Meine Damen und Herren! Über die Möglichkeit der Überweisung einer Interpellation an einen Ausschuß hat bisher immer eine gewisse Verschiedenheit der Auffassungen bestanden. In der Geschäftsordnung ist an sich vorgesehen, daß zur Behandlung eines Antrages auch die Interpellation einem Ausschuß überwiesen werden kann; die Antragstellung ist im Rahmen der Besprechung einer Interpellation möglich. Es müßte also zunächst ein Antrag dazu gestellt werden. Wenn das Haus im Interesse der Vereinfachung glaubt, die Interpellation dem Außenhandelsausschuß überweisen zu sollen — wir sind ja schließlich in der Auslegung unserer Geschäftsordnung souverän —, dann würde ich das vorschlagen, damit wir nicht aus formellen Gründen hier eine Komplikation vornehmen.
— Es ist also gebeten worden, die Interpellation
erstens dem Außenhandelsausschuß und zweitens
dem Ausschuß für Geld und Kredit zu überweisen, wobei der Außenhandelsausschuß federführend sein soll. Meine Damen und Herren, darf ich fragen, ob Sie mit der Überweisung der Interpellation an diese Ausschüsse einverstanden sind. — Das ist der Fall.
Ich habe den Herrn Bundesminister des Innern bitten lassen zu erscheinen; es ist mir mitgeteilt worden, daß er unterwegs ist. In der Hoffnung, daß wir ihn in den nächsten Minuten bei uns begrüßen dürfen, rufe ich den Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Beratung der Interpellation der Abgeordneten Hagge, Steinhörster und Genossen betreffend Kommunalwahlen in Schleswig-Holstein .
Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Begründungszeit von 10 Minuten und eine Aussprachezeit von 60 Minuten vor.
Das Wort zur Begründung der Interpellation hat Herr Abgeordneter Hagge.
Hagge , Interpellant: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Veranlassung zu der Interpellation ist die Beantwortung der Anfrage Nr. 173 durch den Herrn Bundesminister des Innern, Drucksache Nr. 2118. Was ist nun geschehen? Am 24. Oktober 1948 sind in Schleswig-Holstein auf Grund des Wahlgesetzes für Schleswig-Holstein vom 15. Juni 1948 Wahlen für alle Gemeinde- und Kreisvertretungen vorgenommen worden. Zu der Zeit bestand weder eine Landesverfassung in Schleswig-Holstein noch das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. Somit war die Rechtsgrundlage für diese Wahl das Wahlgesetz selbst. Es sagt in seinem § 1 folgendes:
Die Wahl ist allgemein, gleich, geheim und
unmittelbar. Weiter sagt dieses Wahlgesetz in § 2 Abs. 1:
Die Vertretungen werden auf vier Jahre
gewählt.
Wahltag war der 24. Oktober 1948. Die Wahlen wurden nach diesen gesetzlichen Bestimmungen vorgenommen. Das Wahlergebnis wurde den gewählten Vertretern mitgeteilt, die gewählten Vertreter nahmen die Wahl an, und die Wahlfeststellung ist geschehen.
In der Landessatzung von Schleswig-Holstein, die am 13. Dezember 1949 verkündet worden ist, wird in Art. 2 folgendes gesagt:
Das Volk bekundet seinen Willen durch Wahlen. Es handelt durch seine gewählten Vertretungen im Lande, in den Gemeinden und Gemeindeverbänden.
Weiter sagt Art. 39 dieser Landessatzung in Abs. 3: Das Land sichert durch seine Aufsicht die Durchführung der Gesetze.
Die Aufsicht über die Durchführung der Gesetze ist durch das Land leider nicht wahrgenommen worden; denn der Landtag hat Anfang dieses Jahres beschlossen, Neuwahlen für alle Vertretungen der Gemeinden und Kreise Schleswig-Holsteins auszuschreiben, ohne dabei die bestehenden Vertretungskörperschaften für Gemeinden und Kreise aufzulösen.
Was sagt nun die bestehende Rechtsordnung über
den Bestand der Vertretungen? Die Gemeindeordnung in Schleswig-Holstein, die am 24. Januar
1950 beschlossen und verkündet ist, sagt in § 44:
Der Landtag kann auf Antrag des Landesministers des Innern eine Gemeindevertretung
auflösen, wenn sie dauernd beschlußunfähig
ist oder wenn eine ordnungsmäßige Erledigung der Gemeindeaufgaben auf andere Weise nicht gesichert werden kann.
Ich stelle fest, daß die Vertretungskörperschaften der Gemeinden und Kreise im Lande Schleswig-Holstein im allgemeinen absolut keine Veranlassung zur Ausschreibung der Neuwahlen durch den Landtag gegeben haben. Auch die Kreisordnung für Schleswig-Holstein, die am 27. Februar 1950 beschlossen und verkündet worden ist, sieht keine andere Möglichkeit vor, als daß der Landtag auf Antrag des Landesministers des Innern die Auflösung der einzelnen Vertretungskörperschaften vornimmt.
