Meine Damen und meine Herren! In der Saarfrage hat sich in der letzten Zeit einiges ereignet, was die Bundesregierung zwingt, zu dem gesamten Problem der Saar erneut Stellung zu nehmen. Zu den Tatsachen, die neuerdings eingetreten sind, gehören das Verbot der Einreise von Bundestagsabgeordneten ins Saargebiet, das Verbot der Demokratischen Partei, im Saargebiet und endlich der Brief, den der französische Außenminister Herr Schuman am 9. Mai 1951 an den Ministerpräsidenten Hoffmann gerichtet hat.
Der Deutsche Bundestag hat sich zuletzt am 10. März 1950 eingehend mit der Saar befaßt. Die Ausführungen, die ich damals machte, faßte ich in folgenden Punkten zusammen: „Die endgültige Regelung der Verhältnisse an der Saar muß in einem mit uns, d. h. mit der Bundesrepublik zu schließenden Friedensvertrag erfolgen. Daraus ergibt sich, daß vor Abschluß des Friedensvertrages an der Saar keine Verhältnisse geschaffen werden dürfen, deren Änderung durch den Friedensvertrag nicht mehr möglich ist.
Wir haben den dringenden Wunsch, daß an der Saar die Grundsätze der Freiheit und der Demokratie verwirklicht werden. Wir wünschen eine Regelung der Saarfrage, die den Interessen aller beteiligten Staaten einschließlich Frankreichs und auch des Saargebiets gerecht wird."
Ich habe aber damals keinen Zweifel darüber gelassen, daß die Saarfrage unter keinen Umständen zu einer Störung der Bemühungen, , zwischen Deutschland und Frankreich gute Beziehungen herzustellen, und damit zu einer Erschwerung des Aufbaues von Westeuropa führen dürfte.
An diesen Grundsätzen hat sich für mich nichts geändert, insbesondere auch nicht an dem letzten Grundsatz. So unangenehm und so störend die von mir eingangs erwähnten Vorfälle sind, so sind sie doch letzten Endes zeit- und personenbedingt; sie geben aber keine Veranlassung, von der Linie der für Deutschland, Frankreich, Europa und den Welt- frieden entscheidenden Politik der Integration Europas und der Herstellung eines guten Einvernehmens zwischen Frankreich und Deutschland, das die Grundlage dieser Integration Europas ist, abzugehen. Es sei mir aber gestattet, hier dem dringenden und lebhaften Wunsche Ausdruck zu geben, daß die Weltlage und die Erfordernisse unserer Zeit, die für alle Völker gelten, in Paris das gleiche Verständnis, die gleiche. Würdigung finden wie bei
uns, auch gegenüber bagatellhaften Querelen aus Saarbrücken.
Ich werde an der Verfolgung der Europapolitik und der Politik der Herbeiführung eines guten Verhältnisses zwischen Deutschland und Frankreich trotz aller Zwischenfälle unbedingt festhalten.
Ich lasse mich von der Verfolgung dieser Politik am allerwenigsten durch Herrn Hoffmann aus Saarbrücken abbringen.
Die Frage ist berechtigt, was die Bundesregierung in dem verflossenen Jahr getan hat, um die von mir wiedergegebenen Grundsätze zur Geltung zu bringen. Wir haben gegen die französisch-saarländischen Konventionen vom 3. März 1950 bei der Alliierten Hohen Kommission Verwahrung eingelegt und dabei unter anderem auf folgendes verwiesen. Nach den Erklärungen der Alliierten vom 5. Juni 1945 hat Deutschland nicht aufgehört, als Staat nach dem Gebietsstand vom 31. Dezember 1937 zu bestehen.
Das Grundgesetz der Bundesrepublik ist zwar nur von dem deutschen Volke in elf Ländern geschaffen worden; das deutsche Volk in elf Ländern hat aber zugleich für die Deutschen gehandelt, denen mitzuwirken versagt war.
Die Bundesregierung, die sich auf freie demokratische Wahlen stützt, ist daher befugt und verpflichtet, die deutschen Rechte und Interessen insgesamt zu wahren. Durch das Potsdamer Abkommen
und andere alliierte Erklärungen wurde grundsätzlich festgelegt, daß der Gebietsstand Deutschlands nur durch einen Friedensvertrag geändert werden kann.
Infolgedessen betrachtet die Bundesregierung die Saar rechtlich als einen Teil Deutschlands.
