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    Deutscher Bundestag 154. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Juni 1951 6105 154. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 20. Juni 1951. Geschäftliche Mitteilungen 6106B, 6129B, 6132C, 6139C Eintritt des Abg. Dr. Hoffman (Lübeck) in den Bundestag 6106C Beschlußfassung des Bundesrats zum Gesetz über eine Bundesbürgschaft für Kredite zur Finanzierung über Lebensmittelbevorratung 6106C Gesetz zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes und des Beförderungsteuergesetzes 6106C Gesetz über eine Bundesbürgschaft zur Abwicklung von Saatenkrediten für die Ernten bis zum Jahre 1949 6106C Ergänzung der Tagesordnung 6106C Beratung der Interpellation der Fraktion der CDU/CSU betr. Fall Kemritz (Nr. 2345 der Drucksachen) in Verbindung mit der Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Verfahren gegen Rechtsanwalt Dr. Kemritz in Bad Homburg (Nr. 2337 der Drucksachen), ferner mit der Ersten Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, FDP, DP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz der persönlichen Freiheit (Nr. 2344 der Drucksachen) sowie mit der Beratung des Antrags der FDP betr. Verfahren gegen Rechtsanwalt Dr. Kemritz, Bad Homburg (Nr. 2359 der Drucksachen) 6106D Dr. Arndt (SPD), Antragsteller . . . 6106D Dr. Weber (Koblenz) (CDU), Interpellant und Antragsteller 6110A Euler (FDP), Antragsteller: zur Sache 6111B zur Abstimmung 6122A Dr. Dehler, Bundesminister der Justiz 6113A Dr. von Merkatz (DP) 6115C Renner (KPD): zur Sache 6116C zur Geschäftsordnung 6121C Dr. Reismann (Z) 6118A Dr. Dr. h. c. Lehr, Bundesminister des Innern 6118D Brandt (SPD) 6119B Dr. Richter (Niedersachsen) (SRP) . 6120D Ausschußüberweisung 6122B. Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, FDP und DP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz der neuen deutschen Filmproduktion (Spielquotengesetz) (Nr. 2336 der Drucksachen) 6122C Dr. Vogel (CDU), Antragsteller 6122C, 6128D Brunner (SPD) 6124C Dr. Mende (FDP) 6127A Ewers (DP) 6128A Ausschußüberweisung 6129A Erste Beratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Überleitung von Lasten und Deckungsmitteln auf den Bund (Zweites Überleitungsgesetz) (Nr. 2326 der Drucksachen) 6129B Ausschußüberweisung 6129B Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung des Art. 108 Abs. 2 des Grundgesetzes (Nr. 2268 der Drucksachen); Mündlicher Bericht des Auwschusses für Finanz- und Steuerfragen (11. Ausschuß) (Nr. 2341 der Drucksachen) 6129C Lausen (SPD), Berichterstatter . . . 6129C Dr. Besold (BP) 6130C, D, 6131D Abstimmungen 6131C, 6132B Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP betr. Wahl von Beisitzern für den Spruchsenat beim Hauptamt für Soforthilfe (Nr. 2339 der Drucksachen) 6132C Beschlußfassung 6132D Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geld und Kredit (12. Ausschuß) über den Antrag der Fraktion der KPD betr. Gebührnisansprüche ehemaliger deutscher Kriegsgefangener in Norwegen (Nrn. 2313, 828 der Drucksachen) 6132D Merten (SPD): als Berichterstatter 6133A als Abgeordneter 6134C Kohl (Stuttgart) (KPD) 6134A Ausschußüberweisung 6135A Beratung des Berichts des Ausschusses für Verkehrswesen (27. Ausschuß) über den Antrag der Abg. Mehs, Kemper u. Gen: betr. Wiederaufbau des Pleiner Viaduktes (Nrn. 2324, 2067 der Drucksachen) . . 6135A Beschlußfassung 6135B Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Verkehrswesen (27. Ausschuß) über den Antrag der Fraktion der DP betr. Fahrpreisermäßigung für Freiwillige des Internationalen Zivildienstes (Nrn. 1929, 1891 der Drucksachen) . . . 6135B Cramer (SPD), Berichterstatter . . . 