Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für das Gesetz, das wir heute beschließen sollen, werden eine ganze Reihe von Gründen vorgetragen. Bei seiner Einbringung wurde zunächst behauptet, es handele sich um eine Kaufkraftabschöpfung durch die Umsatzsteuer, und diese Kaufkraftabschöpfung müsse wegen der gestiegenen Sozial- und Kriegsfolgelasten in Kauf genommen werden. Eine Kaufkraftabschöpfung durch diese Steuer ist aber tatsächlich nicht möglich. Sie wäre nämlich nur dann denkbar, wenn die Einnahmen aus dieser Steuer nicht sofort wieder ausgegeben würden. Da unser Finanzbedarf aber so groß ist, bedeutet diese Steuer nichts anderes, als daß Geld auf der einen Seite eingenommen und auf der anderen Seite wieder ausgegeben wird. Die Gesamtmasse an Kaufkraft bleibt also völlig die gleiche. Außerdem ist aber die Kaufkraftabschöpfung auch längst über die Preise erfolgt. Die Preissteigerung hat seit Oktober vorigen Jahres bis zum April dieses Jahres 14 Punkte, also rund 10 % betragen. Wenn wir davon ausgehen, daß der private Verbrauch im Jahre 1950 insgesamt 58 Milliarden DM betrug, so hat allein die Preissteigerung eine Einschränkung des privaten Verbrauchs in Höhe von 6 Milliarden DM herbeigeführt. Das Gleichgewicht ist inzwischen im wesentlichen wiederhergestellt. Der letzte Bericht des Bundeswirtschaftsministeriums weist aus, daß die Preisrückgänge die Preiserhöhungen im letzten Monat überstiegen haben. Also mit diesem Argument für die Umsatzsteuer ist es nichts.
Es wird ferner das Argument verwandt, daß die Umsatzsteuererhöhung einen Zahlungsbilanzausgleich herbeiführen solle. Auch dieses Argument ist keineswegs zutreffend. Es ist nämlich nicht so, daß der Devisenanteil der Verbrauchsgüter etwa höher sei als der Devisenanteil der Investitionsgüter. Im Gegenteil, die Verteuerung, die durch diese Steuer eintreten muß, muß notwendigerweise neue Importanreize schaffen, weil nämlich dann die ausländischen Güter billiger sind als die inländischen. Die Verteuerung muß daher die Exportindustrie in ihrer Fähigkeit, ihre Güter auf dem Weltmarkt abzusetzen, stark behindern, erreicht also genau das Gegenteil von dem, was wir volkswirtschaftlich erreichen sollten. Schon aus diesem Grunde ist das Argument unzutreffend; gerade das Gegenteil ist richtig.
Außerdem muß die zusätzliche Teuerung, die als Folge der Umsatzsteuererhöhung eintreten muß, notwendigerweise einen Entsparungsvorgang nach sich ziehen. Es ist eine alte Erfahrung: sobald die Preise steigen, holt jeder den letzten Pfennig aus der Tasche oder von der Sparkasse und fängt an zu kaufen. Dieser Entsparungsvorgang ist genau das Gegenteil von dem, was wir gebrauchen ' können. Die Umsatzsteuererhöhung führt also volkswirtschaftlich zu einer Kapitalverschwendung statt zu einer Kapitalbildung.
Nun hat man uns gesagt, die Umsatzsteuer sei in Deutschland sozial tragbar. Man hat die Theorie vom armen Volk aufgestellt. Deutschland könne als besonders armes Volk nicht um die Umsatzsteuererhöhung herumkommen, weil es bei uns ja keine wohlhabenden und keine reichen Leute gebe. Was ist an dieser Theorie vom armen Volk denn richtig?
Wir können unser Umsatzsteueraufkommen in drei Steuergruppen aufteilen. Die erste Gruppe bilden die Verbrauchsteuern, denen sich jeder entziehen kann, die Tabak-, Kaffee-, Spirituosen- und Biersteuer. Diese Steuern sollen nach dem Steuervoranschlag des Bundesfinanzministeriums im kommenden Jahr 3,4 Milliarden DM erbringen. Die zweite Steuergruppe ist die Gruppe, die zwangsläufig jeden trifft, ob arm, ob reich, ob ein Kind, keine Kinder oder zehn Kinder vorhanden sind. Diese Steuergruppe, die man tatsächlich als unsozial bezeichnen muß, umfaßt Zölle, Mineralölsteuer, Beförderungsteuer und Umsatzsteuer und soll nach den Schätzungen des Bundesfinanzministeriums im kommenden Jahr 8,4 Milliarden erbringen. Und dann kommt die letzte Gruppe der Steuern, die die Wohlhabenden proportional mehr treffen als die Armen und nicht Begüterten: Notopfer Berlin, Lohnsteuer, Einkommensteuer, Körperschaftsteuer, Vermögensteuer und eventuell auch noch Kraftfahrzeugsteuer, obwohl man da zweifeln kann. Diese Steuern erbringen 7,7 Milliarden. Wir sehen also, daß die Belastung der wohlhabenden Schichten oder nicht einmal der wohlhabenden Schichten mit dieser proportionalen Steuer 7,7 Milliarden beträgt, während die Belastung mit zwangsläufigen Verbrauchsteuern, denen sich niemand entziehen kann, 8,4 Milliarden und die Belastung mit Verbrauchsteuern, denen man sich entziehen könnte, 3,4 Milliarden betragen soll. Dieses Verhältnis ist ungewöhnlich ungünstig. Wenn wir es mit den Verhältnissen in irgendeinem anderen Lande vergleichen, werden wir sofort sehen, daß dieses Verhältnis gegenüber Amerika und England in der Tat außerordentlich ungünstig ist. Muß es aber so sein?
