Rede von
Walter
Brookmann
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der dem Hohen Hause vorliegende Initiativgesetzentwurf der CDU/ CSU, SPD und FDP entspringt einem dringenden Bedürfnis, um nicht zu sagen: einer zwingenden Notwendigkeit. Lassen Sie mich das kurz begründen!
Das Land Berlin kann auf einer Fläche von rund 500 Quadratkilometern nicht ständig einer wachsenden Zahl von Bewohnern der Ostzone, die in Berlin wegen politischer Verfolgung Asyl suchten, Unterkommen und Arbeit geben. Der Kollege Dr. Tillmanns hat bereits die Zahl von- 80 000 Flüchtlingen aus der Sowjetzone genannt — eine mehrfach geprüfte Zahl —, die sich in Berlin befinden. Fast alle diese Menschen sind arbeitslos, und für alle besteht kaum Hoffnung, in Berlin jemals Arbeit und Brot zu finden. Monatlich beantragen rund 4 000 Menschen die Aufnahme in Berlin, von denen bisher rund ein Viertel bis ein Drittel als politische Flüchtlinge anerkannt werden konnten. Vergleichsweise sei angeführt, daß in Gießen und Uelzen, den Flüchtlingsdurchgangslagern, monatlich durchschnittlich rund 9 000 Zuwanderer aus der Sowjetzone die Notaufnahme begehren. Annähernd einem Viertel von ihnen wurde bisher Notaufnahme gewährt.
Berlin bemüht sich seit längerer Zeit, von den dort zusammengeströmten Flüchtlingen entlastet zu werden. Es wünscht einen Flüchtlingsausgleich mit dem Bundesgebiet; und dieser Wunsch ist unbedingt berechtigt, da Berlin nicht mit Flüchtlingen überfüllt werden kann, ohne in seiner Gesamtsituation — und das scheint mir besonders wichtig zu sein — so gefährdet zu werden, daß es seine politische Aufgabe als vorgeschobenes Land, als zwölftes Land der Bundesrepublik nicht mehr erfüllen kann. Ein solcher Flüchtlingsausgleich ist jedoch ohne Einbeziehung Berlins in das Notaufnahmegesetz vom 22. August 1950 einfach nicht möglich.
Auch in Berlin ist zwar die Aufnahme von Flüchtlingen aus der Sowjetzone gesetzlich geregelt. Da Berlin aber noch nicht in aller Form zwölftes Land der Bundesrepublik ist, hat die Anerkennung in Berlin noch nicht die Folge, daß der dort anerkannte Flüchtling zugleich auch im Bundesgebiet die Notaufnahme zugebilligt bekommt. Er muß sie nach seiner Abwanderung in das Bundesgebiet immer erst noch in den Durchgangslagern Uelzen oder Gießen beantragen. Allein hieraus ergeben sich vielerlei Schwierigkeiten, weil die in Berlin geltende gesetzliche Regelung von der des Bundesgebietes verschieden ist. In Berlin erfolgt eine Anerkennung als Flüchtling nur wegen unmittelbarer Bedrohung an Leib, Leben oder Freiheit. Im Bund können auch andere zwingende Gründe zu einer Notaufnahme führen. Für einen Flüchtling, der die Notaufnahme im Bund erhalten hat, ist es von größerer Bedeutung, ob er wegen einer unmittelbaren Bedrohung oder aus sonstigen zwingenden Gründen aufgenommen wurde. Im ersten Fall hat der Betreffende nämlich steuerliche Vergünstigungen und, falls er Angehöriger des öffentlichen Dienstes war, die Möglichkeit, wieder in den öffentlichen Dienst zurückzukehren bzw. eine Pension oder eine Rente zu erhalten. Allein diese unterschiedlichen Rechtsfolgen machen ein völlig einheit-
liches Aufnahmerecht und eine ebenso einheitliche Aufnahmepraxis in der Bundesrepublik und in Berlin notwendig.
Diese kann aber nur durch die Einbeziehung Berlins in die Geltungsbereiche des Notaufnahmegesetzes vom 22. August 1950 erreicht werden. Hierdurch würde auch zugleich die notwendige Entlastung Berlins — und das scheint mir das Entscheidende zu sein — erzielt. Nach Einbeziehung Berlins in das Notaufnahmegesetz würde neben den Lagern Uelzen und Gießen in Berlin ein drittes Lager als Notaufnahmelager errichtet werden müssen. Das Aufnahmeverfahren würde vom Bundesminister für Vertriebene gelenkt werden. Ein von diesem Ministerium bestimmter Verteilungsleiter würde nach einem vom Bundesrat festgesetzten Verteilerschlüssel die in Berlin anerkannten politischen Flüchtlinge auf die Länder der Bundesrepublik und auf Berlin aufteilen. Berlin würde hiermit automatisch eine größere Entlastung erfahren, und die Länder der Bundesrepublik hätten die Gewißheit, daß in Berlin nach genau dem gleichen Recht und genau der gleichen Praxis verfahren wird, wie es in Uelzen und Gießen bisher geschieht.
Hierzu lassen Sie mich bitte noch bemerken, daß in den in Berlin tätigen Aufnahme- und Beschwerdeausschüssen auch Vertreter aller Länder der Bundesrepublik sitzen würden. Die Ausdehnung des Notaufnahmegesetzes auf Berlin ist somit eine Lösung, die neben der notwendigen Entlastung der Stadt auch eine Vereinheitlichung des Rechts und der Praxis bringt und damit viele sich heute aufzeigende Notstände und Schwierigkeiten wesentlich mildern würde.
Das Hohe Haus, meine Damen und Herren, hat heute wieder einmal Gelegenheit, in aller Einmütigkeit seine Hilfsbereitschaft für Berlin zu beweisen. Ich darf Sie entsprechend dem Vorschlage meines Kollegen Tillmanns bitten, dem Gesetzentwurf heute in erster, zweiter und dritter Lesung Ihre Zustimmung nicht zu versagen.