Die alliierten Regierungen, an die diese Note, deren Inhalt ich Ihnen eben mitgeteilt habe, gerichtet war, haben die Note widerspruchslos zur Kenntnis genommen.
Wir haben darüber hinaus die Genugtuung gehabt, daß das von uns in Anspruch genommene Recht, gesamtdeutsche Interessen international zu wahren, in der Erklärung der alliierten Außenminister zur Deutschlandfrage in New York im September vorigen Jahres beinahe mit den gleichen Worten anerkannt wurde, die sich in unserer Note zur Saarfrage vom 5. Mai finden.
Die französisch-saarländischen Konventionen vom 3. März vorigen Jahres erweckten in ihrem Wortlaut den Eindruck, als sei das das letzte Wort, das die französische Regierung in der Saarfrage zu sprechen habe. Diese Konventionen haben aber dann ein merkwürdiges Schicksal gehabt. Während der saarländische Landtag die Abkommen in einer einzigen Sitzung wenige Tage nach der Unterzeichnung in Bausch und Bogen ratifizierte,
hat es sich die französische Regierung bis zum Oktober, also volle sieben Monate, überlegt, ehe sie die Saarkonventionen ihren gesetzgebenden Körperschaften zur Zustimmung vorlegte. Über die Gründe dieser zögernden Behandlung möchte ich hier keine Vermutungen aussprechen.
Wenn Sie die Saarpresse in dieser Zeit verfolgt haben, so werden Sie die Nervosität, ja die Angst haben feststellen können, die bei der Saarregierung wegen der verzögerten Ratifikation der Saarkonventionen herrschte. Tatsächlich sind sie dann in Kraft gesetzt worden, nämlich am 31. Dezember des vergangenen Jahres; allerdings mit einem sehr beachtlichen Unterschied: Die politischen Konventionen, d. h. die Abkommen, in denen die Separation der Saar vom übrigen Deutschland steckt, sind von der französischen Regierung ohne parlamentarische Ratifikation in Kraft gesetzt worden.
Bei der Beratung der Konventionen in der französischen Nationalversammlung am 21. Oktober des vergangenen Jahres sagte Außenminister Schuman hierzu wörtlich:
Die nicht ratifikationsbedürftigen Abkommen
können ohne Mitwirkung der Parlamente geändert werden. Es kann notwendig sein, diese Abkommen leicht und schnell ohne Eingreifen
• des Parlaments den in ständiger Entwicklung befindlichen Bedürfnissen anzupassen.
Aus diesen Worten, meine Damen und Herren, durften wir entnehmen, daß die Befürchtung, die französische Regierung habe sich endgültig auf die Saarkonventionen festgelegt, nicht zu Recht besteht und daß die französische Regierung unsere Ansicht teilt, daß das letzte Wort über die Saar noch nicht gesprochen ist.
Hier knüpft der Briefwechsel, der am 18. April dieses Jahres anläßlich der Unterzeichnung des Schumanplans zwischen mir und Außenminister Schuman stattgefunden hat, unmittelbar an. Durch diesen Briefwechsel ist nicht gesagt, daß sich die Bundesregierung und die französische Regierung über eine Lösung der Saarfrage einig wären. Wohl hat die französische Regierung wiederholt erklärt, daß sie den Gedanken einer Annexion des Saargebiets, wie er 1919 bestand und wie er 1945 und später im Saargebiet propagiert wurde, endgültig aufgegeben hat. Wenn wir in diesem Punkt mit der französischen Regierung völlig einig sind — denn, meine Damen und Herren, die Saar ist deutsches Land von jeher gewesen und seine Bevölkerung wird für immer deutsch bleiben —,
so sind wir mit der französischen Regierung über die Lösung, die ihr gegenwärtig vorzuschweben scheint, aus verschiedenen Gründen nicht einig.
Außenminister Schuman ist genötigt gewesen, sehr viel öfter als ich zur Saarfrage zu sprechen: Am 20. Oktober des vergangenen Jahres vor der Assemblée Nationale, am 15. November vor dem
Rat der Republik, am 20. Februar dieses Jahres anläßlich der Debatte über den Etat des französischen Hohen Kommissars im Saargebiet vor der Assemblée Nationale und am 25. April dieses Jahres noch einmal vor dem Rat der Republik. Aus seinen Ausführungen ist zu entnehmen, daß die französische Regierung gegenwärtig die Lösung der Saarfrage in der Schaffung eines selbständigen, von Deutschland politisch getrennten souveränen Saarstaates, eines zweiten Luxemburg, sucht und daß sie den Wunsch hat, diesem souveränen Saarstaat die internationale Anerkennung zu verschaffen.
