Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst für meine Person zu dem Antrag Stellung nehmen. Ich bemerke dabei, daß meine Person nicht nur derzeitiger Bundesminister der Finanzen, sondern insbesondere auch der Abgeordnete des Wahlkreises Passau ist.
Ich bitte, daran zu denken, daß sich der Mensch, der sowohl Bundestagsabgeordneter des Wahlkreises Passau als auch Bundesfinanzminister ist, als völlig harmonisches Ganzes empfindet und mit sich in keinem inneren Widerstreit befindet. Weil aber von den Besatzungsmächten gesprochen worden ist, deren Einwirken das Entstehen des Grundgesetzes zu verdanken sei, darf ich vielleicht daran erinnern, daß der, der hier vor Ihnen steht, seinerzeit, in den entscheidenden Monaten, im Mai 1945, auch bayerischer Ministerpräsident gewesen ist, allerdings nicht aus seinem Willen, sondern gerufen von den Besatzungsmächten. Ich darf daran erinnern, daß damals in den ersten Tagen der Versucher, der in anderen kleinen Teilen Deutschlands mit seiner Werbung dann mehr Erfolg hatte,
an den bayerischen Ministerpräsidenten herantrat und ihn fragte, ob denn Bayern nicht selbständig werden wolle.
Der bayerische Ministerpräsident von damals gab die Antwort: Bayern will das Unglück Deutschlands nicht vergrößern, gerade in der Stunde der Not wolle es seine deutsche Treue beweisen.
Dieses Bayern ist es, das auch in der Frage des Grundgesetzes nicht unter dem Gesichtspunkt seine Stellung bezogen hat, was den Besatzungsmächten gefällt, sondern lediglich unter dem Gesichtspunkt, was seine eigene Überzeugung gewesen ist. Daß dieses Grundgesetz von Bayern nicht etwa deswegen gewünscht und gewollt wurde, weil es den Besatzungsmächten gefallen haben sollte, beweist einfach die Tatsache, daß Bayern dieses Grundgesetz abgelehnt und im bayerischen Landtag gegen das Grundgesetz gestimmt hat. Also ich glaube, damit ist bewiesen, daß ein innerer Zusammenhang zwischen dem Einfluß der Besatzungsmächte und der Stellung meiner bayerischen Heimat zu den Fragen des Grundgesetzes wirklich nicht besteht. Wenn es psychologische Schwierigkeiten zwischen Bayern und dem übrigen Bund gegeben hat, dann deswegen, weil man irrtümlicherweise die Einstellung Bayerns, das nun einmal ein Staat ist
und ein Staatsgefühl hat,
Abg. Dr. Seelos: Bravo!)
verwechselt hat mit einer Untreue gegenüber dem gesamtdeutschen Reichs- oder Bundesgedanken.
Das ist es, was psychologisch die Dinge immer erschwert hat.
Ich darf nach dieser Reminiszenz an etwas anderes, Versöhnliches erinnern, nämlich an ein deutsches Märchen,
an das Dornröschen — ein Märchen! —, und in diesem Märchen spielt ein Mädchen eine Rolle, nämlich die schlafende Prinzessin. Der glückliche junge Prinz wird König im Lande, wenn es ihm gelingt, dieses Mädchen zu küssen;
er muß allerdings durch eine Dornenhecke, und diese erschließt sich nur dem, der zur rechten Stunde und an dem rechten Ort den Weg zu dem Mädchen gesucht hat.
Heinrich Heine — um ein anderes Zitat zu erzählen —
singt in seinen wunderschönen Liedern von der Winterreise im Harz ja auch davon:
Jetzo ist die rechte Stunde,
Und jetzo ist der rechte Ort!