6135C Beschlußfassung 6136B Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Berlin (9. Ausschuß) über den Antrag der Fraktion der WAV betr. Sitzungen des Deutschen Bundestages in Berlin (Nrn. 2322, 1963 der Drucksachen) 6136C Brandt (SPD), Berichterstatter . . . . 6136C Kaiser, Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen 6137D Loritz (WAV) 6138D Beschlußfassung 6139A Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen betr. Verkauf eines Teilgeländes der ehemaligen Munitionsanstalt in Moelln an die Moellner Textilwerke GmbH (Nr. 2343 der Drucksachen) . . 6139A Ausschußüberweisung 6139 C Nächste Sitzung 6139C Die Sitzung wird um 14 Uhr 1 Minute durch den Präsidenten Dr. Ehlers eröffnet.
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    Rede von Dr. Thomas Dehler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung stimmt mit den Antragstellern und mit den Interpellanten in der Bewertung des Falles Kemritz und des Verhaltens der amerikanischen Stellen im Zusammenhange mit dem Fall Kemritz durchaus überein.
    Die Interpellanten fragen, was die Bundesregierung unternommen hat, um Kemritz vor deutsche Gerichte zu ziehen. Von dem verbrecherischen Tun dieses Mannes habe ich Ende September vorigen Jahres erfahren. Eines seiner Opfer war durch einen glücklichen Zufall dem drohenden Schicksal entgangen und hat mir den Sachverhalt in Form einer eidesstattlichen Versicherung mitgeteilt. Ich habe diese Unterlagen sofort dem zuständigen hessischen Justizministerium mit der Bitte um Einleitung eines Strafverfahrens und Unterrichtung über den Fortgang des Verfahrens zugeleitet. Schon am 1. November hat die Staatsanwaltschaft in Frankfurt einen Haftbefehl beim Amtsgericht Frankfurt erwirkt. Aber sofort kam die Gegenwirkung der amerikanischen Stellen. Am 2. November hat das Amt des amerikanischen Landeskommissars für Hessen die Vorlage der Ermittlungsvorgänge gefordert. 'Trotz schriftlicher und mündlicher Vorstellungen der zuständigen Beamten des hessischen Justizministeriums wurde die Herausgabe der Unterlagen gefordert, und dies trotz des ausdrücklichen Hinweises, daß dieser Fall zweifellos und begründetermaßen der deutschen Gerichtsbarkeit unterliegt. Die Unterlagen sind dann am 18. November dem amerikanischen Landeskommissar übergeben worden. Am 21. November wurde vom US-Landeskommissar dem hessischen Justizministerium fernmündlich mitgeteilt, daß die Angelegenheit an ein amerikanisches Besatzungsgericht abgegeben worden sei. Dieses amerikanische Besatzungsgericht hat dann den Kemritz, wie wir hören, gegen eine Kaution von nur 5000 DM aus der Haft entlassen.
    Als ich den Sachverhalt erfuhr, habe ich das hessische Justizministerium gebeten, die Gründe für diese Anordnung des Landeskommissars zu ermitteln. Es kam aber nur die Mitteilung, daß das Amt des Landeskommissars für Hessen für die Übernahme von Strafsachen in die Besatzungsgerichtsbarkeit keine Gründe angebe.
    Ich habe mich dann unter Einschaltung anderer Dienststellen des Bundes im Zusammenwirken mit dem hessischen Justizministerium bemüht, den wirklichen Umfang der Handlungen, der Verbrechen des Kemritz und den eigentlichen Grund der Haltung des amerikanischen hessischen Landeskommissars festzustellen. Das hessische Justizministerium hat erneut bei dem Landeskommissar Vorstellungen erhoben, aber wieder keine Auskunft erhalten. Meine Nachforschungen ergaben, daß Kemritz in weit größerem Umfange, als ursprünglich angenommen wurde, dringend verdächtig war, sich einer Fülle der Verbrechen der schweren Freiheitsberaubung, wie sie Herr Abgeordneter Dr. Arndt hier in jedem Punkt zutreffend gewürdigt hat, schuldig gemacht zu haben.