Welche Bestimmungen enthält die Landessatzung über die Auflösung von Vertretungskörperschaften im allgemeinen? In bezug auf die Vertretungskörperschaften für die Gemeinden und Kreise kein Wort; wohl aber sagt sie in Art. 31:
Findet ein Antrag des Ministerpräsidenten, ihm das Vertrauen auszusprechen, nicht die Zustimmung ... , so kann der Ministerpräsident binnen zehn Tagen ... den Landtag auflösen.
Also weder hinsichtlich der Gemeinde- noch hinsichtlich der Kreisvertretungen und auch nicht bezüglich der Landesvertretung gibt es für den Landtag eine Möglichkeit, die Auflösung direkt oder indirekt zu beschließen.
Das Grundgesetz, das mit dem 23. Mai 1949 für die deutsche Nation in Kraft getreten ist, sagt in Art. 20 Abs. 1:
Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.
1 In Art. 20 Abs. 2:
Alle Staatsgewalt geht vorn Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen ... ausgeübt.
Und in Abs. 3:
Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung ... gebunden.
Ich behaupte, daß die Gesetzgebung des Landes Schleswig-Holstein durch die Verabschiedung dieses Gesetzes, wonach für alle Gemeinden und Kreise Neuwahlen ausgeschrieben werden sollen, von der verfassungsmäßigen Ordnung abgewichen ist; denn meine Ausführungen von vorhin haben in absolut klarer Weise die Rechtsgrundlage für den Bestand und die Durchführung der Wahlen für alle Gemeinde und Kreisvertretungen dargelegt. Das Grundgesetz sagt in Art. 28, dem Artikel, in dem die Grundrechte der Gemeinden und Kreise besonders niedergelegt sind, folgendes:
Die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern muß den Grundsätzen des ... demokratischen ... Rechtsstaates im Sinne dieses Grundgesetzes entsprechen.
Weiter sagt dieser Artikel:
In den Ländern, Kreisen und Gemeinden muß das Volk eine Vertretung haben, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist.
Die am 24. Oktober 1948 gewählten Vertretungen in den Gemeinden und Kreisen des Landes Schleswig-Holstein sind nach diesen zwingenden Voraussetzungen und Erfordernissen des Grundgesetzes geschaffen und haben damit ein Recht auf Bestand für die Zeit, für die sie nach dem Wahlgesetz des Landes Schleswig-Holstein gewählt sind.
Nun sagt aber Art. 28 des Grundgesetzes weiter: Der Bund gewährleistet, daß die verfassungsmäßige Ordnung der Länder den Grundrechten und den Bestimmungen der Absätze 1 und 2 entspricht.
Das sind die Absätze, in denen festgelegt ist, daß sie einmal die Gemeinde- und Kreisvertretungen haben müssen und daß zweitens diese Gemeinde- und Kreisvertretungen aus den vorgeschriebenen Wahlen hervorgegangen sein müssen und deswegen ein Recht auf Bestand haben. Ja, sie haben nicht nur ein Recht auf Bestand, sondern der Bund hat auch die Gewährleistungspflicht für den Bestand dieser so geschaffenen Institutionen.
Mit der Anfrage Nr. 173 ist die Bundesregierung wegen dieser Tatsachen befragt worden. Sie hat durch den Herrn Bundesminister des Innern wie folgt geantwortet — ich darf das mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten vorlesen —:
Eine rechtliche Prüfung dieser Vorgänge hat keine Anhaltspunkte dafür ergeben, daß insbesondere das von dem Landtag des Landes Schleswig-Holstein beschlossene Gesetz über die Neuwahl der Gemeinde- und Kreisvertretungen vom 20. November 1950 entweder gegen die Wahlrechtsbestimmungen des Artikels 28 Absatz 1 des Grundgesetzes oder gegen die institutionelle Garantie der Selbstverwaltung im zweiten Absatz des gleichen Verfassungsartikels verstößt.
Meine Damen und Herren, ich glaube Ihnen mit den Ausführungen, die ich zu der Rechtsordnung und zu dem Rechtsbestand dieser Vertretungskörperschaften gemacht habe, absolut den Beweis dafür erbracht zu haben, daß doch Rechtsverletzungen vorgekommen sind. Zusätzlich zu den der Bundesregierung schriftlich vorgelegten Fragen darf ich mir erlauben, noch die folgenden Fragen zu stellen:
Wir fragen erstens: Ist der Herr Innenminister der Auffassung, jeder Landtag sei Vorgesetzter aller Gemeinde- und Kreisvertretungen? Wir fragen ferner: Kann jeder Landtag allgemein die Neuwahl der Vertretungen aller Gemeinden und Kreise bestimmen, ohne daß die Wahlperiode der ordnungsgemäß gewählten bestehenden Vertretungen durch Zeitablauf beendet ist oder diese wegen eines gesetzmäßig zugelassenen Grundes aufgelöst sind?