Hierzu, meine Damen und Herren, möchte ich vorweg etwas Grundsätzliches vom europäischen Standpunkt aus sagen. Ich würde diese Lösung schon vom europäischen Standpunkte aus unbedingt ablehnen müssen. Wir streben auf ein vereinigtes Europa hin, in dem die Grenzen fallen sollen. Es erscheint mir antiquiert, in diesem Stadium der europäischen Entwicklung noch erst neue europäische Zwergstaaten schaffen zu wollen.
Ich kann mir auch nicht denken, meine Damen und Herren, welchen überzeugenden Grund die französischen Verfechter dieses Gedankens ins Feld führen könnten. Auf die Frage: „Warum soll ein selbständiger Saarstaat geschaffen werden?", gibt es keine Antwort, wenn die Elemente dieser Antwort nicht in den Vorstellungen einer Vergangenheit wurzeln, in denen man sich gegenseitig Landgebiete abnahm oder sich durch Puffer- und Satellitenstaaten schützen zu müssen glaubte.
Das habe ich vom europäischen Standpunkt aus gesagt.
Vom deutschen Standpunkt aus ist folgendes zu sagen. Ob das Saargebiet von Frankreich annektiert oder ob es zu einem zweiten Luxemburg gemacht wird, ist von unserem deutschen Standpunkt aus gesehen gleichgültig. Von unserem Standpunkt aus gesehen ist es immer nur die Separation, die Losreißung von Deutschland; und die Saarpolitiker, die sich für diese Lösung stark machen, können sich nicht darüber beklagen, wenn die Verfechter einer solchen Separation in unseren Augen als Separatisten gelten!
Mit dem Bestreben, dem Saargebiet internationale Anerkennung als Staat zu verschaffen, haben wir uns im vergangenen Jahre auseinandersetzen müssen., Die Saarregierung hat die Aufnahme des Saarlandes als assoziiertes Mitglied in den Europarat und die Zulassung eines Beobachters der Saarregierung zu den Sitzungen des Ministerkomitees in voreiliger Weise als eine Gleichstellung der Saarregierung mit der Bundesregierung und als eine internationale Anerkennung eines selbständigen Saarstaates gedeutet. Ich sagte, daß dies voreilig war. Die Saarregierung hätte gut daran getan, wenn sie sich des Beschlusses des Ministerkomitees vom 3. November 1949 erinnert hätte, der wörtlich lautete:
Da die Lage in den Besatzungszonen Westdeutschlands dazu geführt hat, daß die Saar augenblicklich nicht im Europarat vertreten ist, und indem es als wünschenswert erachtet wird,
daß seine Bevölkerung darin vertreten ist, bis ein Friedensvertrag das Statut der Saar endgültig regelt,
Das heißt ganz klar und deutlich, daß die Bevölkerung des Saargebiets, nicht aber ein Saarstaat im Europarat vertreten sein soll.
Ich glaube, daß Außenminister Schuman ganz recht hatte, als er sich dem Drängen seines Parlaments, mit der Bundesregierung in eine Diskussion über die Saarfrage einzutreten, am 20. Februar dieses Jahres mit der Bemerkung entzog, er wolle in der Saarfrage keine sterilen Auseinandersetzungen mit der Bundesregierung führen; in der Politik werde der recht behalten, der die stärkeren Nerven habe. Das dürfen auch wir uns zu Herzen nehmen, meine Damen und Herren, und wir können das um so eher tun, als wir ,bei der Behandlung der Saarfrage bisher jedenfalls bewiesen haben, daß wir Herren unserer Nerven sind.