    (Hört! Hört! bei der FDP.)

    Nach meinen Ermittlungen sind in der Zeit vom Herbst 1945 bis März oder Juli 1946 mit großer Sicherheit 14 Männer — deren „Verbrechen" also nur darin bestanden haben kann, daß sie zusammen mit Kemritz in der Abwehrabteilung des stellvertretenden Generalkommandos III tätig gewesen waren — und 3 Frauen den Sowjetbehörden in der vorher geschilderten Form 'ausgeliefert worden.

    (Zuruf von der FDP: Unerhört!)

    Wahrscheinlich sind aber noch 3 weitere Männer, die im Sommer 1945 in Berlin verschwunden sind, ebenfalls durch die ungeheuerlichen Maßnahmen dieses Kemritz den Russen ausgeliefert worden. Von den genannten Personen sind nur 3 Männer und die 3 Frauen, die teilweise bis zum Frühjahr 1950 in den Konzentrationslagern zurückgehalten worden waren, zurückgekehrt. Wir wissen bestimmt, daß Otto Wernicke, der ehemalige Direktor eines großen Berliner Krankenhauses, im Januar 1946 im GPU-Gefängnis Weißensee zum Tode verurteilt worden ist. Erich Klose ist am 10. Februar 1946 im Lager Hohenschönhausen. Dr. Rieckenberg 1947 und Hans-Jürgen von Hake im Juli 1950 im Zuchthaus Luckau gestorben. Ein weiteres Opfer wird nach unseren Feststellungen in einem Lager der Sowjetzone krank zurückgehalten. Von anderen auf diese fürchterliche Weise verschleppten Personen haben wir keine Nachricht erhalten.
    Ich habe erwogen, ob ich schon auf Grund dieses Sachverhaltes Vorstellungen beim amerikanischen Hohen Kommissar erheben soll. Die Tatsache aber, daß die amerikanischen Stellen erklärt haben, sie hätten von sich aus ein Verfahren gegen Kemritz beim amerikanischen Besatzungsgericht in Berlin anhängig gemacht — ich habe dieses Verfahren für ernsthaft angesehen —, hat mich veranlaßt, zunächst abzuwarten. Ich habe meine Sachbearbeiter persönlich nach Berlin geschickt. Sie haben zusammen mit dem Senator für Justiz in Berlin die Dinge behandelt, und dabei wurde dann festgestellt, daß in Berlin ebenfalls bei der deutscheu Staatsanwaltschaft ein Verfahren eingeleitet war. Wir haben alles unternommen, um dieses Verfahren zu beschleunigen. Wir haben insbesondere aber davon abgesehen, die in Berlin vorliegenden Vorgänge dem amerikanischen Besatzungsgericht zu übergeben. Dieses Verfahren in Berlin ist noch anhängig und wird vom Generalstaatsanwalt in Berlin betrieben. Es ist Anklage gegen Kemritz erhoben und Antrag auf Eröffnung der Voruntersuchung gestellt worden. Die Voruntersuchung ist, wie ich heute telefonisch festgestellt habe, von der Strafkammer des Landgerichts Berlin eröffnet worden. Die Pressenach-


    (Bundesjustizminister Dr. Dehler)

    richt von heute, daß dieses Verfahren ebenfalls durch einen Einspruch der amerikanischen Behörde kupiert worden sei, trifft nicht zu. Das Verfahren schwebt. Richtig ist nur, daß, Wie schon erwähnt wurde, ein Zivilprozeß, und zwar der Schadensersatzprozeß der Witwe von Hake gegen Kemritz, zunächst verboten wurde und daß man gestern von dem Herrn Senator der Justiz in Berlin, Herrn Dr. Kielinger, die Herausgabe der darauf bezüglichen Akten gefordert hat. Herr Dr. Kielinger hat die Herausgabe dieser Akten abgelehnt.