Meine Damen und Herren, in den letzten Monaten und Wochen sind die Bilanzen zahlreicher Gesellschaften veröffentlicht worden. Wer sich die Mühe gemacht hat, auf der einen Seite die erzielten Gewinne und auf der anderen Seite die versteuerten Gewinne miteinander zu vergleichen, weiß, daß infolge des Unterschiedes zwischen den fiktiven Steuergewinnen und der realen Reichtumsvermehrung die Besteuerung gerade der hohen Gewinne in Deutschland außerordentlich niedrig ist. Man kann damit rechnen, daß in zahlreichen Bilanzen — ich habe persönlich vielleicht so zehn Bilanzen durchgearbeitet, mehr Zeit hatte ich nicht — die effektive Besteuerung zwischen 20 und 40 % der Reichtumsvermehrung gelegen hat. Das bedeutet aber doch, daß für die Besteuerung der Bezieher großer Einkommen in Deutschland nicht die Steuertarife maßgebend sind, sondern daß unter Berücksichtigung des gesamten Steuersystems, nämlich der Möglichkeit, Absetzungen und Abschreibungen vorzunehmen, die Gesamtsteuerbelastung des Rohgewinns in Deutschland sehr niedrig ist. Hier wäre durch die Hinzurechnung von Abschreibungen, wie sie beispielsweise der Plan des Präsidenten Abs vorgesehen hat, ohne weiteres die Möglichkeit gegeben, entsprechend erhöhte Einkommensteuern zu erzielen.
Deshalb ist es nicht richtig, wenn bei uns immer wieder die Theorie vom armen Volk vorgebetet wird, obwohl es tatsächlich möglich wäre, steuerlich gerechter zu arbeiten. Die Investitionen haben im letzten Jahre 18,7 Milliarden betragen, die Lagervermehrung hat im gleichen Zeitraum einen Wert von über 3 Milliarden erreicht. Dabei sind in der Lagervermehrung nur die Werte angesetzt worden, die die Läger zu Anfang des Jahres hatten, während die erhöhten Preise, die sich infolge der Weltmarktpreisbewegung in den Lägern hätten widerspiegeln müssen, noch nicht einmal berücksichtigt sind. Wir haben also eine effektive Vermehrung an Maschinen und Waren von über 20 Milliarden ohne die Reserve, die noch darin steckt. Diese Vermehrung an Anlage- und Warenwerten hätte wesentlich stärker zur Einkommen- und Körperschaftsteuer herangezogen werden können als mit den nur geringen Beträgen, die die Einkommen-und Körperschaftsteuer bisher erbracht haben.
Von seiten der Industrie ist vorgeschlagen worden, insbesondere die Übergewinne zu besteuern. Der Herr Bundesfinanzminister hat dagegen eingewandt, eine Übergewinnsteuer sei nicht denkbar, weil sie technisch so außerordentlich schwierig sei und weil außerdem die Höchstgrenzen bereits erreicht seien. Diese Erreichung der Höchstgrenzen kommt aber dann nicht in Frage, wenn ich die Übergewinnsteuer auch auf die Hinzurechnung von Abschreibungen und Absetzungen erstrecke, denn in dem Augenblick würde ich praktisch ein außerordentlich verstärktes Aufkommen an proportionalen Steuern bekommen.
Ferner wird uns erklärt, die Umsatzsteuer sei volkswirtschaftlich unschädlich. Meine Damen und Herren, dies ist, glaube ich, der entscheidendste Gesichtspunkt gerade gegen das heutige Gesetz. Die Umsatzsteuererhöhung ist volkswirtschaftlich schädlich, wie kaum eine andere Maßnahme schädlich sein könnte. Es handelt sich praktisch — wenn ich einen Vergleich gebrauchen darf — um die Einführung von Binnenzöllen. Ich darf Sie daran erinnern, daß vor der Schaffung des Deutschen Zollvereins die Waren den Weg durch die verschiedenen Länder scheuen mußten, weil, wenn sie nur ein Land zu passieren hatten, entsprechend
weniger Zoll zu zahlen war. Deshalb wurde der Warenweg nicht nach der kürzesten Entfernung, also nach rationalen Gesichtspunkten, gesucht, sondern danach, wie die Zollbelastung am niedrigsten gehalten werden konnte.
