Ich werde mich so kurz wie möglich fassen. —
Deutschland war nie in der Lage — und ist es heute weniger als je —, ein wirtschaftliches Eigenoder Sonderdasein zu führen. Die Autarkiebestrebungen, wie wir sie z. B. aus der Zeit des Dritten Reiches noch kennen, haben sich bitter genug gerächt. Wir müssen deshalb dankbar alles begrüßen, was uns, wenn auch langsam, so doch schrittweise und sicher wieder zu einer Eingliederung in die europäische und die Weltwirtschaft führt, der politisch heute allerdings auch noch bedeutende Schranken gesetzt sind. Diesen Eingliederungsbestrebungen trägt auch der dem Parlament nunmehr vorliegende Zolltarifgesetzentwurf Rechnung, genau so wie das, was in den Verhandlungen in Torquay beschlossen worden ist.
Wenn wir mit der ständig fortschreitenden Wiedergewinnung unserer staatlichen Souveränität nun gleichzeitig auch auf dem Weltmarkt Schritt halten, unsere Wirtschaft einerseits potentiell steigern wollen, andererseits internationalen Gegebenheiten und Notwendigkeiten anpassen wollen, dann muß heute manches, und zwar nicht nur aus den Zeiten des „Dritten Reiches", aus den hinter uns liegenden zwölf Jahren einer politischen und wirtschaftlichen Häresie, sondern auch sonst zeitlich Überholtes einer Revision unterzogen werden. Die derzeit geltenden Handels- und Zollabkommen in ihrer realen und zeitlichen Begrenzung können nur für ein Übergangsstadium gelten und müssen mehr und mehr durch wirkliche Handelsverträge abgelöst werden, die eine Ermäßigung des allgemeinen Zollniveaus und möglichst umfangreiche beiderseitige Zollherabsetzungen und
5974 Deutscher Bundestag — 149. und 150. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. Juni 1951
-bindungen zum Ziel haben. Schließlich und endlich — das muß auch betont werden — werden wir aber auch im europäischen Raum das Endziel nur in einer umfassenden Zollunion erblicken können, wie sie sich drüben in den Vereinigten Staaten von Nordamerika als eine so eminente Auftriebskraft für die Wirtschaft erwiesen hat.
Der Regierungsentwurf eines neuen Zolltarifgesetzes vom 28. August 1950 bildete das Rüstzeug und die Grundlage für die Beratungen des Außenhandelsausschusses bzw. dessen Zolltarifunterausschusses, der sich in wirklich eingehender, monatelanger Arbeit mit der ganzen Materie und ihrer Problematik, die manchmal sehr stark in Erscheinung getreten ist, befaßt hat. Dem Umstand, daß nicht nur von den Ausschußmitgliedern selber die Dinge beraten und beschlossen worden sind, sondern daß hier auch Fühlung mit Kreisen der Wirtschaft, des Handels und selbstverständlich auch mit Referenten und Sachverständigen der einzelnen Ministerien, und mit Mitgliedern der deutschen Delegation in Torquay genommen wurde, ist es zu verdanken, daß der Delegation in Torquay für ihre Verhandlungen Richtlinien mitgegeben werden konnten, die ihr sehr nützlich gewesen sind. Diesem Umstand ist auch zuzuschreiben, daß heute doch ein Ergebnis vorliegt, das man als etwas Brauchbares und als etwas Akzeptables bezeichnen kann, wenn naturgemäß auch da und dort einmal Opfer gebracht werden mußten und wenn selbstverständlich auch nicht alle Wünsche, die von da oder dort gekommen sind, erfüllt werden konnten. Das Erreichte ist aber zweifellos ein Erfolg und stellt einen weiteren Fortschritt auf dem Wege dar, der die Bundesrepublik auch auf dem Gebiete des Welthandels und unseres Außenhandels wieder als gleichberechtigten Partner in die Reihen der übrigen Nationen führen soll.
Die Europäische Zahlungsunion, das Genfer GATT, die Brüsseler Zollunionsarbeiten, der Schumanplan, der neue Zolltarif und die Ergebnisse von Torquay sind Meilensteine auf dem Weg zur Wirtschaftseinheit und zur wirtschaftlichen Freiheit der Völker Europas, die heute mehr denn je auf Zusammenarbeit angewiesen sind, ohne die w i r nicht leben können und die aber ohne uns auch nur einen wirtschaftlichen Torso darstellen. Diese Erkenntnis hat zweifelsohne auch bei den Zolltarifverhandlungen eine nicht unwesentliche Rolle gespielt. Daß Westdeutschland die Möglichkeit gegeben wurde, auf einer internationalen Konferenz wieder als gleichberechtigter Verhandlungspartner aufzutreten und seine eigenen Wünsche und Vorschläge vorzubringen, daß diese nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern auch beachtet worden sind, das, meine Damen und Herren, zeigt das zunehmende Vertrauen der Welt in uns und zeigt auch den Wunsch nach Zusammenarbeit.
Dabei darf nicht übersehen werden, daß der Zolltarif, der der deutschen Delegation als Verhandlungsbasis gedient hat, als Gesetz überhaupt noch gar nicht vorgelegen hat. Mit Befriedigung dürfen wir deshalb die Anerkennung des Zolltarifs buchen, ferner die Möglichkeit der Exportförderung, die uns durch 2694 Zollkonzessionen gegeben ist. 21 bilaterale Abkommen," die die Bundesrepublik abschließen konnte, sind ein weiterer unbestreitbarer Erfolgsbeweis, desgleichen das Faktum, daß Westdeutschland durch die Aufnahme als Mitglied des GATT seine zoll- und handelspolitische Selbständigkeit erhalten hat und in den Genuß der unbedingten Meistbegünstigung und der in Genf, Annecy und Torquay vereinbarten Zollherabsetzungen und Zollbindungen kommt. Die Bemühungen um den Abbau der Zölle sind um einen wesentlichen und positiven Schritt weitergekommen, wenn auch die Ergebnisse von Torquay und der neue deutsche Zolltarif noch lange nicht alles sind, selbstverständlich noch manche Unvollkommenheiten vorliegen und das Erreichte nur als ein Anfang betrachtet werden soll. Endziel, nicht zugleich aber auch Fernziel — dieser Hoffnung möchte ich ganz besonderen Ausdruck verleihen — ist und bleibt Paneuropa als politische und Wirtschaftseinheit auf förderativer Basis und damit die Überwindung der innereuropäischen Zollschranken überhaupt.
Ich habe entgegen den Ausführungen des Herrn Kollegen Paul das Positive herauszuheben versucht. Abschließend möchte ich idem Hohen Hause empfehlen, dem neuen Zolltarifgesetzentwurf zuzustimmen, möchte aber gleichzeitig bemerken, daß sich meine Fraktion den Ausführungen des Herrn Kollegen Serres anschließt und daß wir der Entschließung der SPD auf Umdruck Nr. 219 nicht beipflichten können,
da eine solche Einschränkung und Bindung uns nicht dienlich erscheint.