    (Bravo! in der Mitte.)

    Dazu kommt die bereits erwähnte Tatsache, daß das in Frankfurt gegen Kemritz eingeleitete ehrengerichtliche Verfahren, in dem es darum ging, diesen für eine deutsche Rechtsanwaltschaft unerträglichen Mann so rasch wie möglich auszustoßen, kurz bevor die auf den 14. April angesetzte Hauptverhandlung stattfinden sollte, von dem amerikanischen Landeskommissar unterbrochen wurde. Am 2. April hat er dem hessischen Ministerpräsidenten eine Anordnung auf Einstellung des Verfahrens mit der Begründung übersandt:
    Wie sich aus der Anklage ergibt, werden Interessen berührt, die in den Bereich des § 2 e des Besatzungsstatuts fallen. Daher wird gemäß Art. 7 des Gesetzes Nr. 13 der vorgenannte Fall der Zuständigkeit der deutschen Gerichtsbarkeit entzogen, und es wird angeordnet, daß das Verfahren eingestellt wird.
    In der Folge mußten die Akten des Ehrengerichtsverfahrens — auch auf einen Befehl des Landeskommissars — der amerikanischen Besatzungsbehörde ausgehändigt werden.
    Ich kann dem, was der Herr Abgeordnete Dr. Arndt über die Unmöglichkeit und über die rechtliche Unhaltbarkeit dieses Verfahrens gesagt hat, kaum etwas beifügen. Die Evokation der Verfahren durch die amerikanische Besatzungsbehörde stützt sich auf den Art. 7 des Gesetzes Nr. 13 und auf die Gründe, die schon erwähnt worden sind. Inwieweit durch diese Verfahren, besonders durch ein ehrengerichtliches Verfahren oder gar durch einen Zivilprozeß, amerikanische Interessen berührt werden sollen, das ist das Geheimnis der amerikanischen Behörden geblieben. Es wurde nicht einmal der Versuch einer Begründung gemacht.

    (Hört! Hört! in der Mitte.)