Die Stunde und der Ort müssen für den Erfolg eines Bemühens immer richtig und klug gewählt sein. Wenn ich zu dem Antrag Stellung nehme, dann tue ich es zunächst deshalb, weil ich die Frage aufwerfen will: Ist dieser Antrag in der rechten Stunde gestellt? Kann er infolgedessen in dieser Stunde einen Erfolg haben,
in dieser Stunde, in der Bund und Länder sich bemüht haben, aus den gesamten Schwierigkeiten, aus dem Wirrwarr der Dornenhecken, die das Grundgesetz auf finanzpolitischem Gebiet aufgerichtet hat — rein in dem gemeinsamen Bestreben, aus dem Buchstaben des Gesetzes etwas Vernünftiges, etwas Zweckmäßiges, etwas dem gemeinsamen Wohle Dienendes zu machen —, herauszukommen, und sich zusammengefunden haben? In all den Jahren, seit die junge deutsche Bundesrepublik entstanden ist, sind alle Finanzgesetze und alle Finanzverwaltungsgesetze im Einvernehmen zwischen Bund und Ländern gemacht worden. Es ist ein gewisser Stolz, glaube ich, bei den vernünftigen Kreisen im Volke, wenn es in schwierigen Zeiten, in Zeiten einer unklaren Gesetzgebung gelingt, die Kräfte nicht in unnötigen Konflikten und unnötigen Streitigkeiten zu zersplittern, sondern die gesamte Kraft derer, die nun einmal berufen sind, von irgendeiner Stelle aus für das Gemeinsame zu arbeiten, der wirklichen Arbeit und nicht dem Streit zu widmen.
Ich hätte es als eine innere Befriedigung empfunden, wenn man, solange der ehrliche Wille des Zusammenarbeitens zwischen Bund und Ländern besteht, vermieden hättet um einer geliebten Theorie willen einen Konfliktstoff zwischen denen zu schaffen, die zum Zusammenarbeiten berufen sind und den Willen zur Zusammenarbeit bewiesen haben, gerade in der letzten Zeit bewiesen haben, in der Gesetzentwürfe, von denen viele hier im Hause geglaubt haben, daß sie bei den Beratungen des Bundesrats zu einem Konfliktstoff zwischen Bundesregierung und Länderregierungen werden würden, in einhelliger Übereinstimmung und mit einhelliger Zustimmung geschaffen und vorgelegt werden konnten.
Nun werfe ich eine Frage auf. Es wird bei der Frage Föderalismus—Unitarismus — so muß es heißen — auch in der Öffentlichkeit und in der Presse immer wieder davon gesprochen, daß das eine System teuer und das andere sparsam sei. Ich wundere mich, daß das deutsche Volk so wenig daran denkt, daß wir ein unitarisches System in unserer Generation ja schon reichlich ausgekostet haben.
Es ist das System der Jahre 1933 bis 1945.
Und rein vom Standpunkt der Zweckmäßigkeit und Sparsamkeit aus gesprochen:
Wer kann behaupten, daß die Verwaltung im damaligen gesamten Reichsgebiet billiger und sparsamer gewesen wäre, als sie etwa jetzt im Bundesgebiet ist?
— Ich weiß nicht, was unerhört sein soll,
wenn ich die Tatsache feststelle, daß wir hier schon einmal ein unitarisches Reich gehabt haben.
Ich spreche hier über die Frage der Sparsamkeit. Sie können heute noch die Ausgaben für die Verwaltung in jener Zeit nachrechnen, Sie können die Verwaltungsausgaben des Bundes und der Länder im deutschen Bundesgebiet prüfen, und Sie werden feststellen, daß, wenn man die Kaufkraft des Geldes berücksichtigt, die Verwaltung heute, welche man mit ungefähr 130 DM pro Kopf an Ausgaben berechnen kann, billiger ist, als sie in der Zeit zwischen 1933 und 1945 gewesen ist.
— Meine Herren, antworten Sie mit sachlichen Argumenten; ich höre sie sehr gern. Antworten Sie a auf Zahlen mit Zahlen.
In der Öffentlichkeit wird behauptet, das unitarische System sei sparsamer, sei billiger und deshalb empfehlenswert.
— Ich ziehe die Erfahrung heran!
— Wollen Sie behaupten, daß ich dieses Verbrechersystem dadurch, daß ich die Zahlen gebracht habe, etwa gebilligt und verteidigt hätte?
Wenn Sie das behaupten, dann legen Sie' meine Worte bewußt falsch aus.
