Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag hat sich bereits in seinen Sitzungen vom 16. Dezember 1949 und 10. Januar 1951 mit der Aufhebung der Immunität des Herrn Abgeordneten Hedler beschäftigt. In Sachen der Durchführung des Strafverfahrens lag nun dem Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität ein Antrag des Oberstaatsanwalts Kiel vom 4. Juni 1951 vor, der über den Landesminister für Justiz von Schleswig-Holstein und den Bundesminister der Justiz an den Bundestag gelangt ist. Der Oberstaatsanwalt in Kiel ersucht den Bundestag, darüber zu entscheiden, ob die Genehmigung zur Vorführung bzw. zum Erlaß eines Haftbefehls gegen den Herrn Abgeordneten Hedler erteilt wird. Diesem Ersuchen liegt folgender Sachverhalt zugrunde.
Zu einem Strafverfahren gegen den Abgeordneten Hedler wegen Beleidigung und anderem war die Immunität durch Beschluß des Deutschen Bundestages vom 16. Dezember 1949 und 10. Januar 1951 aufgehoben worden. Nachdem der Abgeordnete Hedler in erster Instanz freigesprochen war, hat das Revisionsgericht das freisprechende Urteil des erstinstanzlichen Gerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Kiel zurückverwiesen. Im Termin zur Hauptverhandlung am 4. Juni 1951 war der Angeklagte Hedler erschienen. Nachdem sein Antrag, das ganze Gericht wegen Befangenheit abzulehnen, als unzulässig verworfen wurde, lehnte der Angeklagte Hedler den Vorsitzenden des Gerichts wiederum ohne nähere Begründung als befangen ab. Während sich das Gericht über den Antrag des Angeklagten beriet, verschwand Herr Hedler kurz nach 11 Uhr aus dem Gerichtsgebäude, ohne das Gericht oder seinen Verteidiger hierüber in Kenntnis zu setzen oder die Gründe für sein Verhalten bekanntzugeben.
Nachdem die Verhandlung bis 13 Uhr ausgesetzt worden war und der Angeklagte nicht wieder erschien, wurde die Verhandlung bis zum 5. Juni 1951, 9 Uhr 30, unterbrochen. Zu diesem Termin erschien der Abgeordnete Hedler wieder nicht. Da das Verhalten des Angeklagten den Verdacht begründet, daß er sich weiterhin oder erneut der Verhandlung entziehen wird, erscheint dem Gericht der Erlaß eines Haftbefehls gegen ihn geboten.
Zu diesem Antrag ist zu bemerken, daß es nicht Aufgabe des Deutschen Bundestags ist, die Voraussetzungen zum Erlaß eines Haftbefehls zu prüfen. Dies ist Sache des Gerichts. Dem Gericht obliegt die Entscheidung über die Durchführung des Verfahrens und die Anwendung strafprozessualer Maßnahmen. Dagegen kann der Angeklagte die prozessual zulässigen Einwände erheben. Aufgabe des Bundestags ist es, den Weg zu einem ge-
ordneten Verfahren im Rahmen der für alle Staatsbürger gültigen Gesetze freizumachen.
Es handelt sich hier nicht um die Sonderbehandlung eines Abgeordneten, sondern um die Gleichbehandlung des Abgeordneten mit jedem Staatsbürger.
Es ist unzulässig, daß ein Abgeordneter sich selbstherrlich der Vernehmung entzieht und das Gericht aufsitzen läßt. Das entspricht weder der Würde und der Verantwortung des Abgeordneten noch dem Ansehen des Deutschen Bundestags. In einem solchen Verhalten liegt auch eine offensichtliche Mißachtung von Gericht und Gesetz, deren sich ein Abgeordneter nicht schuldig machen darf.
Beachtlich, meine Damen und Herren, sind bei dieser Gelegenheit auch die Kosten des Strafverfahrens. Bei diesem Strafverfahren sind etwa 90 Zeugen geladen, deren Zeit- und Kostenaufwand erheblich ist. Auch nach der Seite kann es nicht zugelassen werden, daß ein Angeklagter einfach davonläuft. Dabei — das darf ich feststellen — ist die Vernehmung eines Angeklagten eine gesetzliche Maßnahme zum Schutz des Angeklagten. Dem Angeklagten soll damit gesetzlich die Möglichkeit zur Verteidigung gegeben werden.
Wie bereits ausgeführt, liegt eine etwaige Verhaftung in der Zuständigkeit des Gerichts. Es handelt sich hierbei um keine Strafhaft. Dem Deutschen Bundestag obliegt nur — und ich wiederhole meine bereits getroffene Feststellung —, die für jeden Staatsbürger zulässigen strafprozessualen Maßnahmen zu ermöglichen.
Namens des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität stelle ich den auf Drucksache Nr. 2302 enthaltenen Antrag:
Der Bundestag wolle beschließen:
Die Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Hedler gemäß Beschluß des Bundestages vom 16. Dezember 1949 und 10. Januar 1951 wird dahingehend erweitert, daß die Genehmigung für alle strafprozessualen Maßnahmen einschließlich der Verhaftung gemäß Artikel 46 Absatz 2 des Grundgesetzes erteilt wird.
Ich beantrage Zustimmung zu diesem Ausschußantrag.