    Insbesondere wurde nicht dargelegt, inwieweit
    durch ein Verfahren gegen Kemritz wegen der
    ihm zur Last gelegten Straftaten — darauf kommt
    es doch an: Straftaten, die zu den schwersten
    Verbrechen gegen die Menschlichkeit gehören —
    Interessen der amerikanischen Besatzungsmacht
    berührt werden. Immerhin konnte man noch bis
    vor wenigen Tagen die Hoffnung haben, daß das
    amerikanische Gericht in Berlin unserem Verlangen nach Sühne schwerster Verbrechen Rechnung tragen würde. Aber seit der Bekanntmachung des Rechtsamtes des amerikanischen
    Hohen Kommissars vom 13. Juni 1951, daß das bei
    der amerikanischen Justizbehörde in Berlin anhängige Verfahren gegen Kemritz eingestellt worden sei, ist auch diese Hoffnung verdorben.
    Ich teile in jedem Worte die Kritik des Herrn Abgeordneten Dr. Arndt an dieser Bekanntmachung und an seiner Begründung. Man wird schamrot, wenn man diese doch immerhin in der Diktion eines Juristen gefaßte Begründung liest.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Sie überzeugt mit keinem Worte.
    Vielleicht darf ich in Ergänzung dessen, was die Vorredner gesagt haben, in diesem Zusammenhang noch auf eines hinweisen. In der Bekanntmachung wird davon gesprochen, daß die Opfer des Herrn Kemritz auf Grund der alliierten Verfügungen zwangsläufig der Verhaftung unterlegen seien und daß Herr Kemritz gewissermaßen nur ein gutes Werk getan habe, wenn er diese Leute dem barbarischen Schicksal in der Hand der Russen ausgeliefert habe. Ich habe vergeblich versucht, solche Verfügungen, die ja eine Rechtsgrundlage sein sollen, festzustellen. Es gibt nur eine Direktive Nr. 38 des Kontrollrats über die Verhaftung und Bestrafung von Kriegsverbrechern, Nationalsozialisten und Militaristen und die Internierung, Kontrolle und Überwachung von möglicherweise gefährlichen Deutschen. Sie ist erst am 12. Oktober 1946 ausgefertigt worden, also lange nachdem die Verbrechen des Kemritz geschehen waren. Aber selbst wenn eine solche Verfügung bestanden hätte, dann hätte es nur den normalen, den korrekten Weg eines Ersuchens der zuständigen russischen Stellen an die amerikanische, britische oder französische Militärbehörde um Auslieferung gegeben. Töricht, uns glauben machen zu wollen, es sei notwendig oder auch nur Rechtens gewesen, Menschen in der Form, in der es Kernritz getan hat, tückisch in eine Falle zu locken und dann in die tödlichen Arme der Sowjetbehörden zu treiben.
    Mit Recht ist darauf hingewiesen worden, daß auf jeden Fall ein Widerspruch insofern besteht, als die beiden Opfer des Kemritz Danneberg und Klose schon vorher von den Amerikanern gecleart und dann bedingungslos entlassen worden waren. Soweit jedenfalls die Feststellungen, die uns möglich waren. Aber ganz abgesehen davon, wie will man mit einer solchen Begründung rechtfertigen, daß Kemritz drei Frauen auf diese Weise verschleppt hat,

    (lebhafte Rufe: Hört! Hört! Pfui!)

    drei Frauen, von denen nur zwei Angestellte in der Abwehrabteilung waren, während der dritten bestenfalls der Vorwurf gemacht werden kann, daß sie mit einem Abwehroffizier verheiratet war!
    Die Angabe des Rechtsamtes der amerikanischen Hochkommission, die von Kemritz bei den Verhaftungen geleistete Unterstützung sei legal gewesen, erscheint unhaltbar. Damit entbehrt auch der Hinweis auf das Gesetz Nr. 14 jeder stichhaltigen Begründung. Über die Bewertung des Tuns des Kemritz ist, glaube ich, kein Wort zu verlieren. Es kommt einem einfach grotesk vor, wenn behauptet wird, daß ein Mann wie Kemritz einen wertvollen Beitrag zur Sicherheit des Westens geleistet habe. Die Bundesregierung hat kein Verständnis für die Haltung der amerikanischen Behörden in diesem Falle. Was Kemritz getan hat, ist nach den Bestimmungen des deutschen Strafgesetzbuches schwerstes Verbrechen, wenn nicht Beihilfe zum Mord, dann auf jeden Fall schwere Freiheitsberaubung mit Todesfolge im Sinne des § 239 Abs. 2 und 3 des Strafgesetzbuches, aber auch ein schwerster Verstoß gegen die Gesetze der Menschlichkeit, die doch gerade nach den von den Besatzungsmächten feierlich verkündeten Grundsätzen Gegenstand besonderen Rechtsschutzes sein soll.
    Die amerikanischen Stellen haben in Presseveröffentlichungen der letzten Tage ihr Erstaunen


    (Bundesjustizminister Dr. Dehler)

    geäußert, daß die Deutschen sich über den Fall Kemritz erregen.

    (Lachen. — Abg. Mayer [Stuttgart] : Heilige Einfalt!)

    Ich meine, auch die Siegermächte sollten sich freuen, daß die Kraft der Entrüstung über das Unrecht - ich will hoffen, über jedes Unrecht — im deutschen Volke wieder lebendig ist.

