Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit der Vorlage dieses Gesetzes zur Änderung und Vereinfachung des Einkommensteuergesetzes und des Körperschaftsteuergesetzes sind fast drei Monate vergangen. Wir haben dieses Gesetz in erster Lesung am 7. März 1951 besprochen. Die Beratungen im Finanzausschuß hätten wesentlich abgekürzt werden können, und wir hätten uns in zweiter und dritter Lesung wesentlich früher mit diesem Gesetz beschäftigen können, wenn wir nicht immer bei unserem Beratungen durch stets neue Pläne, Vorschläge und Entwürfe auf dem Gebiet des Wirtschafts- und des Finanzrechts gehemmt und unterbrochen worden wären. Meine Damen und Herren, es herrscht ein unedler Wetteifer leider nicht nur bei den zuständigen Ministerien, sondern zwischen allen möglichen unzuständigen Stellen, Kommissionen und Ratgebern der Regierung, uns mit neuen Plänen zu überschütten, weil eine vollkommene Konzeptionslosigkeit auf dem Gebiet des Wirtschafts- und des Finanzrechts herrscht. Das ist leider nicht nur auf wirtschaftspolitischem Gebiet so; das ist auch auf finanzpolitischem Gebiet so.
Wenigstens auf wirtschaftspolitischem Gebiet versucht man, diese Planlosigkeit durch ständig
neue Pläne zu überbrücken. Ich erinnere an das Niederbreisiger Gutachten der Wirtschaftsexperten der Regierungsparteien. Ich erinnere an das Stratus-Gutachten des bundeskanzlereigenen Wirtschaftsministeriums. Ich erinnere auch an das Memorandum der Bundesregierung, das den ominösen Namen trägt: „für stabile Preise und sozialen Lebensstandard".
Wir wissen, daß aus dem Wirtschaftsministerium selbst nur ein einziger Plan hervorgegangen ist: der Plan über die Baby-Bonds, der nicht gerade sehr originell ist, weil er schon im Jahre 1949 in der Verwaltung für Wirtschaft zu den Akten genommen wurde. Das Finanzministerium hat uns im vergangenen Jahre mit dem Vorschlag einer Luxussteuer und einer sehr differenzierten Spesenabgabe die ersten Überraschungen gebracht. In diesem Jahre haben wir uns hier, d. h. das ganze Volk und die Wirtschaft mit den Vorschlägen über eine Süßwarensteuer beschäftigen müssen, die lediglich Beunruhigung in das ganze Volk getragen haben.
Jetzt hat man uns die Pläne für eine Sonderumsatzsteuer vorgelegt, eine Sonderumsatzsteuer, die, wie der Herr Finanzminister immer wieder begründet hat, das Brot der Armen sicherstellen soll. Wie wir jetzt hören, soll auf diese Sonderumsatzsteuer ganz verzichtet werden. Wir sind uns über folgendes klar — jedenfalls sollten wir alle uns darüber klar sein —: daß man ohne ein grundlegendes Wirtschaftsprogramm unter den heutigen Umständen keine Steuer- und keine Finanzpolitik machen kann.
Ich möchte nur auf ein einziges Beispiel für die Hilflosigkeit dieser Bundesregierung hinweisen, nämlich auf die Vorschläge für die Investitionszwangsanleihe, die wir am 7. März bereits im Bundestag gefordert haben. Wir wiesen dabei auf das Beispiel Schwedens hin und sagten: wir brauchen Mittel aus der Wirtschaft für die Wirtschaft, damit wir den Engpaßindustrien — also Kohle, Eisen, Stahl, Energie, Verkehr u. a. — helfen können. Besonders auf dem Gebiete der Kohlewirtschaft ist diese Hilfe dringend notwendig. Wir verlassen uns auch nicht auf die Versprechungen des Bundeswirtschaftsministers, daß wir im kommenden Winter zwar „nicht üppig, aber immerhin ausreichend" Kohlen auch für den Hausbrand haben sollen. Die Finanzpolitik muß hier helfen, und die Investitionsanleihe, so wie wir sie vorgeschlagen haben, wäre eine Aufgabe nicht so sehr für das Wirtschaftsministerium wie für das Finanzministerium gewesen.
