Rede von
Dr.
Otto Heinrich
Greve
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Ich habe von dem Kollegen Strauß gesagt bekommen, daß das, was ich gesagt habe, eine glatte Verdrehung sei, und ich habe dem Kollegen Strauß darauf geantwortet: darin ist er mir über. Das wiederhole ich auch, wenn mir vorgeworfen wird, daß das, was ich sage, eine Verdrehung sei, während es keine Verdrehung ist. Denn auf das, was der Herr Bundesfinanzminister gesagt hat, ist ja auch durch Zwischenrufe — ich erinnere an den Kollegen von Rechenberg — in genau der gleichen Weise reagiert worden. Ich habe daher keine Veranlassung, von dem, was ich eben gesagt habe, etwas zurückzunehmen.
Meine Damen und Herren! ,Ich bin in der sehr seltenen, aber in diesem Falle erfreulichen Situation, mich in völliger Übereinstimmung mit dem Sprecher einer der Regierungsparteien, mit dem Herrn Kollegen Höpker-Aschoff zu befinden.
— Ob das bezeichnend ist oder nicht, Herr Kollege Seelos, kann Ihnen doch gleichgültig sein. Sie befinden sich hier einmal in Übereinstimmung mit dem Herrn Bundesfinanzminister, den Sie ja sonst gar nicht so sehr schätzen, Herr Kollege.
Ich kann es mir ersparen, auf viele Einzelheiten einzugehen. Was Herr Kollege Höpker-Aschoff hier zum Ausdruck gebracht hat, ist die Auffassung auch meiner politischen Freunde.
Lassen Sie mich aber einen kurzen Rückblick auf das tun, was im Parlamentarischen Rat vor sich gegangen ist, um das zu erklären, was wir heute auf dem Gebiete der Finanzverwaltung in der Bundesrepublik haben. Es ist zweifelsohne richtig, daß das gegenwärtige System der geteilten Finanzverwaltung zwischen Bundesfinanzverwaltung und Länderfinanzverwaltung nicht auf deutschem Boden gewachsen ist.
Das ist aber nicht der einzige Grund, weswegen
wir die ungeteilte Bundesfinanzverwaltung wollen.
Wir wollen die Bundesfinanzverwaltung, weil wir
der Auffassung sind, daß sie die einzig mögliche
Art ist, in Deutschland zu einer einheitlichen Regelung aller derjenigen Dinge zu kommen, die Finanzen und Steuern angehen. Es ist das Verdienst des
ehemaligen Reichsfinanzministers Erzberger, gerade
durch die Einrichtung einer reichseinheitlichen Finanzverwaltung eine Klammer um das damalige Deutsche Reich gelegt zu haben, die lange gehalten hat. Wenn man von dem Bestand der Bundesrepublik ausgeht, würden wir, glaube ich, durch die Zusammenfassung der Länderfinanzverwaltungen zu einer einheitlichen Bundesfinanzverwaltung auch heute wieder eine sehr starke Klammer um diese Bundesrepublik legen. Die Bundesfinanzverwaltung ist nach unserer Auffassung in anderer Weise geeignet, die Grundsätze, die auf dem Gebiete der Finanzen und Steuern vom Bund her durch die Gesetzgebung festgelegt werden, in der Administration durchzuführen, als es gegenwärtig der Fall ist. Wenn der Herr Kollege HöpkerAschoff darauf hingewiesen hat, daß sich heute die Klagen über eine unterschiedliche Handhabung der Grundsätze auf dem Gebiete des Finanz- und Steuerwesens häufen, so wissen wir alle nur zu gut, daß es heute in der Bundesrepublik Steueroasen und Steuerwüsten gibt. Ich glaube, der Herr Bundesfinanzminister weiß selber, wo die Steueroasen und die Steuerwüsten sind.
— Das sind keine Märchen, das sind Tatsachen. Wenn Sie von der Anhörung der Ausführungen des Herrn Finanzministers noch nicht zu dem vorgedrungen sind, was Tatsachen sind, Herr Kollege Horlacher, so kann ich nichts dafür. Ich will hier auch keine Märchen erzählen. Herr Kollege Höpker-Aschoff und ich werden sicher kein Glück mit unseren Küssen haben; denn der Herr Bundesfinanzminister will sich gar nicht küssen lassen,
er will weiterhin das Mädchen bleiben, das hinter Dornenhecken im Verborgenen blüht. Hoffentlich wird er nicht allzu alt dabei, so daß das Mädchen nachher niemand mehr küßt.