    (Sehr gut!)

    Wenn behauptet wird, die amerikanischen Behorden hätten sich bei uns vergeblich um Material bemüht — auch das ist in den Pressemitteilungen erschienen —, so trifft das nicht zu. Weder an mich noch an die hessischen Stellen sind solche Anforderungen ergangen. Im übrigen ergibt sich aus der zitierten Begründung der Entscheidung des Rechtsamtes, daß dort das Material, auf das sich die Entscheidung des Rechtsamtes stützt, vorhanden sein muß.
    Ich bin der Ansicht: Die im Fall Kernritz von der amerikanischen Behörde vertretene Auffassung ist für uns und für jedes Rechtsempfinden unerträglich. Ich habe heute mittag gegen 12 Uhr mit einem Beamten des Amtes des amerikanischen Hohen Kommissars eine Rücksprache gehabt. Dieser Beamte hat mir erklärt — ich gebe seine Worte wieder —: Kemritz befindet sich nicht mehr in deutscher Jurisdiktion.

    (Hört! Hört!)

    Er hat den deutschen Boden schon verlassen

    (erneute Rufe: Hört! Hört!)

    oder ist wenigstens im Begriff, das zu tun.

    (Anhaltende lebhafte Rufe: Hört! Hört! — Abg. Mayer [Stuttgart]: Unerhört!)

    Der Standpunkt der Bundesregierung dazu: Das deutsche Verlangen nach Sühne der schweren Verbrechen dieses Mannes wird durch eine solche Tatsache nicht berührt.

    (Allgemeiner lebhafter Beifall.)

    Die Bundesregierung stimmt den gestellten Anträgen durchaus zu. Sie wird auf Grund der heutigen Entscheidungen des Bundestages in aller Form gegen die Mitteilung des Rechtsamtes des amerikanischen Hohen Kommissars vom 13. Juni 1951 Verwahrung einlegen und beim amerikanischen Hohen Kommissar vorstellig werden mit dem Ziel, daß die Verfügung des amerikanischen Landeskommissars für Hessen vom November 1950, durch die das Strafverfahren gegen Kemritz der deutschen Gerichtsbarkeit entzogen wurde, und die Verfügung des Landeskommissars vom 2. April 1951, wonach das ehrengerichtliche Verfahren gegen Kemritz eingestellt werden mußte, rückgängig gemacht werden. Die Bundesregierung erwartet auch, daß das in Berlin anhängige Verfahren ungestört weitergeführt wird. Die Bundesregierung wird sich darüber schlüssig machen, ob sie Antrag auf eine Art von Auslieferung des Kemritz stellen wird.

    (Abg. Dr. Schmid [Tübingen] : Das ist doch selbstverständlich!)

    — Ich bin im Augenblick nicht legitimiert, mich dazu zu äußern, aber für meine Person halte ich es auch für selbstverständlich.
    Der hessische Ministerpräsident hat in seiner Eigenschaft als Justizminister Kemritz das Betreten der Gerichtsgebäude verboten und das Verfahren auf Ausschluß aus der Anwaltschaft eingeleitet.

    (Beifall bei der SPD.)

    Die Bundesregierung billigt dieses Vorgehen.

    (Erneuter Beifall bei der SPD, in der Mitte und rechts.)

    Der Fall Kemritz gibt der Bundesregierung auch erneut Anlaß, darauf zu dringen, daß das Gesetz Nr. 13 sobald als möglich aufgehoben wird.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Ein Zustand, wie ihn der Fall Kemritz enthüllt hat, darf nicht andauern, wenn nicht der Gedanke der Rechtsstaatlichkeit in Deutschland schwersten Schaden nehmen soll.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien und bei der SPD.)



