Rede von
Willi
Steinhörster
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! So leicht, wie es sich der Herr Abgeordnete Ewers macht, soll man sich die Dinge nun weiß Gott nicht machen. Hier ist ja von einer Freundschaft zwischen seinen politischen Freunden in Schleswig-Holstein und etwa der Opposition in Bonn überhaupt keine Rede. Wenn Sie sich einmal die Unterschriften unter dieser Interpellation genau ansehen würden, dann würden Sie feststellen, daß das alles Leute aus der Selbstverwaltung sind, die wirklich aus der ernsten Befürchtung, hier könne, veranlaßt durch das Exempel Schleswig-Holstein, etwas passieren, handeln,
und, meine Damen und Herren, das was Schleswig-Holstein erlebt hat, ist in der Tat ein Exempel.
Es geht gar nicht so sehr um die politische Seite dieser ganzen Geschichte. Wenn ich die politische Seite etwas näher untersuchen wollte, dann müßte ich Sie darauf hinweisen, daß es kein anderer gewesen ist als der Herr Bundeskanzler selber, der auf die gefährliche Situation hingewiesen hat, die sich in Schleswig-Holstein entwickeln muß und entwickeln wird, wenn so weitergearbeitet wird. Wohin kämen wir denn, wenn eine Länderregierung bei jeder Gelegenheit, bei jeder politischen Umstellung die Gemeinde- und Kreisparlamente auflösen wollte?
Stellen Sie sich einmal vor: Morgen hätten wir in Niedersachsen die Situation, daß meinetwegen eine Veränderung in der Regierung eintritt, und die niedersächsische Landesregierung würde die Kreis- und Gemeindeparlamente auflösen.
— Die Sache ist doch ein wenig anders. Im Bundestag liegen die Verhältnisse vollkommen anders.
Als die Kreise und Gemeinden bereits arbeiteten, war von einem Bunde überhaupt noch nicht die Rede, meine Damen und Herren! Die Kreise und die Gemeinden sind es gewesen, die den ersten Stoß nach 1945 aufgefangen haben, die überhaupt das Leben und das Verwaltungsleben in Deutschland wieder in Gang brachten, und erst viel später hat sich das entwickelt, was wir heute als Bundeskonstitution haben. Wären die Gemeinden und Kreise nicht gewesen, dann sähe es heute weit, weit schlechter in der Bundesrepublik aus. Und so bin ich der Meinung: Das, was in Schleswig-Holstein geschehen ist — wir haben heute im Grunde ja nur noch eine rückläufige Betrachtung anzustellen, das Bundesverfassungsgericht wird sich zweifellos damit befassen müssen —, war nichts anderes als ein politischer Willkürakt, lein absoluter politischer Willkürakt ohne Fundierung im Staatsrechtlichen und ohne Fundierung im Demokratisch-Parlamentarischen.
Wir haben kürzlich bei der Beratung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes von dieser Stelle ganz klare Worte darüber gehört, wie in der Zukunft die Kreise und die Gemeinden hinsichtlich einer Beschwerde gestellt werden sollen, die beim Bundesverfassungsgericht anhängig gemacht werden kann. Es hat erst eines Kampfes bedurft, um überhaupt den Gemeinden und Kreisen das Verfassungsbeschwerderecht zu geben. Dieses Verfassungsbeschwerderecht ist nunmehr gegeben. Meine Damen und Herren! Solange das Bundesverfassungsgericht noch nicht bestand, wäre nach meiner Meinung die Bundesregierung verpflichtet gewesen, wenigstens in etwa, soweit es sich um die Überwachung nach dem Grundgesetz handelt, diese Funktionen auszuüben, und das hat die Bundesregierung im Falle Schleswig-Holsteins nicht getan. Ich will nicht sagen, daß sie als Ersatz für das erst zu schaffende Bundesverfassungsgericht zu wirken hatte, aber sie hatte, was das Grundgesetz und seine Bestimmungen betrifft, gewisse Überwachungsfunktionen zu übernehmen.
Wir stehen also auf dem Standpunkt, daß der Fall in Schleswig-Holstein, die vorzeitige Auflösung der Gemeinde- und Kreisparlamente, das Bundesverfassungsgericht beschäftigen, und zwar sehr bald
beschäftigen muß. Das schleswig-holsteinische Exempel ist von größter Gefahr für den Bestand der Demokratie überhaupt.