Wir haben deshalb auch im Europarat die Saarfrage ruhig auf uns zukommen lassen; ausgewichen sind wir ihr nicht. Die Zulassung der Saarregierung als Signatar der Konvention des Europarates über die Menschenrechte und Grundfreiheiten mußte den Verdacht erwecken, daß hier — durch die Hintertür — der Versuch gemacht wurde, die Saarregierung und damit das zweite Luxemburg in den Kreis der europäischen Regierungen einzuführen. Wir haben hierauf mit der gebotenen Deutlichkeit reagiert und dem Generalsekretär des Europarats eine Rechtsverwahrung zugeleitet, in der ausdrücklich festgestellt ist, daß es kein politisches Statut für das Saargebiet gibt, auf Grund dessen dieses Land als völkerrechtlich handlungsfähig legitimiert wäre und daß diese Rechtslage auch durch die Unterzeichnung eines internationalen Abkommens durch das Saargebiet nicht berührt wird. Wir haben diese Rechtsverwahrung auch der Alliierten Hohen Kommission notifiziert, die dagegen ebensowenig Einwendungen erhoben hat wie gegen unsere Saarnote vom 5. Mai. Somit ist auch hier bei diesem Anlaß unser Rechtsstandpunkt voll gewahrt worden.
Demselben Versuch, die Saar beim Abschluß eines multilateralen internationalen Vertrages als Vertragspartner in den Kreis der europäischen Staaten einzuführen, sind wir bei der Unterzeichnung des Schumanplans begegnet. Die Saarregierung hat bei der französischen Regierung die Forderung gestellt, das Saargebiet müsse als siebtes Land und damit als gleichberechtigter Partner des Schumanplans zugelassen werden. Nach den Erfahrungen, die wir mit den Ansprüchen der Saarregierung in Straßburg gemacht haben, haben wir auf diese Absicht mit der gebotenen Deutlichkeit reagiert. Ein Versuch, die Saarregierung zur Unterzeichnung des Vertrages zuzulassen, hätte ein Scheitern des Vertrags zur Folge gehabt. Hieraus haben wir der französischen Regierung gegenüber kein Hehl gemacht. Schwierigkeiten ähnlichen Ausmaßes hätten sich auch dann ergeben, wenn die französische Regierung den Anspruch erhoben hätte, den Vertrag zweimal — d. h. einmal im eigenen Namen und im Namen der Saarregierung — zu unterzeichnen. Auch durch dieses Verfahren wäre das Saargebiet als eine politische, durch die französische Regierung vertretene völkerrechtliche Einheit anerkannt worden. Als die Saarregierung einsah daß sie mit einer Zulassung als siebter Vertragsstaat nicht rechnen könne, konzentrierten sich
ihre Anstrengungen auf diese von mir eben gekennzeichnete Lösung. Auch diesen Gedanken hat die französische Regierung, um den Schumanplan nicht zu gefährden, fallen lassen.
In dem Ihnen bekannten Briefwechsel, den ich am 18. April dieses Jahres mit dem französischen Außenminister vollzogen habe und der einen integrierenden Bestandteil des Vertrags über die Montanunion bildet, sind die deutsche und die französische Regierung, beide unter Wahrung ihrer eigenen Standpunkte, übereingekommen; daß die endgültige Regelung der Saarfrage nur durch einen Friedensvertrag oder einen gleichartigen Vertrag erfolgen kann. Ich betone — das scheint mir von besonderer Wichtigkeit zu sein —, daß bisher eine solche vertragliche Abmachung zwischen der deutschen und der französischen Regierung nicht bestanden hat. Eine solche Vereinbarung aber schließt in sich, daß bis zu dieser endgültigen Regelung von keiner Seite Handlungen vorgenommen und Verhältnisse geschaffen werden dürfen, die eine endgültige Regelung durch den Friedensvertrag illusorisch machen würden.
Bereits im Frühjahr des Jahres 1950 ist durch einen Kabinettsbeschluß festgelegt worden, daß wir keinen Saarstaat anerkennen. Die Saarregierung — ich stelle das ausdrücklich vor aller Öffentlichkeit fest — ist weder von uns noch von einer anderen als der französischen Regierung anerkannt worden und von dieser, der französischen Regierung, wie der Briefwechsel vom 18. April zweifelsfrei feststellt, nur vorbehaltlich der endgültigen Regelung im Friedensvertrag oder in einem gleichartigen Vertrag.
Der Herr französische Außenminister hat diese Tatsache auch anerkannt, als er am 24. April dieses Jahres im Rat der Republik sagte:
Wenn es eine außenpolitische Souveränität für den Saarstaat geben soll, so genügt dazu keine zweiseitige Erklärung. Er muß von dritten Staaten anerkannt werden. Keiner der Signatarstaaten des Schumanplans hat den derzeitigen Zustand an der Saar anerkannt. Keiner hat daran gedacht, einen diplomatischen Vertreter bei der Saarregierung zu akkreditieren.