Rede von Dr. Hermann Ehlers
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. von Merkatz. — Meine Damen und Herren, ich darf unterstellen, daß das Haus mit der vom Ältestenrat vorgeschlagenen Gesamtaussprachezeit von höchstens 90 Minuten einverstanden ist.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Hans-Joachim von Merkatz


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine politischen Freunde billigen die Erklärung des Herrn Justizministers. Sie enthält alle wichtigen Gesichtspunkte, und die von der Bundesregierung in dieser Sache vorgesehenen Maßnahmen befriedigen uns.
    Meine politischen Freunde legen Wert darauf, daß. aus den Taten eines verwerflichen Subjektes keine politische Sensation gemacht wird. Aber an diesem Falle ist etwas sehr Grundsätzliches, dessen Bedeutung wir unterstreichen. Es handelt sich jetzt bereits um eine Reihe von Übergriffen, die gerade in diesem Zeitpunkt als besonders beunruhigend angesehen werden müssen.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Wir sind der Auffassung, daß wir gerade jetzt nicht zu einer Entwicklung kommen dürfen, die zu einer Art Kraftprobe zwischen dem Besatzungsregime und dem deutschen Regime ausartet. Wir legen aber Wert darauf, daß diese Fälle, von der Regierung mit der notwendigen Entschiedenheit und Kraft durchgestanden werden. Denn es geht hier um ein Stück politischer Aufrichtigkeit, um eine Klarheit, die aus moralischen und rechtlichen Gründen unter allen Umständen erreicht werden muß.
    Deutschland ist kein Vakuum mehr, von dieser Tatsache müssen auch die Besatzungsmächte Notiz nehmen.

    (Sehr richtig! bei der DP und in der Mitte.) Diese Fragen dürfen nicht im unklaren bleiben. Wenn sie zweideutig bleiben, lehnen meine politischen Freunde es ab — ich sage das in vollem Bewußtsein der Verantwortung —, unsere politische Tätigkeit wie bisher fortzusetzen.


    (Bravo! in der Mitte.)

    Diese harte Konsequenz muß gezogen werden. Wir fordern eine Bereinigung des politischen Raumes, in dem wir uns bewegen.
    Deutschlands Tragödie ist eine Tragödie des Rechts gewesen. Wir wollen unsere Zukunft auf ein gesundetes Recht aufbauen. Jedes Entstehen einer künftigen, den Frieden sichernden Zusammenarbeit ist darauf gegründet, daß eine internationale Ordnung geschaffen wird, die alles das, was uns in diesem abendländischen Bereich der Verteidigung wert ist, wahrhaft sichert, die sichert, daß ein sauberer, klarer und gewisser Geist alle Teile dieser Völkerrechtsgemeinschaft miteinander verbindet.

    (Sehr richtig! bei der DP und in der Mitte.)



    (Dr. von Merkatz)

    Aus diesem Grunde wünschen wir, daß der Fall Kemritz dazu beitragen möge, eine Reinigung des Rechtsgefühls auf allen Seiten zu erzielen.
    Der Fall ist unter dreierlei Gesichtspunkten zu betrachten: er hat eine politische, eine rechtliche und eine moralische Seite. Zur politischen Seite hat Herr Kollege Arndt Grundsätze aufgestellt, die wir voll und ganz billigen. Wir erwarten aber auch, daß diese Grundsätze im innerdeutschen Leben mit dem Ernst und der Entschiedenheit beachtet werden, die sie verdienen.

    (Sehr gut! bei der DP.)

