Rede von
Dr.
Hermann
Etzel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben uns erlaubt, Ihnen den Änderungsantrag zu § 2 Abs. 1 vorzulegen, wonach diesem die Bestimmung hinzugefügt werden soll:
sofern der Geschäftsbetrieb der Unternehmen
nicht durch die Satzung oder andere Geschäftsunterlagen auf ein Land beschränkt ist.
Wir sind der Auffassung, daß der Aufsicht des Bundesaufsichtsamtes nicht unterliegen können und dürfen: erstens öffentlich-rechtliche Versicherungsunternehmen und zweitens Versicherungsunternehmen, deren Geschäftsbetrieb nach Satzung oder Geschäftsunterlagen anderer Art über die Grenzen eines Landes hinaus nicht ausgedehnt wird. Schon der § 3 des Versicherungsaufsichtsgesetzes von 1931, der unverändert aus dem VerVersicherungsaufsichtsgesetz von 1901 übernommen wurde, bestimmt:
Die Versicherungsunternehmungen werden,
wenn ihr Geschäftsbetrieb durch die Satzung
oder andere Geschäftsunterlagen auf ein Land
beschränkt ist, von Landesbehörden. sonst vom Reichsaufsichtsamt für Privatversicherung beaufsichtigt.
Hier ist also ganz klar der Grundsatz zum Ausdruck gebracht, daß eine Zuständigkeit des Bundesaufsichtsamts dann nicht gegeben zu sein braucht und nicht erforderlich ist, wenn die Versicherungstätigkeit eines Unternehmens nicht über die Landesgrenzen hinausreicht.
§ 4 des Gesetzes von 1931, der ebenfalls fast gleichlautend aus dem Gesetz von 1901 übernommen worden ist, sagte:
Versicherungsunternehmungen, deren Geschäftsbetrieb auf ein Land beschränkt ist, werden vom Reichsaufsichtsamte beaufsichtigt, wenn es das Land beantragt und der Reichswirtschaftsminister anordnet.
Der Reichswirtschaftsminister mußte das natürlich anordnen, wenn und weil eine Reichsbehörde eine Zuständigkeit übernehmen sollte. § 4 bestimmte weiter:
Der Reichswirtschaftsminister kann anordnen, daß Behörden des Landes bei 'der Aufsicht mitwirken und das Verfahren der Aufsichtsbehörde abweichend von diesem Gesetz regeln.
Und nun 'hat dieses Gesetz, das doch in der Weimarer Republik, also in der Zeit einer zentralistischen politischen Gestaltung des deutschen Lebensraums, in Kraft war, weiterhin noch den Fall vorgesehen, daß zwar ein Versicherungsunternehmen über die Grenzen eines Landes hinaus betrieben wird, daß es aber sachlich, örtlich oder dem Personenkreis nach eng begrenzt ist, id. h. sein Geschärft eng begrenzt ist. Für diesen Fall bestimmte der § 4 Abs. 2• folgendes:
Versicherungsunternehmungen, deren Geschäftsbetrieb sich zwar über ein Land hinaus erstreckt, aber sachlich, örtlich oder dem Personenkreis nach eng begrenzt ist, werden von der Behörde 'des Landes beaufsichtigt, wo sie ihren Sitz haben, wenn es 'der Reichswirtschaftsminister im Einvernehmen mit den Regierungen der beteiligten Länder anordnet.
Wir sehen also hier nicht nur in dem Bismarckschen Reich, sondern auch in der zentralistischen Weimarer Republik eine angemessene Berücksichtigung der Interessen der Länder. Wir sehen vor allem eine verständnis- und maßvolle Würdigung der Erfordernisse einer Bundes- und einer Landesaufsicht und eine vernünftige Abgrenzung zwischen den beiden Zuständigkeitsbereichen. Die Reichsaufsicht sollte nur dann tätig werden, wenn es sich wirklich um eine gesamtdeutsche. über das ganze Deutsche Reich ausgedehnte Versicherungstätigkeit handelte. Es blieb dem nationalsozialistischen, dem „Dritten", idem „Tausendi ä'hrigen" Reich vorbehalten, in diese besonnene föderalistische, vernünftige Regelung einzugreifen und sie mit einem Federstrich aus den Angeln zu heben. Das geschah durch die ,sogenannte Keitel-Verordnung von 1943. Diese Verordnung beseitigte jede Zuständigkeit der Lander. Das war dem „Tausend, jährigen Reich" adäquat, es entsprach ihm und seiner Grundkonzeption. Das wunderte uns daher nicht. Daß aber jetzt — im Vierten Reich. hätte ich fast gesagt; ich will sagen: in der Bundesrepublik Deutschland auf eine solche Denkweise zurückgegriffen wird, das allerdings setzt uns sehr in Erstaunen; daß man hier über die wohlberechtigten Interessen der Länder hinwegschreitet und daß
man eine übermäßige Ausdehnung der Zuständigkeit des Bundes über die praktischen, sachlichen, persönlichen und örtlichen Erfordernisse hinaus durchsetzen will. Bayern beispielsweise hat die Keitel-Verordnung außer Kraft gesetzt, und nach Art. 125 des Grundgesetzes ist diese Außerkraftsetzung der Verordnung in Bayern Bundesrecht geworden.
Wir setzen in die besonnene Einsicht dieses Hohen Hauses das Vertrauen, daß es davon Abstand nimmt, auf den Spuren des „Dritten Reiches" zu wandeln.