Bei der Umsatzsteuer von heute ist es genau so. Die Umsatzsteuer zwingt die Unternehmungen, sich Vorstufen und Nachstufen anzugliedern, um auf dem Wege über die Ersparnis von Umsatzsteuern zusätzliche Gewinne zu erzielen. Es wird also privatwirtschaftlich lohnend, sich Produktions-und Verarbeitungsvorgänge anzuschließen, während es volkswirtschaftlich außerordentlich schädlich sein kann und eine volkswirtschaftliche Leistung damit überhaupt nicht verbunden ist. Wir zerstören mit einer solchen Umsatzsteuer tatsächlich die Konkurrenzverhältnisse. Wir bringen einen Zwang zur Konzernierung in das Steuerrecht hinein und benachteiligen die Arbeitsteilung, die uns überhaupt erst die Möglichkeit gegeben hat, ein so zahlreiches Volk auf einem so kleinen Gebiet zu ernähren. Damit tun wir genau das Gegenteil dessen, was die Freihändler im vorigen Jahrhundert wollten, die durch die Einführung des Freihandels tatsächlich den ungeahnten Wirtschaftsaufschwung herbeigeführt haben. Durch die Erhöhung der Umsatzsteuer lähmen wir diesen Wirtschaftsaufschwung, weil wir die rationellste Form der Warenverteilung und der Arbeitsteilung innerhalb der Industrie behindern. Deshalb ist diese Umsatzsteuer volkswirtschaftlich so außerordentlich schädlich.
Es kommt hinzu, daß man ja andere Wege hätte. Wir hätten die Möglichkeit, beispielsweise auf dem Wege, den die Investitionshilfe der gewerblichen Wirtschaft gehen will, durch die Einführung einer Nettoproduktionssteuer alle diese volkswirtschaftlichen Schäden zu beseitigen. Wenn wir die Umsatzsteuer nur auf die Werteschaffung im einzelnen Betrieb legten, würde jeder Unternehmer bestrebt sein, möglichst billig zu produzieren, um die Last der Umsatzsteuer nach Möglichkeit zu verringern, und würde darüber hinaus auch bestrebt sein, seinen Betrieb fortschrittlich einzurichten. Das wäre eine Steuer, die die privatwirtschaftlichen Interessen und die volkswirtschaftlichen Interessen koordinierte, während diese Umsatzsteuer es privatwirtschaftlich lohnend macht, was volkswirtschaftlich gesehen schädlich ist, weil es die Arbeitsteilung zerreißt.
Nun, man wird sagen, wenn wir die Umsatzsteuer heute ablehnen, bekommen wir eine Verzögerung, die wir nicht tragen können. Meine Damen und Herren, das ist nicht zutreffend. Das Gesetz über die Investitionshilfe liegt dem Bundeskabinett bereits vor. Wenn wir diesen Gedanken selber durchführen und dabei auch 14 Tage oder 3 Wochen verlieren würden, so wäre das nicht schlimm. Als das Umsatzsteuergesetz eingebracht wurde, hat der Bundesfinanzminister von drän-, gender Finanznot gesprochen. Er hat auch davon gesprochen, daß er fast 4 Milliarden DM Defizit habe. Durch die Verzögerung, die die Finanzgesetze erfahren haben, haben wir glücklicherweise — glücklicherweise, muß ich sagen — die Entdeckung gemacht, daß das Defizit viel geringer ist. Wir hätten also vor zwei oder drei Monaten, als das Gesetz eingebracht wurde, viel zuviel Steuern beschlossen. Es ist somit nur gut, daß sich diese Verzögerung noch eingeschlichen hat.
Ich habe bereits damals gesagt, daß in dem Etat des Bundesfinanzministeriums erhebliche Reserven seien. Jetzt gibt der Bundesfinanzminister auch zu, daß diese Reserven, die ich damals aufgezeigt hatte,
tatsächlich vorhanden gewesen sind. Wir sind ferner der Ansicht, daß wir diesen von der Bundesregierung gemachten Vorschlag nur als eine Maßnahme betrachten können, die bequem ist; es kann aber nicht diejenige sein, die notwendig ist.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie deshalb, sich das Argument, daß die Umsatzsteuer jetzt erhöht werden müsse und daß wir nicht noch vierzehn Tage warten könnten, um eine andere und bessere Form für die Einhebung der Steuer zu finden, nicht zu eigen zu machen, sondern wirklich zu überlegen, ob wir nicht den andern Weg gehen sollen, um Preiserhöhungen, die hier eintreten müssen, zu vermeiden. Wenn wir damit rechnen, daß die Umsatzsteuer eine Preiserhöhung von 12% im Durchschnitt bringt, und wenn wir davon ausgehen, daß der private Verbrauch im letzten Jahr 58 Milliarden DM betrug, dann bedeutet die Umsatzsteuer zusätzlich zu der Teuerung eine Preiserhöhung von über 6 Milliarden DM. Das bedeutet entweder, daß die Preise bezahlt werden können, oder, wenn sie nicht bezahlt werden' können, bedeutet es einen erheblichen Schock für die gesamte Wirtschaft, eine erhebliche Erschwerung der gesamten Wirtschaftstätigkeit, die wir uns ebenfalls nicht leisten können.
Ich bitte Sie deshalb, diesem Gesetz Ihre Zustimmung nicht zu geben.