Was ist nun in diesen drei Monaten, in denen doch die Notwendigkeit, etwas zu tun, immer dringender geworden ist, geschehen? Trotz unserer Vorschläge, also der Vorschläge der Opposition, trotz der sehr wohl durchdachten Vorschläge des Herrn Abs — ich denke an den sogenannten AbsPlan —, die doch beide die Regierungen aufforderten, eine Initiative auf diesem Gebiet zu ergreifen, trotz der immer dringender werdenden Notstände ist von seiten der Regierung nicht mehr geschehen, als daß die Spitzenverbände der Wirtschaft aufgefordert worden sind, sich nun wegen der Investitionsanleihe zusammenzuraufen. Das ist in unseren Augen, in den Augen der Opposition, eine völlige Bankrotterklärung einer eigenen Wirtschafts- und einer eigenen Finanzpolitik dieser Bundesregierung.
Auf der einen Seite ist man bedenkenlos bereit,
immer wieder neue Belastungen auf den Verbraucher abzuwälzen — ich denke an die Sonderumsatzsteuer, auf die man jetzt anscheinend verzichten will; ich denke an die Erhöhung der Umsatzsteuer —, auf der andern Seite läßt man derartige Anregungen — wie die für die Investitionsanleihe — fallen, verzichtet auf eine eigene Initiative und schaut zu, schaut drei Monate lang zu, wie sich die Spitzenverbände der Wirtschaft so nach und nach zusammenraufen. Ich glaube, bei dem allgemeinen, ich möchte beinahe sagen: schon polizeiwidrigen Ausverkauf des Wirtschaftsministeriums hätte sich auch das Finanzministerium mitbeteiligen sollen, besonders nachdem die Bank deutscher Länder sich schon die besten Dinge weggeschnappt hat.
Vor der Größe dieser Aufgabe, meine Damen und Herren, ist das vorliegende Gesetz — auch in der Fassung, wie wir sie heute beschließen sollen — ein lächerlicher Torso. Ein Teil der Änderungen, die wir beschließen werden, ist längst überfällig und kommt zu spät. Ich denke da an die Beseitigung oder die Einschränkung der sogenannten SiebenerGruppe, also die Einschränkung der steuerlichen Begünstigung der Selbstfinanzierung.
In der Zwischenzeit, nämlich seit dem Tage, an dem wir die Aufhebung dieser Bestimmung gefordert haben — es war im März des vergangenen Jahres —, sind Milliarden fehlinvestiert worden,
sind Milliarden für die Engpaßindustrien verlorengegangen.
Erlauben Sie mir, meine Damen und Herren, daß ich aus dem sogenannten Sonne-Gutachten, das uns allen als eine Drucksache der Bundesregierung zugegangen ist und das über die Eingliederung der Flüchtlinge in die deutsche Gemeinschaft spricht, über die Steuervergünstigungen zur Selbstfinanzierung einen Satz vortrage. Über diese Steuervergünstigungen sagt das Sonne-Gutachten: „Sie bedeuten, daß die tatsächlich bezahlten. höchsten Steuersätze ungefähr 50 vom Hundert betragen. Große Vermögen haben sich gebildet. Die hohen Einkommensgruppen haben relativ weniger zu dem Steueraufkommen beigetragen als ähnliche Gruppen in anderen Demokratien." Das, meine Damen und Herren, ist genau das, was wir im letzten Jahr zur Begründung unserer Anträge, die Siebener-Gruppe schon im Frühjahr 1950 zu streichen, vorgetragen haben.
Die Bundesregierung brüstet sich damit, daß im vergangenen Jahr 20 Milliarden in der deutschen Wirtschaft und in den Jahren seit der Währungsreform 60 Milliarden in der deutschen Wirtschaft investiert worden seien. Gut, — wir freuen uns über dieses Ausmaß an Investierungen, das den Lebenswillen des deutschen Volkes bekundet. Aber es ist eine unerhörte Unterlassungssünde der Bundesregierung, daß sie für eine Lenkung dieser Investierungen auch in die Engpaßindustrien nichts getan hat. Wäre etwas geschehen_ — meinetwegen für die Kohlewirtschaft oder für die Eisen- und Stahlwirtschaft —, dann hätten wir im vergangenen Winter nicht diese Not gehabt, und wir hätten heute nicht die Not, mit der die deutsche Wirtschaft auf dem Gebiete der Belieferung mit Rohstoffen kämpft.
Zu spät, meine Damen und Herren, kommt auch die Beseitigung der §§ 10 a und 32 a über die Begünstigung des nichtentnommenen Gewinnes. Diese Bestimmungen hätten an dem Tage beseitigt werden müssen, an dem die erheblichen Tarifsenkungen durch die Mehrheit dieses Bundestages beschlossen worden sind.