Das System hat allerdings sehr stark nach einem Regiment, nach einem Kommando gearbeitet. Wenn Sie nach der Psychologie des Föderalismus fragen, kann ich darauf nur antworten, was ich schon oft gesagt habe: Für die Psychologie des Föderalismus gilt — wenigstens in meiner Heimat
- der Satz: Wir wollen niemanden kommandieren, aber auch nicht selber kommandiert sein. Wir wollen uns in Deutschland vertragen.
Das ist freilich ein Gegensatz von grundlegender Bedeutung. In dem Bemühen, uns zu vertragen, haben wir bisher unsere Arbeit durchgeführt und werden sie weiter durchführen.
Ich frage nur das eine: Wer kann aus der Erfahrung und aus der Geschichte beweisen, daß ein föderativ aufgebautes Land — nehmen Sie die Schweiz oder ein anderes Land — teurer sei als ein unitarisch gelenktes? Weiß man denn in Deutschland überhaupt, wie groß die Zahl der föderativ aufgebauten Länder ist? Will man etwa den Vereinigten Staaten von Amerika nachrechnen, daß ihr föderatives System mit 49 Staaten zu teuer sei und daß sie sich deswegen zu einem unitarischen Reich zusammenschließen sollten?
Meine Damen und Herren, ich bestreite die Behauptung, daß ein unitarisches Reich in seinem Staatsaufbau notwendigerweise billiger sei als ein föderativ aufgebautes.
Der Gegensatz ist ein ganz anderer.
— Ich rede jetzt über den Grundsatz.
— Ich komme schon darauf.
Ich will einmal auf den Grundsatz eingehen, daß die Verwaltung zentral gestaltet werden soll. Bitte, Sie können auch an die Zeit von 1914 bis 1918 denken. Wir hatten damals auch eine Zusammenballung auf wirtschaftlichem Gebiet. Das führte dann oben bei der Zentrale dazu, daß nach Sparten und Departements unterschieden werden mußte. Wir erhalten bei diesem System für ein großes Gebiet zentrale Verwaltungen nebeneinander, die auf bestimmte Lebensgebiete spezialisiert sind. Die Ersparnis, die man durch Beseitigung einer Behörde lokal erreicht, wird durch das, was in der Zentrale an unzweckmäßiger Verwaltung wächst, mehr als ausgeglichen.
Auch diese Erfahrung sollte zu denken geben.
Aber nun zu dem Thema. Ich hatte hier gesagt, daß ich für diesen Antrag besonders die rechte Stunde und den rechten Ort vermisse. Ich glaube, wenn wir uns im einzelnen über die Durchführung unterhalten würden, würde sich herausstellen, daß wir gar nicht weit auseinander sind.
Ich bin der Überzeugung, daß wir uns, wenn wir uns in Ruhe über die Frage unterhalten würden, was notwendig ist, finden würden. Notwendig ist eine Einheitlichkeit in der Handhabung der Gesetze; notwendig ist eine einheitliche Führung der Verwaltung; notwendig ist die Vermeidung von Differenzen, die nicht in der Natur der Sache begründet sind.
Wenn ich aber dieses Ziel in einem friedlichen gegenseitigen Einvernehmen erreichen kann, ist mir dieser Weg wertvoller als der andere Weg; das ist mir lieber als ein politischer Konflikt. Ich glaube auch, die derzeitige Entwicklung im Bund, die Zustimmung der Länder zu den Grundgedanken der Gesetzentwürfe nach Art. 106 und 108 des Grundgesetzes beweist schon das Vorhandensein einer Übereinstimmung zwischen Bund und Ländern darüber, daß der Kampf gegen die Steuerunehrlichkeit, der Kampf für eine Vereinheitlichung und Gleichmäßigkeit in der Verwaltung, der Kampf gegen das Entstehen von Steueroasen, die Anlaß zu Ungerechtigkeiten, zu Neid, Mißtrauen und Mißgunst geben, gemeinsam geführt werden muß, und zwar unter Führung des Bundes. Ich bin persönlich der Überzeugung, daß die Entwicklung, die sich hier anbahnt, dem Bunde das gibt, was der Bund heute in Anspruch nehmen kann und muß. Wenn der Bund auf Grund dieser Gesetze z. B. sein Betriebsprüfungssystem aus bauen muß, so wird der Ausbau dieses Systems — das wissen Sie genau so gut wie ich — nicht mit einem Federstrich geschehen sein. Ich muß vielmehr daran denken, daß das ganze eingeschulte, eingearbeitete Personal, das früher auf diesem Gebiet vorhanden war, sich in der Zwischenzeit in die einzelnen wirtschaftlichen Betriebe hinein verlaufen hat, die in der Frage der Besoldung und dergleichen leistungsfähiger sind als der Staat. Das Personal muß also erst gewonnen, neu geschult und neu herangebildet werden. Wenn der Bund auf Grund der Gesetze das leistet, was heute geleistet werden kann, dann ist dem Rechnung getragen, was derzeit notwendig ist. Das andere würde ich ruhig der Entwicklung überlassen; denn ich bin der Überzeugung, daß diese Entwicklung im gegenseitigen Einvernehmen zwischen Bund und Ländern vor sich geht.