Ich darf also zusammenfassend feststellen, daß die Bundesregierung nichts versäumt hat, um den deutschen Rechtsstandpunkt zu wahren. Gegen diesen Rechtsstandpunkt hat die Alliierte Hohe Kommission keine Einwendungen erhoben. Wir können mit Befriedigung feststellen, daß es durch den Briefwechsel vom 18. April 1951 zum ersten Male, gelungen ist, diesem Rechtsstandpunkt Geltung in einem` internationalen Vertrag zu verschaffen. Besonders wichtig erscheint es mir, daß hierbei zwischen der deutschen und der französischen Regierung, die an der Saarfrage in erster Linie interessiert sind, eine Rechtsgrundlage für die künftige Gestaltung der Verhältnisse an der Saar geschaffen worden ist. Ich betone nochmals, daß dieser Briefwechsel integrierender Bestandteil des Vertrags über die Montanunion ist. Die in ihm dargelegte Rechtsauffassung ist auch von den übrigen Signatarmächten dieses Vertrags anerkannt worden. Darin sehe ich einen Erfolg, der um so größer ist, als er ohne Lärm, ohne Drohung und ohne Geschrei zum Fenster hinaus erreicht worden ist.
Wenn wir auf diesem Weg fortfahren, wenn wir — um das Wort von Herrn Schuman nochmals zu gebrauchen — die ruhigen Nerven behalten, so könnten wir mit einer ebenso ruhig denkenden I französischen Regierung zu einer Einigung über die Saarfrage auch schon' vor dem Friedensvertrag kommen.
Diese Einigung kann aber nur nach dem Grundsatz erfolgen, den ich von Anfang an vertreten habe: Frankreich hat wirtschaftliche Interessen im Saargebiet; wir haben wirtschaftliche und nationale Interessen in diesem Lande. Zwischen diesen Interessen muß im Geiste einer ehrlichen und zu Kompromissen bereiten europäischen Zusammenarbeit ein Ausgleich gefunden werden, der allen gerecht wird, insbesondere aber den Wünschen der Saarbevölkerung selber.
Die Schwierigkeiten, die uns trotz unseres guten Willens in den Weg gelegt wurden, kamen bisher sehr viel weniger von der französischen Regierung als vielmehr von der Saarregierung,
die die Zeichen der Zeit nicht verstehen will und einen Verzweiflungskampf um ihre Existenz kämpft.
Wenn die deutsche und die französische Regierung
sich darüber einig sind, daß der gegenwärtige Zustand an der Saar provisorisch ist, so müssen sich
auch die Herren der Saarregierung dieser Tatsache
beugen.
Über die Saarfrage wird im Friedensvertrag oder in einem anderen Vertrag entschieden. Diese Entscheidung muß in Übereinstimmung mit dem Willen der Saarbevölkerung stehen. Die Saarregierung, meine Damen und Herren, ist nichts anderes als eine Verwaltungsbehörde in einem Lande, über das in einem Vertrage entschieden werden soll,
an dem die Saarregierung sicherlich nicht als Verhandlungs- und Vertragspartner teilnehmen wird.
Sie hat die Pflicht, dafür zu sorgen, daß sich im Saargebiet durch eine offene und freie Aussprache ein Urteil der öffentlichen Meinung über die im Friedensvertrag oder in einem anderen Vertrag zu findende Endlösung bilden kann.
Ich denke, daß wir uns hier nicht mehr bei der Bedeutung oder Bedeutungslosigkeit der Wahlen zum saarländischen Landtag von 1947 aufzuhalten brauchen.