Die Momente, auf die hier hingewiesen worden ist, Steueroasen und Steuerwüstem, lassen sich durch keine Redensarten aus der Welt schaffen. Wir wissen auch, daß durch die Art, wie in einzelnen Ländern gerade Steuerpolitik getrieben wird, die steuerstarken Länder immer stärker und die steuerschwachen Länder immer schwächer werden. Das sind Dinge, auf die wir schon im Parlamentarischen Rat hingewiesen haben. Ich selber habe damals gesagt, daß die Finanzverwaltung sich nicht zu einer Brauchtumspflege eignet. Landsmannschaftliche Eigentümlichkeiten in allen Ehren, aber die Finanzverwaltung ist für die Pflege solcher landsmannschaftlichen Eigentümlichkeiten nicht geeignet. Und wenn der Herr Kollege Dr. Höpker-Aschoff mit Recht darauf hingewiesen hat, daß eine Milliarde mehr an Steuern durch eine einheitliche Bundesfinanzverwaltung herausgeholt werden könnte, dann sollten wir dieses Moment in einer Zeit sehr ernst nehmen, in der es wirklich auf jeden Pfennig ankommt und in der der Herr Bundesfinanzminister nicht weiß, wo er diese Pfennige herholen soll, meine Damen und Herren. Ich glaube auch, daß die Tatsache, daß zur Zeit des Parlamentarischen Rates es nicht sachliche, sondern politisch-psychologische Momente gewesen sind, die bei einer Zahl von Abgeordneten den Ausschlag gegeben haben, uns doch zum Nachdenken Anlaß geben sollte. Der Herr Bundesfinanzminister hat darauf hingewiesen, daß er im Jahre 1945 Deutschland einen Dienst erwiesen hat dadurch, daß er Bayern beim Reich hielt —, gut, das erkennen wir an. Wir müssen ihm allerdings auch 6 sagen, und das ist zu gleicher Zeit eine Antwort an den Herrn Kollegen Dr. Laforet: keiner von uns hat damals behauptet, noch will er es heute behaupten, daß es Abgeordnete oder Gruppen von Abgeordneten im Parlamentarischen Rat gegeben hat, die darum gebeten hätten, daß die Besatzungsmächte eingriffen. Eingegriffen haben sie, Herr Kollege Dr. Laforet. Der Finanzausschuß und der Hauptausschuß des Parlamentarischen Rates haben die Bundesfinanzverwaltung beschlossen, und dann hat es eine Reihe von Abgeordneten gegeben, die dieses Eingreifen durch die Alliierten sehr gerne gesehen haben, weil es ihrer politischen Konzeption entsprach, während es unserer politischen Konzeption nicht entsprach. Ich darf in diesem Zusammenhang daran erinnern, daß der Bundesrat, wie er heute ist, seine Existenz dem Umstand verdankt, daß uns auf der anderen Seite die Bundesfinanzverwaltung konzediert worden ist.
Der Bundesrat ist geblieben, und die Militärgouverneure haben die Bundesfinanzverwaltung zerschlagen, meine Damen und Herren. So ist die Wahrheit, und das müssen alle zugeben, die sich der Vorgänge aus der Zeit des Parlamentarischen Rates noch mit der Klarheit erinnern, die notwendig ist, um das Wahre hier wirklich zum Ausdruck zu bringen.
Meine Damen und Herren! Herr Kollege Dr. Laforet hat geglaubt, entgegen dem, was Herr Dr. Höpker-Aschoff zum Ausdruck brachte, sich auf den damaligen Finanzminister des Landes Niedersachsen, Herrn Dr. Strickrodt, beziehen zu sollen. Ich glaube, die Berufung auf diejenigen, die uns als Sachverständige gedient haben, von denen Herr Kollege Dr. Höpker-Aschoff sprach, hat mehr Gewicht, und Sie tun sich und auch Herrn Dr. Strickrodt keinen Gefallen, Herr Kollege Dr. Laforet, wenn Sie ihn zum Zeugen dafür anrufen, daß die Bundesfinanzverwaltung nichts taugt. Wer Herrn Dr. Strickrodt damals angehört hat, ist erstaunt gewesen, wie ein Mann in einer derart schwierigen Frage einen derartigen Eiertanz aufführen konnte, Herr Kollege Dr. Laforet. Anders war es doch in Wirklichkeit nicht. Alle, deren Ansicht für uns von Wert war, ob aus der Industrie, aus der Wissenschaft oder aus der Politik, haben sich für die Bundesfinanzverwaltung ausgeprochen. Selbst die Herren Oberfinanzpräsidenten Aprath und Prugger, glaube ich, taten es.
