeit mehr, das ist wirklich Ausbeutung einer sozialen Notlage.
Nun noch ein Wort zum zivilen Charakter. Mit dem Ausscheiden in dem Augenblick, in dem die Dinge außenpolitisch einmal kritisch würden, hat es so eine eigene Bewandtnis. Am 19. Juni ging eine dpa-Meldung über die Verhandlungen des britischen Unterhauses durch die deutsche Presse. Darin heißt es, deutsche Zivilangestellte, die für die britischen Besatzungstruppen in Deutschland arbeiten, würden im Kriegsfalle nicht entlassen werden. — So sagte Kriegsminister John Strachey vor dem Unterhaus; er beantwortete eine Anfrage des konservativen Abgeordneten Duncan Sandys und fügte hinzu, es liege nicht im öffentlichen Interesse, über alle Maßnahmen zu sprechen, die im Fall eines Kriegsausbruchs getroffen würden. Und auf die Frage, ob die Bundesregierung damit einverstanden sei, deren Mitwirkung offensichtlich erforderlich sei, antwortete der Minister, daß er auf diese komplizierte und etwas delikate Frage nicht eingehen möchte. Das heißt also: er hat das Einverständnis der Bundesregierung nicht etwa abgestritten. Das ist das mindeste, was man aus dieser Erklärung zu schließen hat. Ich werde Ihnen darüber weiter noch einiges zu sagen haben.
Zum Charakter des Zivildienstes paßt es schlecht, daß die Militärgerichtsbarkeit eben doch entgegen den heute hier abgegebenen Erklärungen vorgeht. Der Dienstpflichtige untersteht nur insoweit den deutschen Gerichten, als ihn die alliierten Militärgerichte der deutschen Gerichtsbarkeit ausliefern. Die alliierte Militärgerichtsbarkeit geht vor. Aus dem Vertrag ist ein ganz eindeutiges militärisches Subordinationsverhältnis geworden.
In was für einem Staate leben wir eigentlich? In einem Staate, in dem man, wenn man nähere Informationen über den Charakter einer solchen deutschen Dienstorganisation einholen will, auf den Einwand stößt: Ja, hier gehe es um den Verrat militärischer Geheimnisse; deshalb könne man derartige Informationen nicht gut geben.
In einer Zeit, in der uns stets und ständig von der Gleichberechtigung gesprochen wird, nimmt sich die einseitige Inanspruchnahme deutscher Staatsbürger ohne Zustimmung des deutschen Parlaments, ohne Kontrolle durch deutsche Behörden und Organe mehr als seltsam und mehr als merkwürdig aus.
Die Bundesregierung hat durch den Herrn Staatssekretär sagen lassen, daß sie bereits ausführlich zu all diesen Problemen Stellung genommen habe. Diese Stellungnahme geht an all diesen Problemen völlig vorbei.
Die Bundesregierung hat von der Aufstellung der Dienstgruppen gewußt, bevor die Tatsachen vollzogen waren. Sie hat aber das eingeschlagene Verfahren auch nachträglich gutgeheißen. Sie hat die Opposition nicht von dem verständigt, was zu ihrer Kenntnis gekommen ist. Wie kann sich der Herr Bundeskanzler hier hinstellen und von uns immer wieder eine gemeinsame Außenpolitik in den lebenswichtigen Fragen der Nation fordern, wenn er es da, wo es um deutsche Menschenleben geht, nicht für notwendig erachtet, auch nur die primitivste Pflicht einer Informierung der Opposition zu erfüllen? Auf einer solchen Grundlage ist eben keine gemeinsame Politik möglich; denn dazu gehört für mich zunächst die gemeinsame Unterrichtung.