Wir haben uns hierüber an dieser Stelle am 10. März 1950 ausgesprochen. Inzwischen sind aber der Bundesregierung weitere Dokumente bekanntgeworden, die die Machenschaften, die zu diesen Wahlen führten, vollends klarwerden ließen. Ich möchte mich hier auf das Zeugnis der katholischen Geistlichkeit des Saargebietes berufen, die in einer von den Dechanten des Saargebietes einstimmig gefaßten Erklärung vom 26. März 1950, die dem Ministerpräsidenten Hoffmann zugeleitet wurde, folgendes feststellten:
Wir sehen uns heute genötigt, zur Steuerung der Wahrheit und zur Gewissensberuhigung vieler Katholiken folgendes festzustellen. Der heutige Status des Saargebietes beruht auf dem Ergebnis der Landtagswahl vom 5. Oktober 1947. Bei dieser Wahl standen die Katholiken vor der Entscheidung über christlich oder nichtchristlich orientierte Politik. Mit dieser Entscheidung wurde leider verknüpft eine Entscheidung für oder gegen den wirtschaftlichen Anschluß, der eine Trennung von Deutschland und eine begrenzte Autonomie im Rahmen einer Wirtschaftsunion mit Frankreich zur Folge habe. Die Entscheidung wurde erleichtert durch die Zusicherung, daß der politische Status des Saargebiets erst durch den Friedensvertrag endgültig geregelt werde. Die christlichen Wähler, soweit sie nicht weiße Zettel abgaben, wollten mit ihrer Stimmabgabe an erster Stelle die christlich-kulturellen Forderungen schützen und durchsetzen. Viele waren sich nicht bewußt, viele haben es schweren Herzens auf sich genommen, daß sie sich damit gleichzeitig vom bisherigen Vaterland vorübergehend lossagen müßten.
Diese Wahl war nicht frei von Furcht, von Zwang und von Unwissenheit.
Dieser Erklärung der Geistlichkeit des Saargebietes ist kaum noch etwas hinzuzufügen. Wenn es aber geschehen muß, so möchte ich den jetzigen Chef des Presse- und Informationsamtes der Saarregierung zitieren, der als Landtagsabgeordneter im Landtag des Saargebietes am 15. November 1947
1) über die Wahlen vom Oktober 1947 sagte:
Die Befragung, die man hier durchgeführt hat,
ist als sehr problematisch zu bezeichnen, wenn
ein Volk unter der Peitsche der Not und des
Hungers seine Entscheidung trifft.
Die Saarregierung, meine Damen und Herren, hat bisher so gehandelt, als ob es einen vom übrigen Deutschland getrennten Saarstaat gäbe, der eine endgültige und unabänderliche Einrichtung sei. Sie hat so gehandelt, als ob die Präambel ihrer Verfassung als ein Palladium mit allen Mitteln der Gewalt zu verteidigen wäre. Die Saarregierung tut so, als ob durch die Präambel ihrer Verfassung, die die politische Trennung der Saar von Deutschland ausspricht, ein Rechtszustand geschaffen worden sei, der nicht mehr zur Erörterung gestellt werden dürfe. Aus diesem Grunde hat die Saarregierung die Demokratische Partei des Saargebietes verboten. Die deutsche Öffentlichkeit hat diese von den Kennern der innersaarländischen Kabalen und Intrigen lang erwartete Maßnahme mit der größten Empörung aufgenommen,
und ich zweifle nicht, daß dieses Hohe Haus mit der
Bundesregierung in der Verurteilung einer Maßnahme einig sein wird, die mehr als ein Fehler ist.
Die Auffassung der Saarregierung entbehrt jeder
Logik. Die endgültige Lösung der Saarfrage kann
nur durch den Friedensvertrag oder einen gleichartigen Vertrag herbeigeführt werden, wenn die
Saarbevölkerung zuvor durch eine gründliche Erörterung Gelegenheit gehabt hat, sich über ihre
eigenen Wünsche klarzuwerden. Daran, meine Damen und Herren, war die Saarbevölkerung auch 1 während der Zeit der Verwaltung des Gebiets durch den Völkerbund nicht gehindert, der in ähnlicher Weise, wie das heute der Fall ist, eine endgültige Regelung der staatlichen Zugehörigkeit des Gebiets vorbereiten sollte.
Ich bedaure sehr, daß sich der französische Herr Außenminister durch seinen Brief an den saarländischen Ministerpräsidenten den Vorwurf gegen die Demokratische Partei zu eigen gemacht hat, sie sei verfassungswidrig und sie sei nazistisch. Da wir nach dem Briefwechsel vom 18. April dieses Jahres das gleiche legitime Interesse an der politischen Gestaltung des Saargebiets haben wie die französische Regierung, da wir uns zudem bei der Unterzeichnung des Schumanplans ganz allgemein zur gegenseitigen Konsultation verpflichtet haben, wird uns, wie ich hoffe, die französische Regierung das Material, das ihr gegen die Demokratische Partei vorliegt, zur Kenntnis bringen.