In diesem Zusammenhang darf ich darauf hinweisen, daß selbst der jetzige Staatssekretär des Bundesfinanzministeriums, Herr Hartmann, zum Ausdruck gebracht hat — das ist in dem Protokoll nachzulesen —, daß die Bundesfinanzverwaltung zweifelsohne den Vorzug vor der Länderfinanzverwaltung verdient, nur — er hat auf die in Süddeutschland vorhandenen politisch-psychologischen Momente hingewiesen —,
um damit zum Ausdruck zu bringen, daß es nicht allein auf sachliche Gesichtspunkte bei dieser Entscheidung angekommen ist, sondern daß auch neben der Sache liegende Gesichtspunkte — insbesondere bei Ihren Freunden, Herr Kollege Strauß — eine Rolle gespielt haben. Und wir erinnern uns noch der Mühe, die sich damals der ehrenwerte Herr Kollege Laforet und Herr Kollege Schlör, der diesem Hause nicht angehört, gegeben haben, um die Länderfinanzverwaltung zu retten. Sie war, wenn es nach dem deutschen Willen gegangen
wäre, nicht zu retten; sie ist nur gerettet worden durch das Eingreifen der Militärgouverneure, die sich damals noch in trautem Einvernehmen befanden und der Auffassung waren, Deutschland müßte gerade durch die Zerschlagung der Bundesfinanzverwaltung niedergehalten werden. Die Herren Gouverneure oder diejenigen, die verantwortlich für die Politik waren, die sie in Deutschland zu vertreten hatten, wußten nur zu genau, was sie mit der Zerschlagung der Bundesfinanzverwaltung taten. Da, wußten sie, liegt der Angelpunkt zur Organisierung Deutschlands, aber nicht im unitarischen Sinne — wir sprechen nicht von Zentralismus —, sondern in einem System, in dem die deutsche Einheit nicht den Ausdruck finden kann, den sie nach unserer Auffassung in einer unitarischen staatlichen Ordnung haben sollte.
Das sind Argumente, meine Damen und Herren, die meine Freunde und mich veranlassen, dem Antrag, den die FDP auf Änderung des Grundgesetzes eingereicht hat, zuzustimmen. Wir lehnen es ab, so lange zu warten, bis nichts mehr zu retten ist. Ich glaube nicht, Herr Finanzminister — Sie haben selbst keine Zahlen genannt —, daß Sie ernsthaft die Auffassung vertreten können, daß die Bundesfinanzverwaltung teurer ist als die Finanzverwaltung, die wir zur Zeit haben. Wenn Sie selbst — um noch einmal darauf zurückzukommen — auf die Vorzüge des Föderalismus mit sehr viel Temperament hingewiesen haben, auf die Vorzüge desjenigen Systems, das Ihrer politischen Konzeption entspricht, nun, Herr Bundesfinanzminister, glauben Sie nicht, daß die Zeit, die zwischen dem Westfälischen Frieden und dem Reichsdeputationshauptschluß gelegen hat, in Deutschland endgültig vorbei ist? In einer Zeit, in der wir über die Grenzen hinwegsehen und Europa neu organisieren wollen, in einer Zeit, in der wir aus der nationalstaatlichen zu einer internationalen Ordnung in Europa kommen wollen, in einer solchen Zeit sollte 'man mit Argumenten, wie sie hier von den Gegnern des Antrags, den die FDP eingereicht hat, vorgetragen worden sind, nicht operieren.
Wir sind aus allgemeinpolitischen, aus finanz-
und steuerpolitischen Erwägungen der Auffassung, daß hier ein Unrecht wiedergutgemacht werden muß, das der Bundesrepublik Deutschland in der Stunde ihrer Geburt zur Zeit des Parlamentarischen Rates angetan worden ist,
und aus diesem Grunde sind meine Freunde und ich gerade im Interesse der einheitlichen Organisierung unseres Staatswesens in der Bundesrepublik der Auffassung, daß es richtig ist, den Antrag der Freien Demokratischen Partei anzunehmen.