I Zu spät kommt auch die Bestimmung des § 9 a über die Beschränkung der steuerlichen Anerkennung der Geschäftsfreundeausgaben, eine Beschränkung, die wir ebenfalls schon im Frühjahr des letzten Jahres verlangt haben.
Wir überlassen es Ihnen, sich auszurechnen, wie viele Milliarden dem Bund für seine sozialen Aufgaben, für Arbeitsbeschaffungsprogramme, meinetwegen auch zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit, wie viele Milliarden dem Kapitalmarkt zur Pflege der Engpaßindustrien verlorengegangen sind, weil man nicht schon im vergangenen Jahre die Beschlüsse gefaßt hat, die uns nun — zu spät, müssen wir leider sagen — vorgelegt werden.
Die vorgeschlagenen und in der zweiten Lesung verabschiedeten Änderungen betrachten wir nur als ein Flickwerk an diesem Gesetz
gegenüber den großen Aufgaben, die wir zur Änderung dieses Gesetzes vor uns hätten. Darum wiederholen wir — und ich möchte mich auch mit Rücksicht auf Ihre Wünsche kurz fassen — immer wieder die Forderungen, die wir bei den letzten Lesungen dieses Gesetzes und auch bei den anderen Steuervorlagen der Bundesregierung wiederholt vorgetragen haben. Wir dürfen es bei diesem Flickwerk nicht bewenden lassen. Wir brauchen eine grundlegende Steuerreform, oder ich möchte, da das Wort Reform ja nunmehr durch die beiden Frühlingsreformen dieser Bundesregierung geradezu diskreditiert worden ist, lieber sagen: Wir wünschen eine Neuordnung unseres Steuerwesens,
eine Vereinfachung der Erhebung und der Verwaltung der Steuern und einen grundlegenden Tarifumbau. Unser Steuerrecht, vor allen Dingen der Tarif unseres Einkommensteuergesetzes, sollte Rücksicht darauf nehmen, meine Damen und Herren, daß von 22 Millionen Erwerbspersonen in der deutschen Bundesrepublik mehr als 6 Millionen ein Einkommen von unter 100 DM monatlich haben.
Welche Not und welches Elend sich hinter diesen Ziffern verbergen, darüber brauche ich in diesem Hause, glaube ich, kein Wort zu verlieren.
Wir verlangen immer wieder die Neuordnung des Verhältnisses zwischen den direkten und den indirekten Steuern, und darum haben wir zu diesem Gesetz wieder den völligen Tarifumbau verlangt. Ich möchte gerade Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, auf die außerordentlich verdienstvollen Berechnungen und Ausführungen unseres Kollegen Bodensteiner hinweisen, erschienen in der „Welt der Arbeit" vom 8. Mai 1951, von denen ich nur einen einzigen Satz vortragen möchte:
Eine genaue Nachprüfung der Steuereinnahmen ergibt, daß im Jahre 1950 nur 32 % einschließlich der Erbschaftsteuer Steuern vom Einkommen und Besitz waren, während die Steuer vom Verbrauch 63 % ausmacht.
Der Anteil der Steuern vom Einkommen und Vermögen ist im Jahre 1950/51 sogar 7 % geringer als im Jahre zuvor.
Das, meine Damen und Herren, ist eine Steuerpolitik, die dieses Haus auf die Dauer nicht mitmachen dürfte.
Wenn wir auf diese Millionen und aber Millionen von Menschen in Deutschland Rücksicht nehmen, die monatlich weniger als 100 DM zum Leben haben, dann müssen wir das Schwergewicht unserer Steuerpolitik auf die 'direkten Steuern legen und nicht, wie es immer wieder geschieht, auf die indirekten Steuern.
Meine Damen und Herren, wir erwarten vom Bundesfinanzministerium — und das muß im Zusammenhang mit diesem Gesetz gesagt werden — eine viel schärfere Erfassung der direkten Steuern. Es ist ein unerträglicher Zustand, daß die Lohn- und Gehaltsempfänger ihre Steuern auf Heller und Pfennig bezahlen müssen,
während bei den gewerblichen Einkünften in der Regel Hunderte von Ausweichmöglichkeiten bestehen,
so daß, wie das Sonne-Gutachten es uns gesagt hat, bei diesen Einkünften kaum jemals ein Steuersatz von 50 % überschritten wird.
