Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich freue mich außerordentlich über die einheitliche Meinung, die sich bisher in diesem Hause über die absolute Notwendigkeit dargetan hat, daß Lasten, wie sie das Schicksal den Flüchtlingen in Deutschland auferlegt hat, von allen gemeinsam getragen werden müssen, soweit sie eben im Augenblick in Deutschland getragen werden können. Ich hätte allerdings gewünscht, daß auch von seiten der Regierung ein Wort zu diesem Problem gesagt worden wäre. Denn, meine Herren und Damen, es handelt sich ja hier um die allertragischste Kriegsfolgeerscheinung. Wenn es heute, 6 Jahre nach Beendigung des Krieges, noch möglich ist, daß aus einem Teil Deutschlands täglich Menschen fliehen müssen, aus Angst um ihr Leben, um ihre Freiheit, um ihre Gesundheit, dann, glaube ich, ist das ein Zeichen für die Schwere der Kriegsfolgen, die wir heute zu tragen haben, wie es schlimmer überhaupt nicht gedacht werden kann.
Es ist ganz klar, daß das Los dieser Flüchtlinge das
gleiche ist, ob sie nach Berlin oder ob sie nach
Westdeutschland kommen. Aber es ist ebenso
selbstverständlich, daß die 2-Millionen-Stadt Berlin,
die unter der Spaltung, unter den Gefährdungen
der Ostzone, von der sie umgeben ist, täglich zu
leiden hat, mit diesem Problem nicht allein fertig
werden kann. Denn wie sieht es in der Tat aus?
Jede politische Maßnahme im Osten, ob es sich um
irgendeine Abstimmung oder um Vorgänge dreht,
wo Menschen den Mut haben, nicht unehrlich zu
sein, ob es sich um den Zwang dreht, die Kinder
in die Ostschulen zu schicken und sie dort der
ganzen Tragödie dieser Schulen preiszugeben, ob es
sich um Enteignungen oder politische Verfolgungen
dreht, ob es sich darum dreht, daß die Männer gegen ihren Willen nach Aue verpflichtet werden, immer wirkt es sich in der Zahl der nach Berlin und natürlich auch nach dem Westen kommenden Flüchtlinge aus. Nicht nur haben wir bis Ende März dieses Jahres über 142 000 Flüchtlinge in Berlin zu verzeichnen gehabt, sondern auch im April und im Mai sind es jeweilig über 4000 Menschen — Männer, Frauen, Kinder, Jugendliche —, die täglich nach Berlin kommen. Nun soll dieses Berlin — ohne landwirtschaftliches Hinterland, denn es ist ja doch so, daß wider alles Recht in den letzten Monaten Berlin immer noch wieder Güter weggenommen worden sind, die zu West-Berlin gehörten —, nun soll dieses Berlin mit seinen wirtschaftlichen Schwierigkeiten, ohne Landwirtschaft und umgeben von den sowjetischen Grenzen, nun soll dieses Berlin mit seinen Währungsschwierigkeiten mit diesem Problem fertig werden.
Es ist, ich glaube, schon von Herrn Dr. Tillmanns darauf hingewiesen worden, daß wir in Berlin gezwungen waren, härtere Bestimmungen für die Anerkennung politischer Flüchtlinge zu erlassen. Das ist ein Unrecht gegen diese Menschen. Denn es ist ganz selbstverständlich, daß die Flüchtlinge genau so gleich behandelt werden müssen, wie auch ihr Schicksal das gleiche ist. Aber Berlin war nicht in der Lage, es zu tun. Denn wie sollen wir mit unserer Arbeitslosigkeit auch nur annähernd diesen Menschen helfen können? Denn wir wissen, daß wir von der Zahl von 300 000 Arbeitslosen— obgleich wir rund 50 000 Arbeitsplätze neu geschaffen haben — infolge dieses Zustroms aus dem Osten nicht herunterkommen. Unter diesen Flüchtlingen sind die Arbeiter, die Angestellten, die Landwirte, die Selbständigen, die in Berlin keine Arbeit finden hönnen, und da sind die Jugendlichen ohne Angehörige, die nun allein dastehen in der größten Großstadt Deutschlands mit ihren ungeheueren Trümmern, mit ihren Ruinen, mit der ganzen Gefahr, meine Herren und Damen, die sich immer wieder in den furchtbarsten Ereignissen ausdrückt — ich erinnere Sie an die Zeitungsmeldungen in der letzten Zeit —, die sich immer gerade in diesen Ruinen abspielen.
Von diesen 142 279 Flüchtlingen, die bis Ende März nach Berlin gekommen sind, sind ganze 11 200 nach Westdeutschland abgeflogen worden, d. h. 8 %. Deshalb ist es notwendig und begrüße ich es, daß die großen Parteien dieses Hauses — und ich hoffe, daß sich alle anderen Parteien anschließen werden — bereit sind, durch Einschluß in die Flüchtlingsverordnung bezw. in die Ausführungsverordnungen eine gemeinsame Arbeit für die Flüchtlinge zu leisten.
Trotzdem, meine Herren und Damen, dürfen wir darüber nicht im unklaren sein, daß wir die Not der Flüchtlinge dadurch noch nicht beheben. Ich möchte auch von dieser Stelle aus und gerade im Hinblick auf Ausführungen, die wir in der vorigen Woche bei der Frage des Bundesaufsichtsamts für Privatversicherung gehört haben, noch einmal sagen, daß wir darüber hinaus alles tun müssen, um Berlin wieder in den Stand zu setzen, seine Menschen zu ernähren; denn dann können wir den Flüchtlingen auch ganz anders helfen.
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Darüber hinaus müssen wir, wie wir es ja im Europarat bereits getan haben, dafür sorgen — Herr Präsident Spaak, der vor kurzem von diesem Platz gesprochen hat, hat es auch in seinem Bericht
von seinem Besuch in Westdeutschland ausdrücklick ausgeführt —, daß den Flüchtlingen auf internationaler Basis geholfen wird. Denn dieses Problem ist kein Berliner Problem, ist kein deutsches Problem, sondern ein europäisches und ein internationales Problem.