Auf diese Weise wird die erforderliche Klärung auch unter Mitwirkung der hierfür in Frage kommenden Stellen der Bundesregierung unschwer herbeigeführt werden können. Sollte sich dabei zeigen, daß die verfassungsrechtlichen und politischen Vorwürfe gegen die Demokratische Partei unbegründet sind, so zweifle ich nicht daran, daß die französische Regierung ihren Einfluß in Saarbrücken wiederum geltend machen wird, um einen bedauerlichen Mißgriff wiedergutzumachen.
Ich würde also bitten, die Entwicklung dieser Angelegenheit, die die Bundesregierung sicherlich nicht auf sich beruhen lassen wird, mit Ruhe und mit den von Herrn Schuman empfohlenen guten Nerven abzuwarten.
Ich möchte aber diese Gelegenheit benützen, um zu einigen anderen Aspekten des Saarproblems mich wenigstens kurz zu äußern. Es paßt uns nicht, meine Damen und Herren, wenn Deutsche im Saargebiet auch in der Sprache der Gesetze dieses völkerrechtlich überhaupt nicht als Staat bestehenden Gebiets als Ausländer behandelt werden.
Wir möchten, daß damit endgültig Schluß gemacht wird. Die Öffentlichkeit in der Bundesrepublik hat sich mit vollem Recht hierüber und über alles, was aus dieser Konzeption hergeleitet wird, empört.
Es handelt sich aber nicht nur um gefühlsmäßige, sondern in erster Linie um rechtliche Erwägungen. Diese Erwägungen sind in einem Runderlaß des Bundesministers des Innern vom 9. November 1950 niedergelegt, der die Rechtslage hinsichtlich der im Saargebiet auf dem Gebiete der Staatsangehörigkeit erfolgten Regelung eindeutig klarstellt. Solange der Status des Saargebiets im Friedensvertrag nicht anders geregelt ist, als er bei dem Zusammenbruch des Hitlerregimes 1945 bestand, bleiben die Bewohner des Saargebiets, die bei Kriegsende deutsche Staatsangehörige waren, in ihrem Verhältnis zur Bundesregierung deutsche Staatsangehörige.
Das saarländische Staatsangehörigkeitsgesetz vom 15. Juli 1947 übt auf die deutsche Staatsangehörigkeit der Bewohner des Saargebiets keinen Einfluß aus,
gleich unter welchen Umständen und Voraussetzungen von einem Erwerb der saarländischen Staatsangehörigkeit gesprochen wird. Dieser unser Rechtsstandpunkt ist so unanfechtbar, daß einer der französischen Senatoren, die Außenminister Schuman seine ,angebliche Untätigkeit in der Saarangelegenheit zum Vorwurf machen — übrigens, meine Damen und Herren, ganz wie bei uns —,
dazu nur folgendes zu sagen hatte:
Auch Wenn der deutsche Rechtsstandpunkt juristisch vertretbar ist,. so liegt in ihm eine Feststellung, die wir aus politischen Gründen nicht zulassen dürfen.
Ich möchte mit diesem Hinweis nicht den Gedanken aufkommen lassen, daß die französische Regierung in der Saarfrage die Politik — mit anderen Worten: die Macht — vor das Recht stellen will. Im Gegenteil, ich bin der Auffassung, daß durch den Briefwechsel vom 18. April der Rechtsboden von beiden Regierungen eindeutig und endgültig bezogen wurde.
Die Saarregierung wird ihre eigene Konzeption ebenfalls in diesen völkerrechtlich gezogenen Rahmen einbauen müssen. Sie tut das leider nicht, und damit setzt sie sich eben der Gefahr aus, daß sie auch von uns an ihre Pflichten erinnert wird. Ich denke hier in erster Linie an die leidigen AusWeisungen aus dem Saargebiet und an die Diskriminierung der deutschen Bevölkerung des Saargebiets nach politisch Berechtigten und nach politisch Rechtlosen. Nach einer Auskunft, die uns die Alliierte Hohe Kommission gegeben hat, wurden seit Kriegsende 2171 Deutsche aus dem Saargebiet ausgewiesen.
Ein großer Teil dieser Ausweisungen ist im Laufe der Zeit rückgängig gemacht worden. Zur Zeit sind aber noch 193 saarländische Familien von ihrer Heimat ferngehalten.