    Zur rechtlichen Seite haben meine politischen Freunde zu bemerken, daß bereits nach dem gegenwärtigen Besatzungsstatut ein Eingriff in die volle deutsche Gerichtshoheit so, wie er geschehen ist, nicht zulässig ist. Wie haben in viererlei Beziehung das Verfahren zu bewerten: einen Zivilprozeß, ein Pfändungsverfahren des Finanzamtes, ein Ehrengerichtsverfahren vor einer Anwaltskammer und schließlich das Strafverfahren.
    Ich beginne mit dem Strafverfahren. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß die von Kemritz begangenen oder ihm zur Last gelegten Taten nach deutschem Recht strafbar sind. Zweitens das ehrengerichtliche Verfahren: Der Eingriff in das ehrengerichtliche Verfahren kann nur unter Beugung des Rechts geschehen, wenn er auf den Vorbehalt 2 e des revidierten Besatzungsstatuts gestützt werden sollte. Hier ist Klarheit zu schaffen, und wir erwarten von der Bundesregierung — ich darf hiermit einen Antrag meiner Fraktion ankündigen —, daß von der Alliierten Hohen Kommission Garantien gefordert werden, damit die politischen Generalklauseln des Besatzungsstatuts nicht in einer derartigen Gesetzesverkehrung Anwendung finden. Wir erwarten ferner, daß die Aufhebung des Gesetzes Nr. 13, dessen Aufhebung nach dem revidierten Besatzungsstatut verlangt werden kann, unverzüglich von der Bundesregierung beantragt wird.

    (Bravo! in der Mitte.)

    Schon nach dem gegenwärtig geltenden revidierten Besatzungsstatut läßt sich nur unter Verkehrung der wahren Tragweite des Vorbehalts 2 e ein Eingriff in die volle deutsche Gerichtshoheit rechtfertigen. Die gleichen Gesichtspunkte gelten für den Zivilprozeß und das Pfändungsverfahren.
    Die moralische Seite möchte ich nicht durch allzu schreiende Farben bagatellisieren. Es gibt moralische Untaten, die man möglichst schlicht und nüchtern kennzeichnen soll, um ihre Verwerflichkeit deutlich zu machen. Meine politischen Freunde sind der Auffassung, daß es auf jeden Fall moralisch verwerflich ist, sich zum Büttel der Besatzungsmacht zu machen,

    (Beifall bei der DP und in der Mitte)

    ganz gleichgültig, welcher Anlaß dem zugrunde gelegen haben mag. Wir lehnen es ab, irgendeinem Kollaborateur der Vergangenheit oder der Gegenwart die Hand zu reichen. Was wir brauchen, ist die Kooperation, d. h. ein Handeln, das seinen Gewissensmaßstab ausschließlich — allein und eindeutig — aus der deutschen Rechtssphäre, aus dem deutschen Gewissen, aus der deutschen Verantwortung trägt. Wir sind damit der Auffassung, daß dieser Fall voll durchgestanden werden muß und dazu beitragen möge, die Atmosphäre zu reinigen, klare und deutliche Grundsätze einer sauberen Zusammenarbeit zwischen der deutschen und der Besatzungssphäre herzustellen.
    Ich bin leider genötigt, am Schlusse meiner Darlegungen eine Verwahrung auszusprechen. Herr Kollege Arndt hat nicht nur gegen die Freie Demokratische Partei, sondern auch gegen uns eine Verdächtigung ausgesprochen, der der Beweis fehlt und die dazu beiträgt, die Einmütigkeit — und wir sind doch in diesen Fällen wirklich einer einmütigen Auffassung — in ihrem Eindruck vor der Öffentlichkeit abzuschwächen. In einer Demokratie ist es nicht möglich, daß ein Teil dem anderen die Legitimation abspricht, zu einer gemeinsam berührenden Frage Stellung zu nehmen. Es gibt nicht Demokraten erster, zweiter und dritter Klasse, sondern es gibt letzthin nur eine einheitliche Demokratie zu gleichen Rechten. Wir lehnen es ab, uns hierüber in eine Polemik einzulassen, und möchten dem Herrn Kollegen Arndt auf diesem Gebiet eine Beachtung- der von ihm selbst so klar und sauber aufgestellten Grundsätze anempfehlen.

    (Sehr gut! und Beifall bei der DP und in der Mitte.)