Im vergangenen Jahre, Herr Finanzminister, haben wir die großen Ausfälle aus Ihrer sogenannten Steuerreform gehabt. In diesem Jahre werden wir mit sehr großen Ausfällen auf Grund der Tatsache rechnen müssen, daß die D-Mark-Eröffnungsbilanzen sich auswirken. Es müßte die Aufgabe Ihres Ministeriums sein, jetzt schleunigst die Richtlinien herauszubringen, die für die Aufstellung der D-Mark-Eröffnungsbilanzen notwendig sind. Wir haben uns von unseren Finanzministern aus den Ländern Beispiele erzählen lassen, daß es Unternehmen gibt, die in den D-Mark-Eröffnungsbilanzen Wirtschaftsgüter, meinetwegen Werkzeuge, aktivieren, die sonst nie aktiviert zu werden pflegen. Es gibt dort Betriebe, die Werkzeugkonten auf der Aktivseite der D-Mark-Eröffnungsbilanz eingesetzt haben, die über eine Million betragen. Das sind Wirtschaftsgüter, die sonst in aller Regel schon im Jahre der Anschaffung abgeschrieben zu werden pflegen. Also auf dem Gebiet der Erhebung der Steuern von diesen Steuerpflichtigen könnte wesentlich mehr geschehen, und wir erwarten hier eine ganz andere Initiative des Bundesfinanzministeriums, als sie bisher entfaltet wurde.
Wir verlangen in diesem Zusammenhang auch, wie wir es schon in der ersten Lesung am 7. März als erste hier im Bundestag getan haben, eine Bundesfinanzverwaltung, weil nur sie uns die Gleichheit und Gerechtigkeit der Steuererhebung garantieren kann, ganz abgesehen davon, daß wir wahrscheinlich, schon weil wir Verwaltungsarbeit sparen, Hunderte von Millionen im Jahre durch eine Vereinheitlichung der Finanzverwaltung einsparen können. Wir stehen auch auf dem Standpunkt, daß eine solche Bundesfinanzverwaltung mit einem Bundesbetriebsprüfungsdienst zu verbinden ist, der uns Milliardenbeträge einbringen könnte, wenn die Betriebsprüfungen gleichmäßig und gerecht in allen Teilen des Bundesgebietes durchgeführt werden.
Solange diese Forderungen nicht erfüllt sind, muß jede Reform an diesem Gesetz — das Wort Reform ist vielleicht etwas hochtrabend für die Arbeit, die wir hier leisten — Stückwerk bleiben. In diesem Gesetz lägen die Möglichkeiten für eine soziale Gestaltung unseres Steuerrechts und für eine Gesundung unserer Finanzen. Wir müssen
uns, glaube ich, den Vorwurf machen, daß diese Möglichkeiten nicht wirklich genutzt worden sind. Denn Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, sehen den letzten Ausweg immer in der Erhöhung der indirekten, der unsozialen indirekten Steuern, meinetwegen der Umsatzsteuer oder der Verbrauchsteuern wie für Kaffee, Tee und Tabak, die die Ärmsten der Armen treffen, die gerade auch diese Millionen treffen, die keine direkten Steuern zu bezahlen haben.
— Das Biersteuergesetz ist in disem Zusammenhang, Herr Kollege Wellhausen, wie ich glaube,
nicht so wichtig, da diese sechs Millionen Menschen
mit ihren 100 DM monatlich wahrscheinlich gar
nicht so sehr viel Biersteuer zu zahlen brauchen;
die interessieren sich mehr für die Umsatzsteuer.
Gerade beim Einkommensteuergesetz, meine Damen und Herren, können Sie beweisen, wieweit es Ihnen damit ernst ist, die Worte in der Regierungserklärung, „so sozial wie möglich" handeln zu wollen, wahrzumachen. Schon im letzten Jahre, als wir zu der ersten Steuerreform des Bundesfinanzministers Stellung nahmen — und wir als Opposition können sagen: sie bekämpften —, haben wir auf diese Worte hingewiesen. Ich bitte Sie namens der Opposition, heute keine Anträge zu stellen, durch die etwa Beschlüsse der zweiten Lesung aufgehoben werden könnten,
wenn diese Beschlüsse der Hebung der Steuermoral dienen sollten. Denn nur dann, meine Damen und Herren, wenn wir die Steuermoral heben, werden wir die Steuergerechtigkeit wiederherstellen können, ohne die keine Finanzverwaltung in irgendeinem Lande dieser Erde auskommen kann. Darum bitten wir Sie, die Anträge der letzten Lesung unter keinen Umständen zu verändern.
Wir werden Gelegenheit nehmen, unsere zusätzlichen Anträge zu stellen
und Ihre Stellungnahme dazu abwarten.