In den vorgesehenen Bestimmungen des Gesetzes nach Art. 106 des Grundgesetzes erblicke ich die Gewähr dafür, daß der Bund beim Vollzug der Gesetze, die durch die Gesetzgebung geschaffen worden sind und für die er dem Volk gegenüber eine politische Verantwortung trägt, für die Einheitlichkeit eintritt. Es fehlt vielleicht das, was man für die Einrichtung der Behörden braucht. Ich muß aber ehrlich sagen: Nachdem ich weiß, daß das praktische Leben ohnehin dazu führt, daß sich die Einstufung und Laufbahn des gesamten Personals ohne gesetzgeberischen Eingriff aus der Wucht der Tatsachen heraus von selbst immer mehr angleicht, bleibt das, was übrig ist — nämlich, ob ich das Recht habe, ein Finanzamt in Sonthofen oder ein Finanzamt in Immenstadt zu errichten —, vollkommen außerhalb des Interessengebietes des Bundes. Das kann dem Bund wirklich gleichgültig sein. Diese Entscheidungen, die stark von regionalen, lokalen und sonstigen Gesichtspunkten mit erwogen und getroffen werden müssen, können ruhig in der Zuständigkeit der Länder bleiben!
Da bei grundsätzlichen Erwägungen die Temperamente hochgehen und da die Lösung einer Frage immer nur gefunden werden kann, wenn temperamentlos und ruhig darüber nachgedacht wird, würde ich vorschlagen, daß wir uns lediglich einmal auf eine Frage konzentrieren. Wir haben heute vormittag gehört, daß von keinem Land, gleichgültig welcher Richtung seine Landesregierung angehört, im Bundesrat eine Zustimmung zu einem Gesetzentwurf erwartet werden darf, der das Grundgesetz ändern und der die Bundesfinanz-
verwaltung plötzlich nicht mit der Entwicklung, sondern gegen die Entwicklung einleiten will. Ist es nun angesichts unserer jetzigen Gesetzgebung und angesichts unserer jetzigen politischen Verhältnisse notwendig, diesen Streit hervorzurufen? Ist es nicht im Interesse beider besser, eine natürliche Entwicklung in schiedlich-friedlichem Einvernehmen des Ganzen herbeizuführen und aus der Harmonie, aus dem harmonischen Zusammenarbeiten zwischen Bund und Ländern ein Gemeinwesen erstehen zu lassen, das dem Wohle des Ganzen zu dienen in der Lage ist? Wenn die derzeitigen Gesetzentwürfe nach Art. 106 und 108 des Grundgesetzes den Weg zu einer Angleichung in der Steuerverwaltung, zu einem Zusammenfassen der Kräfte zur Durchführung eines gemeinsamen Kampfes gegen die Steuerunehrlichkeit ermöglichen, dann bitte ich darum, daß dieser Weg auch gegangen wird, und zwar nicht um der einzelnen Länder, sondern um der Gesamtheit und um des politischen Friedens im deutschen Volke willen. Aus diesem Motiv habe ich gesprochen.
Noch einen Satz zum Schluß. Der bayerische Ministerpräsident des Jahres 1945 hat Deutschland die Treue gehalten und hofft, auch mit der Überzeugung, die er hier vertritt, Deutschland einen Dienst der Treue zu erweisen.