Es ist für uns aber nicht entscheidend, ob einer oder ob tausend aus politischen Gründen aus dem Saargebiet ausgewiesen werden.
Es handelt sich um den Grundsatz! Die Unterscheidung zwischen saarländischen Staatsangehörigen und deutschen Ausländern im Saargebiet ist völlig unzulässig.
Ich möchte hier daran erinnern, daß sogar im Versailler Vertrag, also zu einer Zeit, als die damalige französische Regierung offen auf die Annexion des Saargebietes hinarbeitete — sie tut das heute nicht, das möchte ich nochmals unterstreichen —,
alle Personen im Saargebiet, die am Tage des Inkrafttretens des Vertrages dort ihren Wohnsitz hatten, volle politische Gleichberechtigung genossen, auch hinsichtlich der Beteiligung an der
Volksabstimmung. Der Versailler Vertrag ließ die deutsche Staatsangehörigkeit der Bewohner des Gebietes völlig unberührt. Die Autoren des Versailler Vertrages sind dabei von dem zutreffenden und in der Natur der Sache liegenden Gedanken ausgegangen, daß es mit einer nur vorläufigen Rechtsstellung eines Gebietes unvereinbar ist, die Staatsangehörigkeitsverhältnisse der in dem Gebiet lebenden Menschen zu ändern.
Die Saarregierung legt ihrem Staatsangehörigkeitsgesetz die 'Idee des Bestehens einer saarländischen Nation zugrunde, ,die das Staatsvolk für einen Saarstaat liefern soll. Wer eine saarländische Nation konstruiert, meine Damen und Herren, macht sich des saarländischen Nationalismus schuldig. Eine Sünde gegen Europa und dazu noch eine lächerliche Sünde!
Wir haben genug der Nationen! Wer den Nationalismus überwinden will, kann nicht gleichzeitig neue Nationalgefühle züchten.
Die Saar ist deutsch, und ganz Deutschland einschließlich der Saar wird sich mit Frankreich in Europa zusammenfinden.
Herr Hoffmann hat einmal von einem Dreiklang Frankreich —Saar—Deutschland gesprochen. Ich glaube, je weniger wir von dem Mißton Saarstaat hören, desto besser werden wir den E i n klang mit Frankreich herstellen können.
Die Saarregierung wird, wenn sie nach dem Geist und Buchstaben des deutsch-französischen Notenwechsels vom 18. April verfahren will, sich verpflichten müssen, daß die Bewohner des Saargebietes keiner Verfolgung und keiner Vergeltungsmaßnahme oder Schlechterstellung wegen der Haltung unterworfen werden, die sie in Beziehung auf Fragen einnehmen, deren Regelung dem Friedensvertrag vorbehalten bleibt.
Ich habe diese Forderung bereits am 9. Februar der Alliierten Hohen Kommission gegenüber angemeldet, die unsere Note auch der Saarregierung zur Kenntnis gebracht hat. Leider haben wir bis jetzt kein Anzeichen dafür gespürt, aus dem sich entnehmen ließe, daß die Regierung des Herrn Hoffmann dieser rechtlich wohlbegründeten Forderung eine Folge geben will. Im Gegenteil, durch das Verbot der Demokratischen Partei hat sie die letzte Maske fallen lassen.
Die Bevölkerung des Saargebietes fordert von ihrer Regierung die volle Freiheit der politischen Meinungsäußerung gerade in den Fragen, die die politische Zukunft des Landes betreffen.
Sie verwahrt sich dagegen, daß diese Freiheit durch
offenen oder, versteckten Druck eingeengt wird.
Hier möchte ich noch einen grundsätzlichen Punkt herausstellen. Wenn die Saarfrage im Friedensvertrag gelöst werden soll, so darf die Bun-
desregierung hinsichtlich der Geltendmachung ihrer Auffassung im Saargebiet nicht schlechter gestellt sein als die französische Regierung.
Die Saarregierung hatte es sich angewöhnt, Zeitungen aus dem Bundesgebiet, die zu Saarfragen in einer ihr unsympathisch erscheinenden Weise Stellung nahmen, entweder zu verbieten oder einfach ihre Verbreitung im Saargebiet zu verhindern.
Wir haben unseren Standpunkt auch hierzu der Alliierten Hohen Kommission dargelegt, und ich möchte hoffen, daß mit dieser Methode nunmehr Schluß gemacht wird.
Es sind uns leider Fälle bekannt geworden, — —